"Zero Sievert" befindet sich zwar noch im Early Access, zeigt aber schon jetzt viel Potenzial.

Foto: Zero Sievert

"Escape from Tarkov" ist ein Phänomen. Inmitten des damals brodelnden "Battle Royale"-Hypes platzte auf einmal das Spiel von Battlestate Games, in dem Spieler Teil eines militärischen Konfliktes zwischen der russischen Regierung und eines Großkonzerns werden. Die an sich wenig relevante Handlung dreht sich um das Entkommen aus der fiktiven Stadt Tarkov in einem heute als "Extraction-Shooter" bekannten Genre.

Das Game schickt Spieler vier verschiedener Fraktionen auf unterschiedliche Karten, in denen sie versuchen, wertvolle Beute zu sammeln, ohne von computergesteuerten Widersachern oder anderen Teilnehmern zur Strecke gebracht und geplündert zu werden. Erschwert wird dies dadurch, dass man auch Hunger, Durst und Erschöpfung im Zaum halten muss. Die Beute kann anschließend in Geld umgesetzt oder zur Verbesserung der eigenen Ausrüstung herangezogen werden.

Die Lernkurve ist steil und verlangt Durchhaltevermögen, doch das größere Problem des Games ist ein immer wieder sehr hohes Aufkommen an Cheatern. Also Mitspielern, die sich durch die Nutzung von Zusatzsoftware, die beim Zielen hilft oder verrät, wo auf der Karte sich Gegner befinden, unfaire Vorteile verschaffen. Das Phänomen, mit dem auch andere Onlinegames kämpfen, hat sich insbesondere in "Tarkov" zu einer massiven Plage ausgewachsen. Entwickler Battlestate Games hat Besserung versprochen.

GameTrailers

"Stalker" trifft "Tarkov" in 2D

Aber eigentlich soll es in diesem Text ja um "Zero Sievert" (Windows, Steam) gehen. Das Werk des italienischen Cabo Studio verspricht nämlich gleich eine Lösung für beide Probleme. Die bessere Zugänglichkeit ergibt sich auch – aber nicht nur – aus dem Perspektivenwechsel. Statt aus Ich-Sicht ins Geschehen einzugreifen, ist man hier in Draufsicht unterwegs. Wer sich bei den Screenshots an klassische Rollenspiele erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Tiefgehende RPG-Elemente bietet das Game zwar nicht, umgesetzt wird der Shooter aber im "Game Maker".

Erzählerisch lehnt sich das Game an "Stalker" an. In einem nicht näher genannten Gebiet in Osteuropa hat sich eine nukleare Katastrophe ereignet. Ein Teil der letzten Überlebenden hat sich in ein Bunkergebäude zurückgezogen. Als "Hunter" versucht man sein Glück darin, die in eine wachsende Anzahl von Regionen in Form einzelner, teils prozedural generierter Karten zu erkunden, wertvolle Beute zu sammeln und es wieder lebendig zum Abholpunkt zu schaffen.

Mit der Beute lassen sich Ausrüstung verbessern, eine kleine Basis mit Craftingmöglichkeiten aufbauen und Quests einlösen. Oder man versetzt sie gegen Rubel und kauft sich damit stärkeres Equipment. Der Gefahren gibt es einige. Aggressive Tiere konventioneller und mutierter Form begegnen dem Spieler ebenso feindselig wie andere "Hunter" oder Banditen. Auch das (gut gerüstete) Militär ist präsent, verhält sich aber anfangs neutral, wenn man nicht gerade die Soldaten unter Feuer nimmt. Dazu kommen gefährliche Anomalien, in denen sich wertvolle Kristalle bilden und auch radioaktive Verstrahlung, die von Region zu Region stärker wird. Nacht, Nebel und mitunter auch nuklearer Regen sorgen für zusätzliche Herausforderung.

Foto: Zero Sievert

Pixelig-atmosphärische Herausforderung

Keine Gefahr hingegen stellen andere Spieler dar, denn Multiplayer ist nicht vorgesehen. Das ist schade, denn zumindest im Coop-Modus durch Wald und Stadtgebiete zu abenteuern hätte seinen Reiz.

Das Fehlen menschlicher Konkurrenz und die beinahe "knuffige" Grafik könnte zum Eindruck verleiten, dass es sich um ein einfaches Spiel handle. Das ist selbst im niedrigsten Schwierigkeitsgrad nur eingeschränkt der Fall. Zwar hält sich die Künstliche Intelligenz der Gegner in Grenzen, doch mit Sichtfeld, vergleichsweise "realistischer" Waffenhandhabe und recht begrenzter Widerstandskraft gegen bleierne Argumente kann so ein Ausflug in die "Zone" flott vorbei sein. In höheren Schwierigkeitsgraden halten Gegner nicht nur mehr aus, auch Munition und Heilmittel sind nur in geringerer Zahl verfügbar. Dazu verlangen Ausrüstung und Waffen immer wieder nach Reparatur, um zuverlässig zu bleiben. Nur wenig ist in diesem Spiel unlustiger als ein mitten im Kampf versagendes Gewehr.

Wer stirbt, bekommt ein paar Erfahrungspunkte und findet sich beim Bunker wieder, verliert aber sämtliche Beute, die er beim aktuellen Ausflug gesammelt hat. Wem das nicht Strafe genug ist, darf auch in einem Hardcore-Modus spielen, in dem man seine Karriere als Zonenjäger nach dem Ableben komplett neu starten muss.

Das Abenteuer schreibt man selbst

Nebenbei erfährt man über Quests auch mehr über die Hintergrundgeschichte, Initiativen zur Erforschung der Zone und die Vergangenheit mancher Charaktere und besonderer Gegner. Ein erzählerisches Juwel ist "Zero Sievert" aber, ähnlich wie seine große Schwester "Tarkov", nicht. Aber immerhin blitzt in manchen Dialogen etwas rustikaler Humor auf.

Foto: Zero Sievert

Viel mehr schreibt man sich seine Abenteuer selbst. Der Kampf gegen eine Gruppe Banditen, den man mit Ach und Krach überlebt hat. Die wertvolle Beute, die man kurz vor dem Erreichen des Extraktionspunktes verloren hat, weil man dank überladenem Inventar und fehlender Munition einem Wolfsrudel nicht entkommen konnte. Die rettende Hütte, in der man bei Nacht und Nebel doch noch eine Bandage auftreiben konnte, um eine Blutung aus dem letzten Kampf zu stoppen. Sogenanntes "Risikomanagement" macht einen guten Teil des Reizes aus. Gibt man sich mit dem bisher Erbeuteten zufrieden, oder wagt man sich doch noch tiefer in die banditenverseuchte Stadt vor, um doch noch den eigenen Gegenstand für den Bau einer Munitionswerkbank zu finden?

Trotz – oder vielleicht auch wegen – der Pixelart-Optik versprüht das Game dabei viel Atmosphäre. Exzellent umgesetzt sind auch die Geräuschkulisse, inklusive Waffensounds. Die vergleichsweise einfach gehaltene Grafik hat zudem den Vorteil, dass das Game auch auf PCs und Notebooks älterer Generation gut läuft und man schlimmstenfalls Wettereffekte abschalten muss. Doch selbst das ist nach Performanceverbesserungen im letzten großen Patch auf Version 0.30 oft nicht mehr nötig.

Foto: Zero Sievert

Diese Mischung aus selbstgewählter, aber oft mit Überraschungen gespickten Herausforderungen, funktioniert. Dass das Indiegame schon in den ersten 2 Monaten nach dem Launch im November 2022 knapp 185.000 Verkäufe verzeichnete und mehr als drei Millionen Dollar an Umsatz einspielen konnte, ist kein Zufall. Die Entwickler tragen ihren Teil dazu bei und liefern regelmäßig Patches, die auch von der Spielergemeinde gewünschte Änderungen und Neuerungen beinhalten.

Fazit

Wer einen Extraction-Shooter sucht, der trotz Absenz menschlicher Gegner viel Charme und Herausforderung bietet, kommt an "Zero Sievert" nicht vorbei. Das liegt nicht nur daran, weil das Game in seiner Nische bislang allein auf weiter Flur ist, sondern weil das Spiel auch gut umgesetzt wird. Es erleichtert im Vergleich zu "Escape from Tarkov" den Einstieg, ohne dabei aber zu leicht zu werden.

Die Verlockung wertvoller Beute nebst Aufbau einer Bunkerbasis mit Craftingmöglichkeiten motiviert dazu, sich immer wieder in die zunehmend herausfordernden Gegenden der "Zone" vorzuwagen – auch wenn man ein ums andere Mal "nur" etwas Erfahrung und eine bittere Lektion in den heimatlichen Bunker mitnimmt. (gpi, 30.4.2023)