Filmarchiv-Direktor Wostry schätzt analogen Film auch für seine Langlebigkeit.

Foto: Lukas Kapeller

Nikolaus Wostry führt mit schnellen Schritten durch eine gekühlte Halle. Meterhoch stapeln sich hier rund 600.000 Filmrollen in Dosen, bei nur einem Grad Celsius. Wir sind im sogenannten Zentralfilmarchiv in Laxenburg. In der kleinen Gemeinde bei Wien, zwischen Obstbäumen und neben einem alten Forsthaus, ist das größte Filmdepot Österreichs untergebracht. Das Filmarchiv Austria, dessen Geschäftsführer Wostry ist, verwaltet mehr als 200.000 Werke, gespeichert auf etwa dreimal so vielen Filmrollen.

Wostry will die Filme nicht nur verwahren, auch beschützen. Die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit im Lager werden niedrig gehalten, der Luftaustausch hoch. Wostry und das Filmarchiv Austria hüten Österreichs größte Schatzkammer des analogen Films.

Hanekes "Lemminge" mit Rotstich

Die Digitalisierung hat aber auch die Welt der Filmarchivare verändert. "Die digitalisierte Welt ist ein zentraler Teil unserer Zivilisation. Solange diese besteht, wird Film als digitales Medium existieren. Der analoge Film als Speichermedium ist jedoch allen digitalen weit überlegen", meint Wostry. Daher fahre das Filmarchiv "eine Hybridstrategie mit analoger und digitaler Speicherung".

In den Hallen des Filmarchivs in Laxenburg trifft man an diesem Tag auch Lena Stötzel, Mitarbeiterin des Österreichischen Filmmuseums, die gerade Filmmaterial mit einem gewaltigen Rotstich digitalisiert. Es handelt sich um "Lemminge", einen frühen TV-Film von Michael Haneke. Der Rotstich des Materials lässt erahnen, dass selbst Werke von preisgekrönten Filmemachern wie Haneke laufend vor dem Verfall oder zumindest vor einem unumkehrbaren Qualitätsverlust gerettet werden müssen.

Verlorene Meisterwerke

Die Filmgeschichte ist ja auch eine Geschichte der verlorenen Filme. Gerade in den ersten Jahrzehnten des Kinos waren die Verluste hoch. Ein Grund: Filme wurden anfangs auf Nitratstreifen gedreht, einem leicht entflammbaren Material.

Ein weiterer Grund bestand darin, dass Filmstudios in erster Linie kommerzielle Interessen verfolgten und etwa Stummfilme ab Mitte der 1930er-Jahre kein Geschäft mehr waren. Um Lagerkosten zu sparen, wurden Stummfilme von den Studios im großen Stil vernichtet. Abseits davon dauerte es Jahrzehnte, bis das Kino, das seine Anfänge in schlichten Schaubuden und auf Jahrmärkten hatte, als weltvolles Kulturgut erachtet wurde.

Heute ist man sich weitgehend einig, dass Filme (und natürlich auch Serien) erhaltenswert sind. Auf welche Weise das audiovisuelle Erbe eines Landes für künftige Generationen bewahrt werden soll, ist aber eine Herausforderung. Manche Archivare sprechen gar vom "digitalen Dilemma". Die Digitalisierung mache das Filmemachen einfacher und die Werke dem Publikum leichter zugänglich, aber die Archivierung schwieriger, heißt es. Auch in Wostrys Worten schwingt große Skepsis mit, ob man digitale Filmdaten über Jahrhunderte hinweg bewahren kann.

Die analoge Archivierung wird durch den Siegeszug der Digitalisierung aber vor Probleme gestellt. Was hilft es, einen Film zu retten, der nicht mehr zugänglich ist? Es sind schon heute kaum noch Projektoren für fotografisch aufgenommene Filme im Einsatz, die Produktion fotochemischer Filmstreifen brach ein, Kopierwerke mussten schließen.

Filmmuseumsdirektor Michael Loebenstein: "Man kann sich unsere Archivarbeit vorstellen wie jene von Tempelwächtern, die ihr Wissen von Generation zu Generation weitergeben. Man muss beständig wachsam bleiben."
Foto: Philip Mortlock/ThirdMan Creative

Digitale Herausforderung

Im Österreichischen Filmmuseum zeigt man sich ohnehin optimistisch, dass das Filmerbe auch in digitaler Form für ein Publikum in einer fernen Zukunft bewahrt werden kann. "Manche Beobachter haben gesagt, digitale Langzeitsicherung sei ein Widerspruch in sich. Mein Gegenargument lautet: Dass man analoges Filmmaterial für Jahrhunderte einfach ablegen kann, und alles ist gut, ist eine schwere Selbsttäuschung", sagt Michael Loebenstein, Direktor des Filmmuseums, zum STANDARD.

Wie das Filmarchiv Austria verfolge man im Filmmuseum eine hybride Strategie – sowohl analoge als auch digitale Speicherung. "Wenn man einen Film bereits auf analogem Film hat, wäre es fahrlässig, diesen Film nicht konservatorisch anständig zu behandeln und adäquat zu lagern. Wenn ich einen Film kühl und trocken lagere, ist er in 150 bis sogar 300 Jahren immer noch da", erklärt Loebenstein. "Parallel dazu bauen wir eine auf offenen Standards basierende digitale Langzeitsicherung auf."

Die Rollen seines Lebens: Kevin Lutz verwaltet und gestaltet das Archiv des Filmmuseums mit Herzblut.
Foto: Lukas Kapeller

Anschlussfähige Magnetbänder

Filmarchive haben sich international weitgehend auf sogenannte LTO-Bänder geeinigt, um Bewegtbild digital zu sichern. LTO steht für Linear Tape Open und ist ein Magnetband, das zahlreiche Vorteile bietet. Denn LTOs wurden bei ihrer Entwicklung um die Jahrtausendwende nicht als Produkt eines einzigen Produzenten geplant. Die Hersteller, unter anderem IBM, haben sich verpflichtet, alle zwei Jahre eine neue LTO-Generation auf dem Stand der Technik anzubieten. LTO-Bänder gelten daher als anschlussfähig, als beständig (bis zu 30 Jahre) und als ein Trägermedium, das offen für freie Software ist.

Das LTO-Konsortium garantiert zudem, dass seine Magnetbänder stets auf um zwei Generationen neueren Laufwerken abspielbar bleiben. Für Filmarchive, traditionell knapp bei Kasse, ist dies ein Plus – so kann man im Einkauf auch eine LTO-Generation überspringen oder abwarten, bis die Preise fallen.

Obwohl LTO-Bänder vermutlich rund 30 Jahre lang halten können, übertrage das Filmmuseum seine digital gespeicherten Filme "spätestens alle fünf Jahre auf einen neuen Datenträger", erzählt Loebenstein. Im Übrigen sei das LTO-Band auch eine relativ nachhaltige Archivlösung. "Angesichts der Klimakrise hat ein Offlinemedium wie ein Magnetband, das ins Regal gestellt werden kann und im Gegensatz zu einem Onlinespeicher nicht permanent Strom verbraucht, ökologische Vorteile", sagt Loebenstein.

Eine Ecke im Archiv des Filmmuseums in Wien-Heiligenstadt.
Foto: Österreichisches Filmmuseum

Festplatten-Fiasko

Dass der internationale Filmkanon des 20. und 21. Jahrhunderts in 200 Jahren verlorengegangen sein könnte, gilt unter Filmarchivaren trotz Digitalisierung als eher unwahrscheinlich. Denn Filmklassiker wie "Der Pate" und "Citizen Kane" sind in vielen Sammlungen rund um den Globus gesichert. Viele weniger bekannte Filme könnten aber künftig schneller verschwinden. Ein Grund: Wenn eine analoge Filmrolle für 30 Jahre auf einem Dachboden vergessen wird, kann diese danach häufig noch abgespielt werden. Wer 30 Jahre lang einen Film auf einer Festplatte vergessen hat, hat ihn verloren.

Kevin Lutz, einer der beiden Archivleiter des Filmmuseums am Standort Wien-Heiligenstadt, erkennt dennoch kein digitales Dilemma in der Bewahrung des Kinoerbes. "Die Digitalisierung verlangt uns mehr ab, weil wir das Material und uns selbst laufend prüfen müssen. Wenn man sich bewusst ist, dass man keinen fertigen, 100 Jahre alten Standard hat, sondern dass man gerade, gemeinsam mit anderen, neue Standards entwickelt, ist es aber kein Dilemma, sondern einfach eine Aufgabe."

Sein Chef, Filmmuseumsdirektor Loebenstein, sieht es ähnlich. "Man kann sich unsere Archivarbeit vorstellen wie jene von Tempelwächtern, die ihr Wissen von Generation zu Generation weitergeben. Filme zu archivieren ist eine Pflicht auf die Ewigkeit", sagt er. "Man muss beständig wachsam bleiben." (Lukas Kapeller, 1.5.2023)