Gegen Langzeitarbeitslosigkeit könne man nur mit einem inklusiveren Arbeitsmarkt vorgehen, heißt es vom Netzwerk arbeit plus. Es fordert daher einen ressortübergreifenden Aktionsplan.

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Angesichts der aktuellen Arbeitslosenzahlen, die so niedrig sind wie zuletzt 2012, scheint der Tag der Arbeitslosen am 30. April heuer etwas aus der Zeit gefallen. Schließlich suchen Unternehmen händeringend nach Arbeitskräften, in der Politik werden bereits Rufe nach mehr Überstunden und weniger Teilzeit laut. Ist Arbeitslosigkeit in Österreich damit Geschichte?

Nicht ganz, heißt es bei einer gemeinsamen Pressekonferenz des Netzwerks "Arbeit plus" im Vorfeld des Tags der Arbeitslosen. Der Blick richtet sich auf die 75.000 Langzeitbeschäftigungslosen. Deren Anzahl geht zwar nach Spitzenwerten 2016 (122.000) und 2021 (132.000) erneut zurück, sinkt aber deutlich langsamer als die Arbeitslosenzahlen insgesamt, die im März auf 260.000 fielen.

Deutschkenntnisse und Bildungsgrad

Dadurch hat sich laut Arbeit plus die Anzahl der Menschen, die seit über fünf Jahren ohne Beschäftigung sind, in den letzten fünf Jahren verdreifacht. "Die Menschen wollen arbeiten, werden aber darin gehindert", sagt Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin des Netzwerks.

Die Statistiken sind bekannt. Ein niedriger Bildungsgrad, geringe Deutschkenntnisse und Alter gelten als Risikofaktoren am Arbeitsmarkt, besonders wenn man nach längerer Abwesenheit wieder einsteigen möchte. Das Netzwerk Arbeit plus fordert deshalb einen Aktionsplan gegen Langzeitarbeitslosigkeit: Angesichts des Arbeitskräftemangels könne man es sich nicht leisten, auf dieses wertvolle Potenzial zu verzichten.

Arbeitslosengeld gegen Armut

Es brauche ausreichende Ressourcen und ressortübergreifendes Arbeiten. Die geforderten Maßnahmen reichen von mehr Weiterbildung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis hin zu besseren Rahmenbedingungen – zum Beispiel im Bereich Kinderbetreuung und Pflege.

"Arbeitslosigkeit ist der häufigste Grund für das Abrutschen in die Armut", sagt Martin Schenk von der Armutskonferenz. 2022 lebten in Österreich 200.000 Menschen in Armut. Angesichts der Teuerung werde oft zielgerichtete Unterstützung für die Betroffenen gefordert. Laut Schenk könne man da mit höherem Arbeitslosengeld gezielt helfen, 70 Prozent des Einkommens seien ein guter Richtwert. "Wer existenzielle Sorgen hat, wird sich schwertun, einen Job zu finden", sagte er. Zudem brauche es wie bei den Löhnen eine laufende Anpassung des Arbeitslosengeldes an die Inflation.

Das Arbeitslosengeld hängt auch von der Bezahlung der Branche ab, in der man vorher gearbeitet hat.
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Wirtschaftlich bleiben

Manuela Vollmann, selbst Unternehmerin und Vorsitzende bei Arbeit plus, nahm darüber hinaus auch die Unternehmen in die Pflicht. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, um einen inklusiveren Arbeitsmarkt zu errichten, beispielsweise indem Unternehmen Angebote für Care-Arbeit schaffen. Darüber hinaus sei leistbare, qualitativ hochwertige Weiterbildung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft unbedingt notwendig – nicht nur als Anreiz für Mitarbeitende, sondern auch, um als Unternehmen wirtschaftlich zu bleiben.

Neben der Digitalisierung, die besonders für ältere Menschen eine Bedrohung darstellt, rückt Vollmann auch Deutschkurse in den Fokus. 70 Prozent aller Arbeitslosen in Wien sprechen nicht Deutsch als Muttersprache. Da müsse man sich anschauen, wie Deutschkurse wirklich angeboten werden und welche Qualität sie haben. Weiterbildung, egal in welchem Bereich, muss laut ihr hochqualitativ sein: "Sonst wird es wieder so sein, dass der nächste Job nicht lange behalten werden kann."

Schritt für Schritt

Ein Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, besonders nach längerer Arbeitslosigkeit, muss Schritt für Schritt erfolgen, betonen die Experten. Außerdem sollen Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten besser ineinandergreifen, beispielsweise indem man Deutsch teils praxisnahe am Arbeitsplatz lernt. Unternehmen wie die Volkshilfe Wien und ABZ Austria, das von Manuela Vollmann gegründet wurde, unterstützen bei diesem schrittweisen Wiedereinstieg.

"Jeder hat eine zweite, dritte und vierte Chance verdient. Wir wollen niemanden zurücklassen", sagt Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien. Die Risikofaktoren reihen sich oft aneinander, erklärt Stellvertreterin Daniela Kimmel. Wenn nach niedrigem Bildungsabschluss und geringen Deutschkenntnissen auch noch eine längere Kinderzeit hinzukommt, sei der Wiedereinstieg oft schwierig. Bessere Betreuungsangebote können da präventiv wirken, indem Frauen dem Arbeitsmarkt weniger lang fernbleiben und den Anschluss – auch an die technische Weiterentwicklung – nicht verlieren.

Ein Jahr bis zur Pension

Die Wiedereinstiegsprogramme von AMS und den "sozialen Unternehmen" der Initiative Arbeit plus stellen eine Übergangslösung dar. Das weiß auch Frau Maria. Die 59-Jährige arbeitete bis 2020 in einem Souvenirshop in der Kärntner Straße, in der Pandemie wurde sie arbeitslos. Nach längerer Jobsuche arbeitete sie als Verkäuferin im Rahmen eines AMS-Programms im Volkshilfe-Shop am Keplerplatz. Doch dieses Programm ist jetzt ausgelaufen.

Gemeinsam mit ihrer Sozialarbeiterin hat sich Frau Maria bei vielen verschiedenen Einzelhändlern beworben. "Aber niemand will jemanden, der schon in einem Jahr in Pension gehen kann" – auch wenn sie das gar nicht vorhat, da ihr die Arbeit als Verkäuferin so Spaß macht.

Soziale Hängematte

Die Inflexibilität des Systems, das eine längere Anstellung Frau Marias bei der Volkshilfe nicht ermöglicht, ärgert die beiden Leiterinnen sichtlich. "Unser Versicherungssystem für Arbeitslose ist nur auf jene Menschen ausgelegt, die wenige Monate arbeitslos sind", kritisiert Wehsely. Dabei werden viele Menschen zurückgelassen, denen dann auch noch vorgeworfen wird, faul zu sein und auf Staatskosten zu leben. "Wir sehen tagtäglich, dass die Menschen arbeiten wollen." (Magdalena Frei, 27.4.2023)