1942 gelangte Gustav Klimts Gemälde "Nixen" (1902/03) über Anweisung des Reichsstatthalters in die Österreichische Galerie. 1963 kam es über ein Tauschgeschäft in den Kunsthandel und später in die Sammlung der ehemaligen Z-Länderbank.

Foto: Albertina

Gustav Klimt gilt als teuerster Künstler Österreichs. Zuletzt wechselte bei Christie’s im November sein Birkenwald (1903) für stolze 105 Millionen Dollar den Besitzer. Für Mitte Mai kündigte Sotheby’s jetzt die Versteigerung einer Attersee-Ansicht an: Um die 45 Millionen Dollar soll Insel im Attersee (1902) in New York einspielen.

Angesichts all der Ausstellungen, die seit Jahren das Klimt’sche Schaffen ausleuchten, würde man vermuten, dass er auch zu den am besten erforschten Künstlern der österreichischen Moderne gehört. Geht es um die Provenienz seiner Gemälde, genauer um die ehemaligen Vorbesitzer, dann ist die Faktenlage allerdings teils spärlich.

Ausgenommen davon sind nur jene Werke, die im Hinblick auf mutmaßliche Entziehung in der NS-Zeit bereits Gegenstand detaillierter Provenienzforschung waren. Sieht man von der hierzulande systematisch betriebenen Bearbeitung von Beständen in öffentlichem Eigentum ab, findet eine Rekonstruktion der historischen Besitzverhältnisse nur fallweise statt. Etwa im Vorfeld von Verkäufen, um allfällige Ansprüche von Erbinnen und Erben jüdischer Vorbesitzer zu klären.

Ein bislang in keinem Klimt-Werkverzeichnis erfasstes "Damenbildnis" von Gustav Klimt. 1928 gastierte es als Leihgabe im Wiener Künstlerhaus ("Wienerin"), 1935 illustrierte es einen Artikel über die Sammlung Josef Sillers, die im April 1945 bei einem Bombenangriff zerstört wurde.
Foto: Repro „Die Internationale Kunstwelt“

Fehlende Provenienzforschung

Als Quelle zur Identifikation der Vorbesitzer dienen die Werkverzeichnisse zu den Gemälden Gustav Klimts: jenes von Fritz Novotny und Johannes Dobai von 1967 (Verlag Galerie Welz, 2. Auflage 1975), gefolgt von Alfred Weidingers 2007 (Prestel-Verlag) sowie jenem von Tobias Natter von 2012 (Taschen-Verlag). Letzteres erschien 2017 auch als Studienausgabe, für die in einigen Fällen "die Provenienzangaben einer Revision unterzogen" wurden, wie es im Impressum heißt.

Eine Anmerkung, die für Besitzerangaben eine gewisse Aktualität impliziert, jedoch nicht durchgängig gewährleistet ist. Denn so wünschenswert oder auch naheliegend eine Zusammenarbeit von Kunsthistorikern und Provenienzforscherinnen wäre, sie ist im wissenschaftlichen Bereich eine Ausnahme.

Das sollte wenigstens für all jene Kunstwerke gelten, die in Bundesmuseen gezeigt werden: nicht so bei Gustav Klimts Nixen (Silberfische), einem um 1902/03 datierten Bild, das noch bis Ende Mai in der im Belvedere anberaumten Ausstellung Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse ... gastiert. Sonst befindet es sich in der Albertina, genauer seit 2012 als Dauerleihgabe der Unicredit Bank Austria (davor Z-Länderbank).

Mitte Mai kommt bei Sotheby’s in New York Klimts "Insel im Attersee" zur Versteigerung. Den Schätzwert beziffert das Auktionshaus mit etwa 45 Millionen Dollar. Das Gemälde gehörte einst dem Ehepaar Hellmann: Irene Hellmann und ihr Sohn wurden in der NS-Zeit ermordet.
Foto: Sotheby’s

Verdächtiger Ankauf 1942

An Museen verliehenes Privateigentum unterliegt jedoch nicht der systematischen Beforschung. Auf STANDARD-Anfrage teilt ein Bank-Austria-Sprecher mit, dass "Experten des Kunstforums Wien, der Bank Austria und eine externe Kunsthistorikerin" geforscht hätten. Ergebnisse waren nicht in Erfahrung zu bringen. Ein Entzug in der NS-Zeit ist jedoch nicht ausgeschlossen. Denn die Nixen wechselte 1942 den Besitzer: Den Angaben in den Werkverzeichnissen zufolge erwarb die Österreichische Galerie das Bild aus der Sammlung eines gewissen Josef Siller.

Recherchen der Belvedere-Provenienzforscherin Monika Mayer erzählen jedoch eine andere Version. Sie fand im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA) einen Aktenvermerk, wonach der Reichsstatthalter das Bild für 1500 Reichsmark ("bar") von einem gewissen Oskar Hamel ankaufte. In einem Schreiben vom Dezember 1946 vermerkte der damalige Direktor Fritz Novotny, dass das Bild in Folge "ohne Bezahlung" angewiesen worden war, und weiters, dass sich die ehemaligen, "unbekannten Eigentümer" bisher "nicht gemeldet" hatten.

Vormals Sammlung Felix Kohn

Als Erstbesitzer nennt Natter einen bekannten Unternehmer: Felix Kohn, einer der Gesellschafter des auf die Produktion von Bugholzmöbel spezialisierten Unternehmens Jacob & Josef Kohn, der 1906 verstarb. 1908 ist das Werk im Familienbesitz dokumentiert, wie ein 1908 in der Zeitschrift Das Interieur veröffentlichtes Foto des Musiksalons zeigt: Seite an Seite hängt es dort mit einem weiteren Klimt-Bild, dem Bauernhaus in Kammer am Attersee (1901; Natter WvZ-Nr. 135). Einer Nachfahrin zufolge erbten zwei Söhne die Bilder, die während des Ersten Weltkrieges aus wirtschaftlichen Gründen verkauft worden sein sollen: "aufgegessen", lautete die überlieferte familiäre Formulierung.

Die Nixen wurden im April 1918 vom Buch- und Kunstantiquar Ignaz Schwarz versteigert: Laut Belvedere-Kurator Markus Fellinger fanden sie für 4000 Kronen einen neuen Besitzer. Wer sie erwarb, ist derzeit noch unbekannt. Die Spur des Bildes verliert sich, bis es 1943 (bereits im Eigentum des Museums) in einer Ausstellung gezeigt wird.

Wie es zu der Zuordnung an die Sammlung Siller kam, die Dobai in seiner Dissertation 1958 ins Spiel brachte, ist nicht mehr rekonstruierbar. Bei Josef Siller (1871–1948) handelte es sich um den Betreiber eines Hotels und Cafés am Schwedenplatz, der 1934, gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna, auch das vor dem Konkurs stehende Hotel Sacher übernahm. Er galt als einer der bedeutendsten privaten Kunstsammler Wiens und nannte in Spitzenzeiten rund 1500 Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts sein Eigen.

Die "Nixen", zeitweise auch als "Meeralgen" bezeichnet, gehörten einst dem Bugholz-Unternehmer Felix Kohn: hier auf einer 1908 veröffentlichten Innenaufnahme des Musikzimmers der Familie. 1918 wechselte das Bild über eine Auktion in vorerst unbekannten Besitz.
Foto: Albertina, Repro "Das Interieur"

Josef Siller: von Klimt-Forschern ignoriert

Darunter befanden sich STANDARD-Recherchen zufolge auch drei Gemälde von Klimt. Obwohl Siller in zeitgenössischen Publikationen im Umfeld von Ausstellungen als Besitzer dieser Bilder genannt wurde, blieb das in den Werkverzeichnissen bisher unberücksichtigt: beim bislang unbekannten Bildnis Wienerin, das er 1928 für eine Klimt-Gedächtnisausstellung zur Verfügung stellte, sowie dem Bild Der Pelzkragen (1916, Natter WvZ-Nr. 218, "Verbleib unbekannt"), das einen in der Österreichischen Kunst 1935 publizierten Beitrag über die Kaiser-Franz-Josef-Ausstellung illustrierte.

Für die Klimt-Gedächtnisausstellung 1943 hatte Siller, laut Akten im Belvedere, außerdem das Bild Dame mit Hut verliehen, vermutlich das bei Natter als Der violette Hut (Natter WvZ-Nr. 183, "Verbleib unbekannt") erfasste. Die Gemeinsamkeit dieser drei Klimts: Sie wurden bei einem Bombenangriff im April 1945 zerstört, wie die gesamte Sammlung des Hoteliers, die im vermeintlich sicheren Luftschutzkeller am Schwedenplatz eingelagert war.

Das Nixen-Bild dürfte jedoch nie im Besitz Josef Sillers gewesen sein, jedenfalls findet sich dazu kein einziger Hinweis, auch nicht im Aktenfundus des Bundesdenkmalamts, das ab 1939 mit Siller über eine fachgerechte Einlagerung der in Listen erfassten nationalen Kulturgüter korrespondierte.

Illegaler Nazi: Oskar Hamel

Das Gemälde taucht erst wieder im Umfeld Oskar Hamels auf. Der ehemalige Finanzbeamte hatte sich 1923 als Antiquitätenhändler selbstständig gemachte. Ab Mai 1933 war er Mitglied der NSDAP und trat 1937 der Vaterländischen Front bei, wie Gabriele Anderl in einem Beitrag im Lexikon der österreichischen Provenienzforschung schreibt.

In der NS-Zeit profitierte er von Notverkäufen Verfolgter derart, dass sich sein Vermögen "auf mehr als das 13-Fache" vergrößerte, wie über ein 1945 vor dem Wiener Volksgericht eingeleitetes Verfahren bekannt wurde. Noch ehe es zu einer Verhandlung kam, starb er in Untersuchungshaft. Die beispielsweise von ihm an die Städtischen Sammlungen verkauften Kunstgüter von Isidor und Jenny Mautner wurden mittlerweile restituiert.

Klimts Gemälde "Der Pelzkragen" gelangte vermutlich über eine Versteigerung (Albert Kende, Oktober 1931) in die Sammlung von Josef Siller. 1935 wurde eine Abbildung samt Angaben zum Besitzer in der Zeitschrift "Österreichische Kunst" veröffentlicht.
Foto: Repro „Österreichische Kunst“

Unklarheiten bleiben

Klimts Nixen wurden von der Österreichischen Galerie 1963 bei einem Kunsthändler namens Spany gegen zwei Werke von Michael Wutky getauscht. Ob sich Fritz Novotny damit wissentlich eines Problems entledigte, muss eine Mutmaßung bleiben. Gesichert ist, dass die Provenienz dieses Werkes einer Klärung bedarf.

Im Vorfeld des Abverkaufs der Kunstsammlung der Bank Austria (2019–2021) war das Bild von Auktionshäusern geschätzt worden: auf etwa 20 Millionen Euro, die es mit einer tadellosen Herkunftsgeschichte einspielen könnte. Eine solche wird aktuell von Sotheby’s für Klimts Insel im Attersee deklariert.

Eine 45-Millionen-Dollar-Trophäe

Das Gemälde gehörte einst Paul und Irene Hellmann, wie in einem Notariatsakt von 1926 dokumentiert ist. Danach soll es im Besitz der Familie von Irenes Bruder Josef Redlich (1869–1936) gelandet sein. Eine Angabe, die in allen Werkverzeichnissen aufscheint. Einen Nachweis dürfte es dafür allerdings nicht geben, vielmehr stützt man sich dabei auf Auskünfte von Otto Kallir aus dem Jahr 1965.

Der jüdische Kunsthändler musste bekanntlich selbst fliehen und baute sich ab 1939 in New York eine neue Existenz auf. 1937 gastierte Insel im Attersee bei einer Ausstellung im Kunsthaus Bern, konkret als Leihgabe seiner "Neuen Galerie". Ob Kallir damals der Eigentümer oder nur Kommissionär war, ist unklar. An wen er welchen Betrag für das Bild bezahlte, war auf Anfrage nicht in Erfahrung zu bringen. Jene, die seitens der Familie Hellmann noch Auskunft geben könnten? Paul starb im Dezember 1938 in Wien, sein Sohn Bernhard und seine Witwe Irene wurden von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. (Olga Kronsteiner, 30.4.2023)