Kohlenstoffspeicher, Dünger, erneuerbare Energien: Wie bekommen wir die Landwirtschaft – hier ein Feld mit Winterweizen – klimaneutral?

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Landwirte haben einen komplizierten Zugang zum Klimawandel. Sie sind die Ersten, die von Trockenheit oder Starkregen betroffen sind. Ihre Rinder gelten als Klimasünder – und von Umweltschützern wird ihnen vorgeworfen, ihretwegen verschwänden Vögel und Insekten. Dabei arbeiten sie jeden Tag in der Natur, mit ihren Böden, Pflanzen, ihrem Vieh. Der Beruf an sich sei schon nachhaltig, heißt es deshalb manchmal.

Wer verstehen will, welche Rolle der Landwirtschaft beim Lösen der Klimakrise zukommt, der muss alte Gewissheiten über Bord werfen. Gehen wir es an.

1. Wie groß ist ihr Fußabdruck?

Jedenfalls zu groß, um die Klimakrise ohne die Landwirtschaft zu lösen. Das ganze Ernährungssystem verursacht global 26 Prozent der Treibhausgase. Werden keine Maßnahmen getroffen, macht allein unsere Ernährung die Pariser Klimaziele unerreichbar.

Nimmt man nur die Landwirtschaft her – also etwa ohne Transport mit Lkws –, kommt man in Deutschland auf einen Anteil von 14 Prozent, in Österreich auf elf Prozent der Treibhausgase des Landes. Da fehlen noch immer etwa extrem klimaschädliche Sojaimporte aus Südamerika, aber als erste Annäherung sind diese Zahlen einmal verlässlich genug.

Vor allem drei Dinge verursachen die Treibhausgase: Aus einer Wiese einen Acker zu machen setzt CO2 frei, das firmiert unter "Landnutzung". Aus den Mägen von Wiederkäuern, bei uns vor allem Rindern, kommt vorne und hinten Methan raus. Und die energieintensive Herstellung und die Ausbringung von Mineraldünger (CO2 und Lachgas).

2. Geht Landwirtschaft klimaneutral?

Die einfache Antwort: nein. Die kompliziertere: Das kommt darauf an, wie man zählt.

Dass ein Traktor mal mit erneuerbarer Energie fährt: geht, mit E-Fuels. Dünger mit Erneuerbaren herstellen: ist teuer, aber geht. Beim Ausbringen von Dünger kein Lachgas verursachen: geht nicht. Rinder halten, ohne dass sie Methan ausstoßen: geht nicht. Darum ist ein größerer Blick sinnvoll.

Traktoren sollen künftig mit E-Fuels betrieben werden.
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Das versucht die EU-Kommission, die den gesamten Landnutzungssektor in der EU klimaneutral machen möchte – und das schon bis 2035. Das umfasst die Landwirtschaft, Wälder und die Böden. Die Emissionen, die nicht zu vermeiden sind, lassen sich dann etwa dadurch ausgleichen, dass die Wälder wachsen oder der Boden mehr Kohlenstoff bindet.

3. Okay, wie könnte das funktionieren?

Es passiert schon. In Österreich wächst der Wald. Das liegt etwa daran, dass Almen aufgelassen werden. Sie verbuschen und werden mit der Zeit zu Wald. Das bindet Kohlenstoff, für die Pflanzen und Tiere, die dort lebten, geht der Lebensraum aber verloren.

Auch landwirtschaftlich genutzte Böden binden heute mehr Kohlenstoff als noch vor 30 Jahren. In den 1960er-Jahren war es an der Tagesordnung, Stroh auf Feldern zu verbrennen, sagt Sophie Zechmeister-Boltenstern von der Wiener Universität für Bodenkultur. Den Boden zu schonen sei auch sonst nicht im Fokus gewesen, so wurde viel CO2 freigesetzt. Seit den 1990er-Jahren steigt der Humus-Gehalt der österreichischen Böden aber wieder, weil schonender gearbeitet wird.

Es gibt noch mehr Potenzial, wie eine Arbeit des Forschungsinstituts Wifo zeigt. Landwirte können ihre Äcker das ganze Jahr über bedeckt lassen. Etwa indem nach der Maisernte sofort wieder Pflanzen angebaut werden, statt den Acker brach liegen zu lassen. Statt den Boden stark zu bearbeiten, kann man Saatgut nur in den Boden einschlitzen. So reichert sich Kohlenstoff im Boden an. Auch das Ausbringen von Kompost auf Feldern bindet Kohlenstoff. Dafür braucht es mehr Förderungen.

Wie viel CO2 so gebunden werden kann, ist unklar. In der EU gibt es Berechnungen, die von wenigen Prozent der Emissionen der Landwirtschaft in einigen Ländern bis zu 27 Prozent in anderen reichen. Für Österreich kommt das Wifo auf weniger als ein Prozent pro Jahr. Das liegt auch daran, dass die Böden hierzulande in besserem Zustand sind als anderswo, sagt Ina Meyer vom Wifo. Je degradierter die Böden, desto mehr Kohlenstoff können sie noch speichern.

4. Was ist mit den Mooren?

Pflanzen bestehen, wie auch Menschen, zum Teil aus Kohlenstoff. Sterben sie, werden beide von Würmern und Mikroorganismen zersetzt. Bei Pflanzen, die in sehr feuchter Vegetation absterben, funktioniert das nicht ganz, weil Sauerstoff fehlt. Die Pflanzen sammeln sich, halb zersetzt, im Boden und bilden nach und nach Torf. So entstehen Moore, die deshalb Unmengen an Kohlenstoff gespeichert halten. Legt man ein Moor trocken, entweicht CO2 in die Atmosphäre.

Die Größenordnung: 80 Prozent der Moore der Welt sind noch halbwegs intakt, mehr als die Hälfte von ihnen binden weiter Kohlenstoff. Dass sie das tun, ist von enormer Bedeutung für die Zukunft der Menschheit. Denn die restlichen 20 Prozent sind trockengelegt, wie die meisten in Österreich und Deutschland. Sie sacken jedes Jahr ein bisschen ab, der Kohlenstoff wird zu CO2 und erhitzt die Erde. Sechs bis sieben Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen so.

Moore binden Kohlenstoff.
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Der Agrarwissenschafter Harald Grethe rechnet vor: Legt man ein Moor trocken, entweichen pro Jahr etwa 30 bis 35 Tonnen CO2 pro Hektar. Pro Tonne rechnet man mit 200 Euro an Schäden durch den Klimawandel. Das sind Kosten von 7.000 Euro pro Jahr, die ein trockengelegtes Moor für die Gesellschaft verursacht. So viel kann ein Landwirt dort nie und nimmer verdienen, der daraus etwa einen Acker macht. Man kann dem Landwirt also einen Bruchteil davon als Förderung geben und die Gesellschaft als Ganze profitiert.

Die Trockenlegung von Mooren wurde in der Vergangenheit als Kulturleistung gefeiert. Man gewann zusätzliche Flächen für die Landwirtschaft, über die daraus entstehenden Klimaschäden wusste man nicht Bescheid. Jetzt muss man sie wieder vernässen, manche vielleicht ganz aus der Nutzung nehmen und sie der Natur "zurückgeben", andere nass bewirtschaften, also statt eines Ackers dort etwa Schilf oder Rohrkolben für die Bauwirtschaft anbauen.

Die Grundeigentümer und Landwirte müssen dafür natürlich entschädigt werden. In Deutschland sorgen trockengelegte Moore für 7,5 Prozent der Treibhausgase des Landes. Trotzdem lohnt sich auch hier die Wiedervernässung.

5. Wie ernähren wir die Welt?

Während es in Europa darum geht, Altlasten abzuarbeiten, gilt für andere Regionen, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Ein Wald, der zur Weide, ein Moor, das zur Wiese, oder eine Wiese, die zum Acker wird, stößt Unmengen an CO2 aus. Der Druck, zusätzliche Flächen umzubrechen, ist groß, weil es immer mehr Menschen gibt, die immer mehr essen. Das betrifft nicht nur Südamerika oder Afrika, sondern indirekt auch uns. Denn die Lebensmittelmärkte sind globalisiert. Was hier produziert wird, muss anderwo nicht angebaut werden.

Darum ist es wichtig, auf der bestehenden landwirtschaftlichen Fläche der Erde möglichst viel zu produzieren. Je mehr Kartoffeln auf einem Feld geerntet werden, desto weniger neue Felder muss man anlegen, wenn mehr Kartoffeln gegessen werden. Das ist einer der Gründe, warum viele Agrarwissenschafter der Bio-Landwirtschaft skeptisch gegenüberstehen. Sie sorgt zwar für mehr Biodiversität, schafft aber auf derselben Fläche 20 bis 30 Prozent weniger Ernte.

Die Produktivität lässt durch bessere Ausbildung und neue Technologien erhöhen – etwa durch GPS-Steuerung von Maschinen und Drohnenbilder. Mit Gentechnik lässt sich Saatgut züchten, das auf derselben Fläche mehr Ernte bringt. Wenn wir nicht mehr Raps für Biosprit anbauen müssen, weil die Autos elektrisch fahren, sparen wir auch viele Flächen ein. Biosprit zu verfahren ist extrem ineffizient. Genau wie Tierfutter anzubauen statt gleich Lebensmittel.

6. Was ist jetzt mit Tierfutter?

Ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche wird dazu verwendet, nicht Essen für uns, sondern Essen für unser Essen anzubauen. Mais für Rinder, Soja für Schweine, Weizen für Hühner. Derzeit werden 59 Kilo Fleisch pro Kopf in Österreich abgesetzt. Vor fünf Jahren waren es noch 65 Kilo. Je weniger tierische Lebensmittel gegessen werden, desto geringer ist der Druck auf neue Flächen.

Das heißt übrigens nicht, dass die heimischen Betriebe unbedingt weniger produzieren sollten – im Gegenteil. Denn Rindfleisch aus Österreich hat einen niedrigeren Fußabdruck als in vielen anderen Ländern, weil hierzulande viel Gras verfüttert wird. Wenn in Österreich gleich viel oder mehr Rinder- und Schweinefleisch produziert, aber, sagen wir, nur mehr die Hälfte davon gegessen wird, dann wäre das der ideale Beitrag zum Klimaschutz. Der Rest könnte exportiert werden.

Das klingt kontraintuitiv, aber der Transport von Lebensmitteln ist nur ein sehr kleiner Teil ihrer Klimawirkung. Landnutzung ist viel wichtiger. Kompliziert macht es, dass Treibhausgase in der EU nach Produktionsort berechnet werden. Die Mehrproduktion würde die offiziellen Emissionen Österreichs erhöhen, obwohl sie nicht hier konsumiert werden würden – und anderorts dadurch erst gar keine Emissionen anfielen. Die tatsächliche Klimawirkung wäre aber positiv.

7. Was ist mit Fürzen und Rülpsern von Rindern?

Methan ist das wichtigste Klimagas der Landwirtschaft. In Österreich macht es 59 Prozent der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft aus. Weil es aber anders als CO2 nicht lange in der Atmosphäre bleibt, sondern nach zwölf Jahren wieder verschwindet, lohnt ein genauerer Blick.

Eine Pflanze entzieht der Luft beim Wachsen CO2. Die Kuh frisst diese Pflanze und baut den Kohlenstoff in Methan um. Der kommt dann per Rülpser wieder in die Luft, wird dort aber eben nach wenigen Jahren wieder abgebaut, zu Wasser und CO2. Die Menge an CO2 bleibt aber gleich, weil die Pflanze es zuvor ja der Luft entzogen hat. Auch die Menge an Methan bleibt gleich, solange die Zahl der Rinder (oder Schafe und Ziegen) gleich bleibt.

Die heute knapp zwei Millionen Rinder in der österreichischen Landwirtschaft sorgen also im Vergleich zur vorindustriellen Zeit für keine Erwärmung der Erde. Das wird oft als Argument von Vertretern der Landwirtschaft vorgebracht, um zu argumentieren: Wir haben unsere Hausaufgabe schon erledigt.

Klar ist aber: Wenn weniger Fleisch und Käse gegessen wird und die Zahl der Rinder global deshalb sinkt, sinkt die Methankonzentration in der Luft. Das bremst den Klimawandel.

8. Kann man den Rindern nicht Algen verfüttern?

Weniger Käse, Milch und Rindfleisch zu konsumieren und die Zahl der Rinder auf der Welt zu senken hilft beim Abbremsen des Klimawandels. Es wird aber auch damit experimentiert, Rindern Zusätze wie Algen zu verfüttern, damit sie bei der Verdauung weniger Methan produzieren. Auch das könnte dann den Klimawandel bremsen.

Weniger Rinder bedeuten weniger Methankonzentration in der Atmosphäre.
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Da lässt sich aber nicht besonders viel machen, sagt Wilhelm Windisch, Professor für Tierernährung an der TU München. Das Methan brauche die Kuh für die Verdauung. Einzig der Zusatz 3-Nitrooxypropanol, der in der EU schon zugelassen sei, sei gut gemacht. "Der betrifft nur die allerletzten Bakterien bei der Verdauung und kann die kurzfristigen Methanemissionen um 30 Prozent senken", sagt Windisch.

Futterzusätze hält Windisch für einen Nebenschauplatz. Was wirklich helfe: die Futtereffizienz zu erhöhen. Also: pro Kilo Futter mehr Milch oder Fleisch produzieren. Denn etwa sechs Prozent der verdaulichen Energie würden zu Methan, sagt Windisch. Wer also Rinder züchtet, die mit weniger Futter mehr Milch oder Fleisch produzieren, senkt damit die Emissionen.

Eine sorgsamere Tierhaltung und bessere Tiergesundheit seien dafür wichtig. Wenn Kühe nicht schon nach drei, sondern erst nach der Geburt von vier Kälbern aussortiert würden, könnte die Herde mit weniger Jungvieh auskommen. Das reduziere den Futterbedarf weiter. Derzeit werden Kühe früh aussortiert, weil der Leistungsdruck enorm ist. Auch durch Beratung könnte die Effizienz von Betrieben noch deutlich gehoben werden, so Windisch.

9. So, und irgendwas mit Dünger war noch?

Ja, ohne Dünger keine Landwirtschaft. Kalium und Phosphor kann man abbauen, aber Stickstoff muss mühsam mit dem Haber-Bosch-Verfahren aus der Luft gewonnen werden. Das wird vor allem mit Erdgas gemacht, in China auch mit Kohle. Insgesamt ist das Haber-Bosch-Verfahren so für ein Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sechs Mal mehr als Österreich!

Hier gibt’s drei Auswege: dort, wo es viel davon gibt, Wind und Sonne dafür verwenden. Das ist noch teuer, aber weil fossile Energie immer teurer wird, schon leistbarer. Man kann die Emissionen bei fossiler Energie auch abfangen und unter der Erde verstauen – das wird etwa in Norwegen oder Island praktiziert. Oder man stellt den Wasserstoff aus Biomasse her.

Neben der Erzeugung des Düngers fallen auch bei der Ausbringung auf dem Feld oder der Wiese Emissionen an. Ein Teil des Stickstoffs geht nicht in den Boden, sondern als Lachgas in die Luft und trägt zum Klimawandel bei. Das kann man nicht ganz verhindern, aber wenn weniger und gezielter gedüngt wird, deutlich reduzieren. Hier helfen Präzisionslandwirtschaft, GPS und Drohnen.

10. Wie wird die Landwirtschaft jetzt klimaneutral?

Der erste Schritt ist, die Emissionen so gut es geht zu senken. Dabei helfen Zusätze, die dem Futter von Wiederkäuern beigemengt werden, und eine höhere Futtereffizienz – also mit derselben Menge an Gras und Mais mehr Milch oder Fleisch herzustellen. Beides senkt den Methanausstoß pro Kilo.

Dünger muss künftig mit erneuerbarer Energie produziert und sparsamer ausgebracht werden, das geht durch mehr Beratung und Ausbildung, aber auch indem man eine Steuer auf Dünger einhebt. Wenn Landwirte auf derselben Fläche mehr produzieren, etwa durch besseres Saatgut, modernere Maschinen oder mehr Know-how, braucht es global betrachtet weniger zusätzliche Flächen.

Wenn es mehr Fördergeld dafür gibt, den Boden schonender zu bearbeiten, kann auch in den Äckern mehr Kohlenstoff gespeichert werden. Die Mengen sind hier aber klein. In Deutschland ist die Wiedervernässung von Mooren ein wichtiger Beitrag zum Absenken der Emissionen.

Auf der Konsumseite ist der wichtigste Beitrag, die Menge an tierischen Produkten in der Ernährung zu reduzieren. Derzeit werden 59 Kilo pro Jahr pro Kopf in Österreich abgesetzt. Das muss eher in Richtung 20 bis 30 Kilo, um nachhaltig zu sein. Weniger tierische Produkte zu essen ist viel wichtiger, als lokal einzukaufen. Beim Umstieg helfen Ersatzprodukte.

Auf null sind die Emissionen in der Landwirtschaft aber nicht zu bringen. Das lässt sich aber durch den Schutz und Ausbau von Wäldern und anderen natürlichen Ökosystemen zumindest zum Teil ausgleichen. In der Landwirtschaft gibt es also nicht die eine Maßnahme, die alle Probleme löst. Aber es gibt jede Menge zu tun. Die Zeit bis 2035 drängt. (Andreas Sator, 30.4.2023)