Schneckengehäuse und Molekularstrukturen im Kunsthaus Bregenz.

Foto: Markus Tretter

Ein rätselhaftes Geschöpf hat sich im Kunsthaus Bregenz eingenistet, mal schillert es verführerisch in Regenbogenfarben, mal schmiegt es sich todbringend an Seevögel, immer ist es da, durchdringt jeden Winkel des modernen Lebens vom Autotank bis zum Asphalt, von der Kosmetik bis zum Kaugummi. Die Rede ist vom Erdöl, das bei Monira Al Qadiri als eine Art Frankenstein’sches Monster auftritt: Wir haben mit ihm unseren eigenen (Klima-)Killer erschaffen und kommen doch nicht davon los.

Daraus erwachsen Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten, die auf dem Drahtseil der Widersprüchlichkeiten balancieren und damit Fragen zu den Dilemmata unserer Existenz, zu Wohlstandsversprechen, Globalisierung oder auch Geschlechteridentitäten aufwerfen wollen.

Bohrköpfe als Modell

Bohrköpfe stehen der kuwaitischen Künstlerin Modell für rotierende Objekte, die sie mit irisierenden Autolacken überzieht und die man für phallische Raketen oder auch futuristische Schmuckstücke halten könnte. In mythenumwobenen Wüstenregionen lässt sie ölschwarze Glasperlen wie Meteoriten einschlagen. Damit hat Al Qadiri zuletzt viel Aufmerksamkeit erregt, war in internationalen Großausstellungen wie der Venedig-Biennale 2022 vertreten und hat sich den Ruf als eine der wichtigsten künstlerischen Stimmen aus der Golfregion erarbeitet.

Mal schillert es verführerisch in Regenbogenfarben, mal schmiegt es sich todbringend an Seevögel – immer ist das Öl da, durchdringt jeden Winkel des modernen Lebens.
Foto: Markus Tretter

Was dran ist an diesem Ruf, kann man nun in ihrer bislang umfassendsten Einzelausstellung erkunden, mit der Kunsthaus-Bregenz-Chef Thomas D. Trummer einmal mehr bestrebt ist, ganz nah am Puls der Zeit zu agieren. Beim Thema Erdöl lässt sich das kaum bestreiten.

Al Qadiris analytisch-poetischer Zugriff auf dieses Thema bezieht seinen Reiz auch daraus, dass er so gar nicht als plumpe Anklage daherkommt. Er ist außerdem – das zeigt sich an den eigens für die Bregenzer Schau konzipierten Arbeiten – eng mit ihrer Biografie verknüpft.

"Ich bin eine Mutantin"

Geboren wurde Al Qadiri 1983 im Senegal, aufgewachsen ist sie in Kuwait, mit 16 Jahren ging sie nach Japan, studierte dort Malerei und lebt heute in Berlin. "Ich bin eine Mutantin", sagt sie, wenn man sie zu ihrer Identität befragt. Und meint damit nicht zuletzt auch die durch den fossilen Rohstoff verursachten Mutationen der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen ist.

Als selbsterklärtes "Post-Oil-Baby", also als Angehörige einer Generation, deren Kindheit geprägt war vom rasanten ökonomischen Wandel, den der Erdölboom bewirkt hat, aber auch von irakischer Okkupation und Krieg. Heute steht sie vor der Frage, was nach dem Öl kommen mag.

Geboren wurde Monira Al Qadiri 1983 im Senegal, aufgewachsen ist sie in Kuwait, mit 16 Jahren ging sie nach Japan, studierte dort Malerei und lebt heute in Berlin.
Foto: Markus Tretter

Vor dem Öl waren Perlen

Bevor Kuwait zum Erdöl-Emirat wurde, war das Perlentauchen der Hauptwirtschaftszweig des Landes. Al Qadirirs Großvater hat als Sänger auf einem Perlentaucherschiff gearbeitet – ein Leben, das für sie nach Fiktion klinge, sagt die Künstlerin. Sie nimmt den Faden dieser Erzählung auf, um ihn mit der Gegenwart zu verknüpfen. Womöglich ist es also auch Perlmutt, das ihre Bohrköpfe zum Schillern bringt.

Mutant Passages heißt die Bregenzer Schau, die als Reise ins Reich von Schönheit und Verderben angelegt ist. Man trifft auf zu grotesker Größe aufgeblasene Molekularstrukturen petrochemischer Substanzen und auf Öltanker, die nach maritimen Schneckenarten benannt sind. Just diese Meereslebewesen sind vom Aussterben bedroht, weil der Biozidfarbstoff, mit dem die Schiffe imprägniert werden, ihre Geschlechtsmerkmale und damit Laichfähigkeit verändert.

Von Zensur gestrichen

Darauf bezieht sich auch die Installation Gastromancer, in der sich zwei Schneckengehäuse über Geschlechterfragen unterhalten. Der Dialog basiert auf dem Kurzroman The Diesel, in dem der emiratische Schriftsteller Thani Al-Suwaidi einen nonbinären Charakter als Hauptfigur auftreten ließ. Er wurde prompt zum Opfer der Zensur.

Im obersten Geschoß betritt man ein Leichenfeld: Seevögel aus schwarzem Glas sehen wie ölverschmierte Kadaver und nun doch verdächtig nach Anklage aus. Al Qadiri geht es hier aber auch um Fragen von Zeugenschaft und Erinnerung. Während des Golfkriegs in Kuwait sind aus in Brand gesetzten Ölquellen riesige Giftwolken aufstiegen, Millionen Tiere verendeten darin. Die Künstlerin hat diese ökologische Katastrophe miterlebt – während des Studiums in Japan erlebte sie dann, wie Bilder davon als Propaganda abgetan wurden. (Ivona Jelcic, 30.4.2023)