Schauspieler Ryan Reynolds ist seit drei Jahren auf Sympathie-Tour durch England und die USA. Das zieht auch Sponsoren an.

Foto: IMAGO/Martin Rickett

Wenn die erfolgreichste Social-Media-Plattform der Welt Trikotsponsor bei einem walisischen Fußballklub in der untersten Liga wird, dann darf man sich die Frage stellen: Warum? Die Antwort ist einfach. 2020 werden die zwei populären Schauspieler Ryan Reynolds und Rob McElhenney Eigentümer des Traditionsklubs. Es folgen Investitionen in Infrastruktur und Team, eine Disney+-Doku-Serie wird produziert, und am 25. April 2023 gelingt, was vor drei Jahren keiner der 135.000 Einwohner der Stadt Wrexham für möglich gehalten hätte – der Aufstieg in die nächsthöhere Liga. Ein Fußballmärchen, dessen Story vor allem auf besagter Social-Media-Plattform geschieht.

Zwei Schuljungen

Die zwei etablierten Schauspieler Reynolds ("Deadpool", "Free Guy") und McElhenney ("It’s Always Sunny in Philadelphia", "Mystic Quest") wirken schüchtern, als sie sich im November 2020 den damals für den Fußballverein AFC Wrexham Verantwortlichen via Video-Call stellen müssen. "Wir wollen den Verein kaufen," erklärt Reynolds wie ein Schuljunge, "es ist uns ein wirkliches Anliegen." Der Verein gehört damals den Fans, weil sich alle Eigentümer aufgrund von Erfolglosigkeit zurückgezogen haben. Die finanzielle Lage ist angespannt, da der Klub seit 2008 in der untersten englischen Liga sein Dasein fristet.

Die ersten Gehversuche als Marketing-Verantwortliche wirkten noch etwas improvisiert – danach wurde es zunehmend professioneller. Geblieben ist der Charme, der die ganze Geschichte von Anfang an begleitet.

Aus heiterem Himmel tauchen auf einmal die zwei genannten Schauspieler auf und bieten 2,25 Millionen Euro für den fünftklassigen Amateurklub. 1.809 der 2.000 Stimmberechtigten votieren für die neuen Besitzer, nachdem diese glaubhaft versichert haben, sich um den Klub auch längerfristig kümmern zu wollen. Die Idee sei es, vor allem über Social Media und via Doku-Serie auf Disney+ Werbung für den Verein zu machen. Die Rechnung geht auf – auch wenn sich nicht gleich der Erfolg einstellt.

Reynolds und McElhenney, die sich davor wenig für Fußball interessiert haben, stellen den Verein neu auf. Zum Teil werden ehemalige Ehrenamtliche eingestellt, aber auch Expertise von außerhalb zugekauft. Ein passender Trainer wird verpflichtet und sogar für den Verein früher unerschwingliche Spieler geholt – den Möglichkeiten eines Fünftligaklubs entsprechend, versteht sich. Der Rasen im Stadion wird neu verlegt, und das sogar zwei Mal, weil beim ersten Mal etwas schiefgeht.

Die beiden Schauspieler nutzen jede Gelegenheit, auf Social Media Werbung für Wrexham zu machen, und sei es durch ein Geburtstagslied für den Co-Eigentümer McElhenney.

Kameras überall

So genau weiß man das alles, weil die erste Staffel von "Welcome to Wrexham" auf Disney+ diese Reise in gekonnter Hollywood-Manier inszeniert. Charmant werden persönliche Schicksale aus der von unglücklichen wirtschaftlichen Entwicklungen gebeutelten Kleinstadt gezeigt und dann wieder die großen Dramen, die im Fußball eben passieren, wenn man den Aufstieg in die nächste Liga in einem Relegationsspiel knapp verpasst. Die Strahlkraft der beiden Schauspieler zieht auch Tiktok als Hauptsponsor an. Der größte Social-Media-Kanal der Welt wird seitdem vom offiziellen Wrexham-Kanal befüllt, aber natürlich auch verstärkt von den zwei Schauspielern, die seit dem Kauf des Vereins auf Promo-Tour sind.

Kein Podcast-Studio ist zu klein, keine US-Talkshow zu groß. Die beiden Fußballklubbesitzer erklären gebetsmühlenartig, wie traditionsreich der Verein Wrexham ist, wie großartig die Leute in der Stadt für den Fußball leben und sie sich in diese Welt verliebt haben. Das Erfolgsrezept: Man nimmt ihnen die Geschichte ab. Immer öfter fliegen die zwei aus Los Angeles in die walisische Kleinstadt, McElhenney lernt Walisisch, und Reynolds kauft sich im März 2023 ein Haus in der Nähe von Wrexham. Den Worten folgen Taten. Und nach drei Jahren gelingt das, was sich die neuen Eigentümer seit Tag eins gewünscht haben: der Aufstieg in die nächste Liga.

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Märchenstunde

Die Stadt Wrexham hat sich in den letzten drei Jahren stark verändert. Spiele sind laufend ausverkauft, es passen immerhin über 15.000 Menschen in den "Racecourse Ground", und Hollywood-Größen wie Will Ferrell oder Paul Rudd geben sich vor wichtigen Spielen die Klinke in die Hand. Wrexham ist zu einer Marke geworden, die auf Tiktok über zwölf Millionen Aufrufe verzeichnen konnte und bei Disney+ bereits eine zweite Staffel ermöglicht hat, die aktuell produziert wird.

Den internationalen Vertrieb der Fernsehrechte von Livespielen haben ebenfalls die Neo-Eigentümer übernommen, um auch hier für starkes Interesse und Mehreinnahmen zu sorgen. Das ist auch nötig, schreibt der Verein doch laut mehreren Medienberichten noch immer rote Zahlen in Millionenhöhe. Reynolds kann es sich aber leisten, hat er doch kürzlich seinen Anteil an der Mobiltelefonfirma Mint für rund 300 Millionen Euro verkauft.

Aktuell geht es in Wrexham allein um den Aufstieg in die vierte Liga, die "League Two". Am Samstag wurden alle von Team und Besitzern bespielten Kanäle mit Sektduschen und lautem Grölen zugespammt. Reynolds ruft in einem der Videos, seine Kleidung würde nach "Champagner, Bier und Gras" riechen. Man sieht, wie wichtig ihm dieser Erfolg ist, speziell nach drei langen Jahren ohne ebendiese sportliche Bestätigung.

Die Neo-Eigentümer holten 2021 den Trainer von Sunderland, Phil Parkinson. Trotz einiger Rückschläge blieb der Trainer im Amt und ermöglichte gemeinsam mit dem Rest der Mannschaft 2023 den Aufstieg.
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Als Zuseher lässt man sich von dieser Begeisterung gerne anstecken. Während in der obersten englischen Liga Oligarchen und Scheichs emotionslos die Millionen verprassen, um beim ersten Misserfolg Trainer zu entlassen, begleitet Wrexham eine Sympathiewelle, die sie vielleicht noch höher tragen kann. Man würde es den Menschen in Wrexham und auch den sichtlich emotional involvierten Eigentümern gönnen. (Alexander Amon, 1.5.2023)