Was passiert im Gehirn eines sterbenden Menschen? Forschende stoßen auf überraschende Aktivitätsmuster.

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"Was wir über das Leben nach dem Tode wissen" ist ein Musikstück auf Werner Pirchners legendärem "Halben Doppelalbum", das heuer vor 50 Jahren erschien. Der Clou des kurzen Songs, den Interessierte auch auf Spotify streamen können: Nach der Durchsage des Titels durch das musikalische Originalgenie aus Tirol folgt fast zwanzig Sekunden lang Stille. Damit war Pirchners kritische Fußnote zu den postmortalen Verheißungen verschiedenster Religionen auch schon wieder beendet.

Nicht nur die Religion, auch die Wissenschaft interessiert sich dafür, was beim Tod eines Menschen und kurz danach passiert. Es gibt zwar viele Berichte von Menschen mit Nahtoderfahrungen, die von einem "Licht am Ende des Tunnels" oder einer Art Rekapitulation ihres Lebens im Schnelldurchlauf berichten. Das Problem dieser Schilderungen: Diese Individuen sind nicht wirklich gestorben.

Gammawellen fluten das Hirn

Was aber passiert bei Personen, die nicht mehr zurück ins Leben finden? Forschende der Universität Michigan haben nun bei vier sterbenden Menschen die Hirnaktivitäten gemessen und konnten bei zwei von ihnen einen sprunghaften Anstieg der Gammawellenaktivität in einem Bereich des Gehirns erleben, der für Bewusstsein, Träume und Halluzinationen verantwortlich ist. Das deckt sich mit einer Studie desselben Teams, das vor knapp zehn Jahren an sterbenden Ratten ebenfalls einen Anstieg der Hirnaktivitäten festgestellt hatte.

Laut der neuen Studie, die am Montag im Fachblatt "PNAS" erschienen ist, könnten diese Hirnaktivitäten tatsächlich das Korrelat von Halluzinationen sein – oder dafür sorgen, dass Menschen in der Nähe des Todes ein helles Licht sehen, Stimmen hören, singen oder sogar Visionen von geliebten Menschen haben.

Was die Aktivitäten bedeuten könnten

Konkret untersuchte das Team um die Neurobiologin Jimo Borjigin vier Patienten, die nach einem Herzstillstand verstarben, während sie mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) überwacht wurden. Mit diesen Geräten werden winzige elektrische Signale des Gehirns erfasst und aufgezeichnet. Als die behandelnden Ärzteteams entschieden, dass den Personen medizinisch nicht mehr zu helfen war, trennte man sie mit Zustimmung ihrer Familien von den lebenserhaltenden Maßnahmen.

Als das Beatmungsgerät, das sie am Leben hielt, entfernt wurde, zeigten zwei der Patienten einen Anstieg der Herzfrequenz zusammen mit einem Anstieg der Gammawellenaktivität. Diese gilt als die schnellste Aktivität des Gehirns und wird mit dem Bewusstsein in Verbindung gebracht. Hohe Werte sind in der Regel mit intensiven Gedanken und erhöhter Konzentration verbunden. Sie treten aber auch bei Psychosen und anderen eher unerwünschten Hirnaktivitäten wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen auf.

Frühere Forschungen haben aber ergeben, dass hohe Gammawerte etwa auch bei Hirnblutungen passieren. Beide Studienteilnehmer, die vor ihrem Tod eine hohe Gammaaktivität aufwiesen, hatten zuvor in ihrem Leben Schlaganfälle erlitten, jedoch nicht in der Stunde vor ihrem Tod. Die beiden anderen Patienten wiesen weder den gleichen Anstieg der Herzfrequenz noch eine erhöhte Gehirnaktivität auf.

Zurückhaltung bei den Forschenden

Da die Stichprobengröße sehr gering war, möchte das Team zum einen keine allgemeine Aussagen über die Signifikanz der Ergebnisse machen. Zum anderen weist es darauf hin, dass es unmöglich ist, konkrete Rückschlüsse auf die Art der Erlebnisse der Sterbenden zu ziehen. Offensichtlich ist aber, dass es paradoxerweise beim sterbenden Gehirn noch einmal zu höchst lebendigen Erfahrungen kommen kann. Um mehr darüber zu erfahren, seien aber weitere Daten nötig.

Wir wissen mithin über die Erlebnisse beim Tod – anders als über das Leben danach – nicht nichts. Allzu viel ist es aber auch noch nicht. (Klaus Taschwer, 2.5.2023)