"Die Macht der Musik". Welche Macht Alma Mahler über den Künstler hatte, zeigt bald der Film "Alma & Oskar".
Foto: Peter Cox, Eindhoven - Van Abbemuseum

"Helft den baskischen Kindern!", so lautete der Spendenaufruf, den Oskar Kokoschka 1937 in Prag startete. Sein dafür geschaffenes Plakat zeigt eine Mutter, die mit ihrem Sohn von einem brennenden Ort mit Toten davonläuft. Ein Kampfflugzeug rast von links in die Szene, deren Hintergrund die Prager Karlsbrücke bildet.

Wie sein Kollege Pablo Picasso mit dem Großbild Guernica reagierte auch der Wiener Maler auf die Vernichtung des gleichnamigen Städtchens im Spanischen Bürgerkrieg. Der Originalentwurf hängt derzeit im Guggenheim-Museum Bilbao, das Kokoschka erstmals in Spanien groß präsentiert.

Betonung auf Ausdrucksdrang

Als Guernica angegriffen wurde, zählte Kokoschka bereits zu den verfemten Malern. Mit dem Selbstporträt als entarteter Künstler antwortete er auf die Diffamierung. In ihrer Werkschau stellt das Kuratorenduo Dieter Buchhart und Anna Hofbauer einen "Rebellen aus Wien" vor und demonstriert, dass der 1886 geborene Künstler seine Zeitgenossen Klimt und Schiele an Radikalität übertraf. Dementsprechend streift die Schau Kokoschkas Jugendstilphase nur kurz und betont seinen Ausdrucksdrang. In der Papierarbeit Amokläufer rast ein Wüterich mit Messer auf den Betrachter zu; sein Arm trägt die tätowierten Initialen "OK". Das Blatt entstand 1908, also zwei Jahre vor Schieles expressionistischem Wendepunkt.

"Der Maler" ist auch in Bilbao zu sehen.
Foto: Saint Louis Art Museum

Auch die kantigen Körper Adoleszenter erkundete der Künstler bereits, bevor es Schiele in seinen Mädchenakten tat. Bald darauf schockierte Kokoschka die Wiener Gesellschaft mit einem kahlgeschorenen Kopf. Als er die Witwe Alma Mahler traf, war seine Frisur schon zurück. Die fatale Liebe zu der Komponistin und Pianistin, von der auch Dieter Berners neuer Film Alma & Oskar (ab Juli im Kino) handelt, spielt im Guggenheim kaum eine Rolle.

Gerade einmal eine Kopfzeichnung von 1913 zeigt die Femme fatale, die dem Künstler so viel Herzeleid bescherte. Symbolhaft taucht Alma freilich öfter auf, nämlich immer dann, wenn Kokoschka den Kampf der Geschlechter darstellt. Im Ölbild Maler mit Puppe hielt er sich selbst mit dem plüschigen Ersatzobjekt für seine Verflossene fest.

Kokoschka malte langsam, überarbeitete oft und hinterließ so in sechs Jahrzehnten nur rund 500 Gemälde. In seinen vielen Porträts wollte er "psychologische Gefäße öffnen". Sein frühes Bildnis Auguste Forel zeigt einen alten Herrn, dessen versonnener Blick ins Leere geht. Der Wissenschafter lehnte das Bild als schlecht getroffen ab; als Forel später einen Schlaganfall erlitt, sah er der Gestalt so ähnlich, dass seine Verwandten das Porträt kaufen wollten.

Liebeskummer und Krieg

Um seinen Liebeskummer zu bekämpfen, zog Kokoschka freiwillig in den Ersten Weltkrieg. Schwer verwundet landete er im Lazarett und später in einem Sanatorium in Dresden, wo er wieder zu Kräften kam. Was für ein Kontrast zwischen dem düster-zweiflerischen Selbstbildnis 1917 und der Farbenpracht in Die Macht der Musik aus dem Jahr darauf! Das Werk Der Maler und Modell II zeigt den Künstler, wie er sein früheres Ich – den glatzerten Bürgerschreck – auf die Leinwand bringt.

Oskar Kokoschkas "Die Quelle".
Foto: Kunsthaus Zürich

Es sind die unterschiedlichen Expressionismen, die Kokoschka so spannend machen. Das beweist der Saal zu seinen Reisen Mitte der 1920er-Jahre, wo Riesenschildkröten auf den Tigerlöwen treffen und das in Algerien entstandene Porträt Der Marabut von Temacine Respekt einflößt. Der Suizid seines Galeristen Paul Cassirer 1926 setzte Kokoschkas Mittelmeertour ein jähes Ende.

Von Prag 1938 nach London geflüchtet, engagierte sich Kokoschka gegen Nazideutschland, unter anderem durch allegorische Bilder wie Anschluss – Alice im Wunderland. In schrillen Farben prangert er die Untätigkeit der Alliierten nach Hitlers Einmarsch in Österreich an. Auch hier kommt das Motiv Mutter mit Kind vor, das Kokoschka so mochte, allerdings trägt der Säugling eine Gasmaske.

Farben statt Politik

Kokoschkas Frauenbild spielt in der Schau eine ebenso geringe Rolle wie der Künstler als politisch widersprüchliche Figur. Auch im letzten Abschnitt geht es um den Koloristen, der in der Hochkonjunktur der abstrakten Malerei an der Figur festhielt, diese aber farblich auflöste und zum Flimmern brachte.

So badet man im Licht des strahlenden Orange, welches die nackten Körper in Theseus und Antiope (Raub der Antiope) verströmen. Und selbst im letzten Selbstporträt Time, Gentlemen Please, wo ein Alter Ego des Künstlers von einer dunklen Figur (Tod? Teufel?) abgeholt wird, leuchtet Kokoschkas Leib noch blutrot. (Nicole Scheyerer aus Bilbao, 3.5.2023)