Ein Nachbau des Ischtar-Tors ist die Attraktion des Berliner Pergamonmuseums, das ab Herbst für viele Jahre seine Pforten schließt.
Foto: IMAGO/Jürgen Ritter

Über gelungene Ausstellungen sagt man manchmal gern, dass sie etwas in einem neuen Licht erscheinen lassen. Im Berliner Pergamonmuseum ist ein solches Licht in diesem Sommer auffällig bunt. Der britische Künstler Liam Gillick wurde eingeladen, mit einer Intervention einige Blockbuster-Objekte des Museums für vorderasiatische Kunst neu zu akzentuieren. Wer das altbabylonische Ischtar-Tor sehen will, muss wegen des meist großen Andrangs ein Zeitfenster buchen. Nun spielt dieser Aspekt der Tageszeit eine noch größere Rolle, denn eine der Ideen von Gillick war es, die Standardbeleuchtung, die für einen homogenen Eindruck sorgen soll, auszuschalten. Man wird also einen unterschiedlichen Eindruck von dem monumentalen Beutekunstwerk bekommen je nachdem, wann man sich in die Menge mischt.

Steineklopfen

Man muss auch den Blick einigermaßen heben, um zu sehen, dass Gillick ganz oben – quasi im Himmel – ein wenig mit der Farbe Blau arbeitet, die er dort hinbeamen lässt. Akustisch hat er ebenfalls etwas hinzugefügt, ein Geräusch, das er mit der Arbeit des Steineklopfens assoziiert, dem Grundakt für viele Bauten, Skulpturen und Reliefs, die im Pergamonmuseum von den frühen Hochkulturen künden.

Das Pergamonmuseum in Berlin wird saniert, in manchen Abschnitten wird das 15 Jahre dauern.
Foto: IMAGO/Jürgen Ritter

Eine Siegesstele des assyrischen Königs Asarhaddon aus dem siebenten Jahrhundert vor der Kalenderwende stammt aus der heutigen Türkei und wird auf der Infotafel unter "Ankauf 1855" geführt, eine Information, die im Grunde nicht mehr genügt. Wohl deshalb taucht Gillick die Basaltskulptur in ein rotes Licht, die meisten Besucher gehen allerdings achtlos daran vorbei.

Ab 2027 teils wieder zugänglich

Sie streben zu den Höhepunkten des Hauses, zu den städtebaulichen Großzeugnissen aus den alten Zivilisationen. Filtered Time heißt die Ausstellung, die bis Oktober zu sehen sein wird. Dann schließt das Pergamonmuseum für vier Jahre vollständig, weil umfangreiche Sanierungsarbeiten anstehen. Die vollständige Wiedereröffnung ist überhaupt erst für das Jahr 2037 avisiert. Der Pergamon-Altar, das Prunkstück des Museums, soll immerhin ab 2027 wieder zugänglich sein, dafür muss in anderen Bereichen für lange Zeit ein Panorama, also eine virtuelle Ersatzlösung, dem Interesse genügen.

Die Einladung Liam Gillicks hat auch etwas von einem Trostpreis. Denn im Grunde macht es Sinn, die in Berlin auf der Museumsinsel präsentierten Altertümer immer wieder zu kontextualisieren. So kurz vor der Schließung aber wirkt Filtered Time eher wie ein isolierter Einschub, ein Versuch, die bittere Pille der langen Pause ein wenig zu versüßen. Und an manchen Stellen überwiegt dann der erste Eindruck einer gefälligen Illuminierung.

Das zuletzt vom Architekten David Chipperfield erweiterte Pergamonmuseum.
Foto: imago images/imagebroker

Ein steinerner Wettergott Hadad, mit einem Alter von gut 3000 Jahren keineswegs ein Senior im Pergamonmuseum, bekommt von Gillick blaue Augen in einer insgesamt eher durch Orange dominierten Farbdramaturgie verpasst. Das mag eine kleine Verneigung vor einer Popkultur sein, die sich seit jeher bei den Mythologien der Frühgeschichte bedient hat – aus Hadad wird so eine Art Gruselfigur. Zugleich lässt Gillick deutlich werden, wie sich auch in avancierten Lichtinstallationen ein Farbeindruck immer durch das Zusammenspiel von Filtern ergibt.

Künstliche Aura

Der 1964 geborene Künstler ist auf solche Einschreibungen spezialisiert. Er wird oft von Institutionen eingeladen und entwickelt seine Arbeiten dann in Auseinandersetzung mit den Kontexten, die er vorfindet. Gillick interessiert sich meist auch für in stitutionelle Aspekte, ist dabei aber durchaus markttauglich, denn seine Lösungen haben oft einen starken Pop-Aspekt.

Bei Filtered Time stehen nun etwaige kritische Dimensionen jedenfalls nicht im Mittelpunkt. Dazu ist seine bevorzugte Methode zu nahe an einem klassischen Mittel der Kunstpräsentation. Wenn man nachts auf die Akropolis blickt oder auf eine der vielen anderen Sehenswürdigkeiten, dann wird sie angestrahlt.

Gillick ruft mit Filtered Time auch eine unerreichbare Frühzeit auf, von der die Kunstgeschichte inzwischen gut belegen kann, dass sie farbenfroh war im Vergleich zu dem Eindruck eines allgegenwärtiges Marmorweiß, den die Klassik entstehen ließ. Er verstärkt im Grunde aber doch vor allem Aura durch (künstliche) Aura. (Bert Rebhandl aus Berlin, 3.5.2023)