DNA-Spuren finden sich an einer Tasse Kaffee, aus der wir getrunken haben, oder an einem Handy, das wir berührt haben. Das weiß jeder, der auch nur eine Folge einer modernen Krimiserie gesehen hat. Bei archäologischen Fundstücken ist solch eine Bestimmung schwierig, aber heute nicht mehr unmöglich, wie ein Forschungsteam mit Wiener Beteiligung eindrucksvoll beweist.
Der Durchbruch: Von der Oberfläche eines Hirschzahns, der rund 20.000 bis 25.000 Jahre alt ist, gewannen die Fachleute erstmals DNA. Diese konnte einer damals lebenden Frau zugeordnet werden, die den Schmuckanhänger aus dem Zahn eines Wapitis herstellte oder am Körper trug, wie das Forschungsteam im Fachjournal "Nature" ausführt. Über ihren Schweiß gelangte ihre DNA wohl in die winzigen Poren des Zahnmaterials.
Waschmaschine für Artefakte
Die Fundstelle befindet sich in der berühmten Denisova-Höhle im russischen Altaigebirge. Dort wurde 2010 eine neue Menschen-Population entdeckt, die ähnlich wie die Neandertaler mit modernen Menschen verwandt war. Die Denisova-Menschen lebten jedoch vor mehr als 50.000 Jahren, also wesentlich früher als die nun enthüllte Schmuckträgerin oder Herstellerin. Diese dürfte mit Menschen verwandt sein, deren Überreste bisher nur weiter östlich in Sibirien entdeckt wurden.
Beim neuen Verfahren handelt es sich um eine Art "Waschmaschine für uralte Artefakte", sagt Elena Essel vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, eine der Erstautorinnen, die die Methode entwickelte: "Durch das Waschen der Artefakte bei Temperaturen von bis zu 90 Grad Celsius waren wir in der Lage, dem Waschwasser DNA zu entnehmen und dabei die Artefakte intakt zu lassen."
Revolutionäre Erforschung alten Genmaterials
Bisher war es nötig, Fundstücke aufzubohren, um an darin eingeschlossenes Erbmaterial zu gelangen. Ausgespült wird die DNA nicht nur mit Wasser, sondern mit einer phosphathaltigen Flüssigkeit. Anschließend wird die DNA vermehrt und analysiert. Dass alte DNA heute überhaupt erforscht werden kann, ist maßgeblich dem schwedischen Genforscher Svante Pääbo zu verdanken, der dafür 2022 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet wurde. Auch er war an der aktuellen Studie beteiligt.
"Die Tatsache, dass wir DNA von der Oberfläche eines Artefakts gewinnen können, das vor 20.000 bis 25.000 Jahren berührt wurde, ist absolut überwältigend", sagt die Archäologin Katerina Douka, die an der Universität Wien forscht und ebenfalls an der Studie mitwirkte, im STANDARD-Gespräch. Douka war für die Datierung einer nahegelegenen Feuerstelle zuständig, die dabei half, das Alter des Hirschzahn-Anhängers und seiner Trägerin zu bestimmen. Dabei dürfte es sich um ein Schmuckartefakt handeln, das als Kettenanhänger oder als Perle aus Knochenmaterial an einem Kleidungsstück aufgenäht getragen wurde.
Arbeitsteilung der Geschlechter?
Die vielleicht wichtigste Besonderheit der neuen Methode: "Sie verbessert unsere Fähigkeit, Artefakte wie bearbeitete Knochen oder Steinwerkzeuge mit spezifischen Menschen zu verknüpfen", sagt Douka. So ergeben sich weitere Hinweise auf das Verhalten von Menschen, das insbesondere ohne schriftliche Quellen nur sehr schwierig erforschbar ist.
Aus den Analysen ließen sich beispielsweise Vermutungen über die Sozialstruktur einer Population anstellen. Auch in Sachen Arbeitsteilung in prähistorischen Gruppen können solche Untersuchungen neue Erkenntnisse liefern, immerhin gelte die traditionelle Auffassung von Männern als Jägern und Frauen als Sammlerinnen als veraltet, sagt die Wissenschafterin. Daher ist es durchaus interessant zu erfahren, wer mit einem Werkzeug hantierte. Fachleute sind sich darüber im Klaren, dass wohl noch nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, wie eine DNA-Probe – die in diesem Fall Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Blut, Speichel oder Urin erfordert – auf oder in die Oberfläche eines Artefakts gelangte. Douka zufolge dürfte es aber mehr als eine kurze Berührung benötigen, um analysierbare alte DNA auf ein Objekt zu bringen.
Kontaminiert mit moderner DNA
Doch nicht jedes Fundstück eignet sich für die Analysemethode, wie das Forschungsteam feststellen musste: Artefakte aus der französischen Quinçay-Höhle, die in den 1970er- bis 1990er-Jahren entdeckt wurden, waren durch moderne DNA verunreinigt – genauer gesagt, durch die Spuren der beteiligten Forscherinnen und Forscher. Auch bei Objekten aus Bulgarien fielen die Proben negativ aus, dort waren die relativ warmen Klimabedingungen offenbar nicht ideal, und die DNA degenerierte mit der Zeit.
Bessere Erhaltungsbedingungen kombiniert mit sauberem Vorgehen bei der Ausgrabung waren hingegen in der Denisova-Höhle ein Vorteil. In die dortigen Entdeckungen ist Douka seit etwa zehn Jahren selbst involviert. Der Zugang zum Grabungsbereich ist eingeschränkt, so bleibt die Anzahl der Personen, die die Funde mit ihrer eigenen DNA kontaminieren könnten, übersichtlich. Außerdem tragen die Beteiligten eine Overalluniform. Beim Auffinden des durchlöcherten Anhängers bewahrten sie ihn ungesäubert und in Plastik verpackt auf, denn auch die Erde rundherum könnte wertvolle Hinweise auf das damalige Leben liefern.
Mit der neuen Methode erweitert sich die Anzahl der Fundstücke, die Erbgutanalysen zulassen, wie Douka betont. Immerhin kommen Knochen verstorbener Menschen üblicherweise seltener vor als Alltagsgegenstände wie Werkzeuge und Keramik. "Ich bin sicher, dass wir auf diese Weise in kalten Umgebungen der Welt auch Artefakte eines Alters von etwa 100.000 oder 200.000 Jahren untersuchen können", sagt die Forscherin. Gleichzeitig können auch wesentlich jüngere Objekte aus historischen Populationen analysiert werden: Manche Gesellschaften hinterließen zwar zahlreiche Artefakte, aber wenig menschliche DNA – etwa, weil Verstorbene verbrannt wurden. "Ich denke, sie eröffnet uns viele aufregende Möglichkeiten." (Julia Sica, 3.5.2023)