Mit 18 Jahren kam Heli Kontu als Au-pair nach Wien. Nun ist sie fast 60 und arbeitet sie wieder als Au-pair, etwa für drei Mädchen in Neuseeland. Im Anschluss erkundet sie die Insel.

Foto: Privat

"Vor einigen Wochen habe ich mein erstes richtiges Erdbeben gespürt. Ich stand gerade im Bad, plötzlich begann alles zu beben. Für mich war das neu, so etwas gibt es in Österreich nicht. Kurz hatte ich Angst. Aber die Mädchen wussten, was zu tun ist. Sie lernen das in Neuseeland schon in der Schule und im Kindergarten", erzählt Heli Kontu.

Heli Kontu ist für die Kinder der neuseeländischen Familie schnell eine Ersatzoma geworden.
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Neuseeland wird jedes Jahr von im Schnitt 20.000 Erdbeben erschüttert, bis zu 150 davon stark. Sie sind Teil des Alltags auf der Insel. Für Heli Kontu aus dem niederösterreichischen Maria Enzersdorf war die bebende Erde zunächst extrem beunruhigend. Mittlerweile betrachtet Heli es als Teil des Abenteuers, auf das sie sich eingelassen hat. Statt mit 58 Jahren die Passivphase ihrer Altersteilzeit mit Gartenarbeit oder Yoga zu verbringen, ist die gebürtige Finnin von der kleinen Marktgemeinde aus ans andere Ende der Welt gezogen, um in Neuseeland als sogenannte "Granny Au-pair" zu arbeiten. Etwas mehr als zwei Monate verbrachte Heli Kontu bei einer Familie mit drei Töchtern, aktuell reist sie noch für einige Wochen auf eigene Faust auf der Insel und weiter nach Australien.

Agentur für Granny Au-pairs

Als Granny Au-pair hat Heli Kontu all das übernommen, was auch junge Kolleginnen und Kollegen als Au-pair machen: kochen, auf die Kinder achten, mit ihnen lernen, spielen und im Haushalt helfen. Sie hat bei der Familie gelebt, deren Dynamiken mitbekommen, mit ihnen Ausflüge unternommen und ihre freie Zeit genutzt, um das Land und die Umgebung zu sehen. Erfahrungen, die junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren überall auf der Welt machen. Der Unterschied: Heli macht sie mit Anfang 60. Gefunden hat Heli Kontu die Familie in Neuseeland über die Hamburger Agentur Granny Au-pair.

Das Unternehmen verknüpft Familien mit Frauen zwischen 45 und 81 Jahren, die sie im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützen wollen. "Ich habe vor vier oder fünf Jahren erstmals einen Artikel über das Angebot der Website Granny Aupair gelesen und war begeistert. Für mich war schon damals klar, dass ich das mal probieren möchte, wenn ich nicht mehr arbeite", sagt Heli Kontu.

Mehr Lebenserfahrung

Sie ist seit mehreren Jahren kostenlos auf der Plattform angemeldet und beobachtet dort die Profile der Familien. "Ich wollte mir anschauen, was es so gibt und wie man sich am besten präsentiert, bevor ich mich aktiv auf die Suche mache", erklärt sie. Bei ihrer Suche war für sie einerseits das Land wichtig – andererseits die Chemie beim Videocall mit der Familie. Viele Familien und Au-pairs machen es wie Heli. Rund 20.000 Familien und Frauen sind kostenlos registriert, etwa 200 davon sind aktiv auf der Suche. Während man die Anzeigen kostenlos beobachten kann, braucht man zur Kontaktaufnahme ein Abo. Die Kosten für die Mitgliedschaft betragen je nach Abo-Art 35 bis 65 Euro pro Monat. Das ist nicht günstig, soll aber für seriöse Angebote sorgen.

Agentur-Gründerin Michaela Hansen entwickelte das Konzept 2010 aus einer Wehmut heraus: "Ich hätte in meiner Jugend gerne längere Zeit im Ausland verbracht. Aber ich habe bereits mit 19 Jahren geheiratet, zwei Kinder bekommen und war dann alleinerziehend. Es hat sich in meinem Leben einfach nicht ergeben." Als sie im Fernsehen ein Programm über junge Au-pairs sah, entschied sie: "Warum sollte diese Erfahrung nur jungen Frauen vorbehalten sein? Warum sollten sich nicht auch Ältere diesen Lebenstraum erfüllen?"

Nach ihrer zweimonatigen Zeit als Au-pair erkundete Heli die Insel.
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Damit traf die Hamburger Unternehmerin offenbar einen Nerv. Mittlerweile sind mehrere Tausend Granny Au-pairs in über 50 Länder gereist. Das Angebot ist ein Erfolg – und nicht nur für die Grannys ein Erlebnis. Gründerin Michaela Hansen hatte vor vielen Jahren selbst eine Granny Au-pair im Haus und kennt damit auch die andere Seite: "Das Feedback von Familien und besonders alleinerziehenden Eltern ist, dass sie es sehr schätzen, eine Frau an ihrer Seite zu haben, die schon selbst Kinder großgezogen hat. Besonders wenn sie diese auch über Nacht mit den Kindern allein lassen."

Ersatzoma auf Zeit

Heli Kontu sprüht vor Lebensfreude: "Ich fühle mich nicht alt, ich möchte noch etwas erleben." Ihre Abenteuerlust hat die gebürtige Finnin auch vor 40 Jahren nach Österreich geführt. Sie war gerade mal 18 Jahre alt, als sie bei einer Familie in Wien als Au-pair anfing. Sie verliebte sich, heiratete, bekam drei Kinder und blieb.

Sie hat damit den direkten Vergleich, welchen Unterschied es macht, ob man als junge oder etwas ältere Frau den Job als Au-pair in einem fremden Land antritt. Als sie jung war, hätte sie stark unter Heimweh gelitten, das verspürt sie nun in Neuseeland nicht mehr: "Viele Situationen mit den Kindern und der Familie sind heute viel einfacher für mich, weil ich einfach eine andere Routine habe und weiß, was getan werden muss. Als junges Au-pair hatte ich ja noch keine Idee davon, wie man einen Haushalt führt. Aber es gibt auch jetzt wieder viele Situationen, wo ich mich fühle wie damals mit 18, weil alles aufregend und neu ist." Diesmal sei es ihr leichter gefallen, ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern aufzubauen. Schon nach dem ersten Tag durfte Heli den Mädchen die Haare bürsten und Zöpfe flechten. "Als sie dann nachts in mein Bett gekommen sind, wusste ich: Sie haben mich als Ersatzoma akzeptiert."

Schon nach dem ersten Tag durfte Heli den Mädchen die Haare bürsten und Zöpfe flechten.
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Die Eltern ließen die Nanny auch an einigen Wochenenden mit den Kindern allein. "Da musste ich mich dann wirklich um alles kümmern: die Kinder zur Schule und in den Kindergarten bringen, sie in der Freizeit beschäftigen, für sie kochen, sie ins Bett bringen. Das war schön, aber auch herausfordernd", erzählt sie. Besonders auf dem Spielplatz hätte sie gemerkt, dass es mit 58 Jahren nicht mehr ganz so leicht ist, drei Mädchen im Alter von vier, fünf und sieben Jahren im Zaum zu halten. "Ich bin zwar gelassener, aber habe natürlich auch nicht mehr ganz so viel Energie wie mit 18."

Immer wieder gerne

Die größte Umstellung sei es aber gewesen, wieder in einer Familie zu leben. Helis eigene Kinder sind längst erwachsen und ausgezogen. "Ich war es also gewohnt, allein zu leben, nun war rund um die Uhr ein Remmidemmi."

Optimal sei es gewesen, dass die neuseeländische Familie nur für zwei Monate ein Au-pair gesucht haben. So hätte sie die Möglichkeit gehabt, das Leben als Granny Au-pair mal zu testen. Hätte es ihr nicht gefallen, wäre die Zeit nicht zu lang geworden. War aber zum Glück nicht so. Rund 50 Prozent der Abonnentinnen auf Granny Au-pair sind Wiederholungstäterinnen. Auch Heli sagt niemals nie: "Ich kann mir gut vorstellen, die nächsten Jahre noch mal als Granny Au-pair zu einer Familie zu ziehen. Es ist einfach ein Abenteuer. Und ich will die Zeit, in der ich nicht mehr arbeite, genießen und voll nutzen." (Sandra Gloning, 5.5.2023)