Ins Kino gehen noch immer 54 Prozent der Menschen in Österreich zumindest einmal jährlich. Allerdings bringen Streamingdienste das gute alte Lichtspielhaus zunehmend unter Druck.

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Im Herbst vergangenen Jahres war die Verunsicherung bei den Kulturveranstaltern des Landes groß: Würde das Publikum in der ersten Saison seit Ende der meisten Corona-Maßnahmen wieder zurückkommen? Und wenn ja, was erwartet es sich? "50 Prozent sind das neue ausverkauft", schlugen manche Theaterbetriebe Alarm, kulturkämpferische Debatten über Inhalte wurden geführt, während andere Geduld und Nachholeffekte einmahnten. Letztere dürften sich, wie man derzeit aus den Betrieben hört, dann auch nach und nach eingestellt haben – weitgehend ist das Publikum also zurückgekehrt.

Zu diesem an sich beruhigenden Befund kommt nun auch eine Sora-Studie, die im Herbst von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in Auftrag gegeben wurde. Unter den 2.000 im Dezember und Jänner in einer repräsentativen Stichprobe befragten Menschen gaben 80 Prozent an, wieder annähernd so viele Kulturveranstaltungen zu besuchen wie vor der Pandemie, lediglich elf bis 18 Prozent haben ihr Konsumverhalten von 2019 nicht wieder aufgenommen, viele davon gaben jedoch an, künftig wieder mehr Kulturveranstaltungen besuchen zu wollen – allerdings oft garniert mit der Aussage, dass man "derzeit andere Sorgen" habe. Auch insgesamt ist der Anteil derer, die 2022 zumindest einmal in einer der abgefragten Kultureinrichtungen waren, mit 81 Prozent hoch, lediglich 19 Prozent der Menschen in Österreich besuchen also keine Kulturveranstaltungen.

Nur leichte Rückgänge bei Besuchen

Und dennoch: Während bei einer früheren Befragung im Jahr 2007 noch 34 Prozent angaben, regelmäßig ins Theater zu gehen, liegt dieser Anteil nun nur noch bei 27 Prozent. Bei Museen reduzierte sich im Vergleich zu 2007 der Anteil von 54 auf 45 Prozent, bei Klassik und Oper gingen die Besuche ebenfalls zurück. Stabil blieben im Vergleich zu 2007 Kino (54 Prozent waren 2022 mindestens einmal dort) und Pop/Rock-Konzerte mit 34 Prozent. Das Kino, an sich noch immer beliebtestes Massenangebot, dürfte aktuell und auch in Zukunft vermehrt durch Streamingangebote unter Druck kommen: 35 Prozent gaben an, Filme mittlerweile lieber im eigenen Wohnzimmer zu schauen. Sehr evident ist auch ein Trend zu mehr Kurzfristigkeit: Kultur will derzeit spontan besucht und nicht von langer Hand geplant werden.

Inhaltliche Debatte kaum ein Thema

Dass die angeblich falschen Inhalte (zu konservativ, zu progressiv, zu viele Problemstoffe et cetera), die medial hitzig debattiert wurden, für das Publikum eher kein Entscheidungsgrund sind, etwas nicht wahrzunehmen, ist ein überraschender Befund. Geschmäcker sind verschieden – das zeigt sich auch in der Studie, wenn im Schnitt 75 Prozent der Aussage zustimmen, sie möchten "Spaß haben und den Alltag vergessen" und 50 Prozent "wissen wollen, was sie erwartet", andererseits aber auch 66 Prozent ihren "Horizont erweitern" wollen und immerhin 40 Prozent erwarten, dass Kunst auf "soziale Missstände hinweist".

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Deutlich zeigt sich in der Studie, dass den Menschen die Teuerung zusetzt, rund ein Drittel empfindet die aktuellen Preise als zu hoch. Generell zeigt sich: Je höher das Einkommen, desto eher werden Kulturangebote wahrgenommen. Dass Gratisangebote, die etwa die Stadt Wien stark forciert, einen motivierenden Effekt gerade für niedere Einkommensschichten haben, hat sich ebenfalls bestätigt: Würde es diese nicht geben, würde sich die Zahl der Besuche von Kulturveranstaltungen halbieren.

Auftrag an Bildungs- und Kulturpolitik

Zwei Langzeittrends, wegen derer sich die Kultur- und Bildungspolitik Sorgen machen müsste, sind ebenfalls evident: Seit Jahrzehnten unverändert wird Kulturkompetenz sehr stark vom Elternhaus geprägt und vererbt – und das stärker als in anderen Ländern. Außerdem steigt die Häufigkeit des Besuchs von Kulturveranstaltungen mit dem jeweiligen Bildungsgrad. Nicht bewahrheitet habe sich allerdings das Vorurteil, Menschen mit Migrationshintergrund würden Kulturveranstaltungen fernbleiben.

Ein zweiter problematischer Langzeittrend ist der demografische Wandel, die Überalterung der Gesellschaft: Während 60-Jährige heute zwar noch die bei weitem größte Gruppe des Publikums stellen, nimmt ihre Beteiligung tendenziell ab und kann von den jüngeren Alterskohorten nicht zur Gänze ersetzt werden. Ein Sora-Experte formuliert es so: "Es gibt einen Fachkräftemangel auch in der Kultur, und zwar auf der Publikumsseite." Für jene, die Kulturprogramme verantworten, stellt sich demnach die schwierige Aufgabe, Ältere weiterhin bei der Stange zu halten und ungleich viele Jüngere hinzuzugewinnen, um die Verluste zu kompensieren. Jemand wie Volksoper-Direktorin Lotte de Beer, die das Haus für die ganze Familie etablieren will, gilt derzeit als Role-Model.

Werbekampagne soll animieren

Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer will auf Basis der Ergebnisse eine Werbekampagne starten, die zum Kulturbesuch animiert, mehr Überblick über Angebote verschafft und auch auf die zahlreichen Vergünstigungen und Gratisangebote hinweist. Ein Ergebnis der Studie ist nämlich auch, dass viele gar nicht genau wissen, was wo zu welchem Preis gerade gespielt wird. Die über 100-seitige Sora-Studie wird als Grundlagenwerk für weitere Untersuchungen dienen beziehungsweise Kulturverantwortlichen in den Institutionen auch als Leitfaden auf der Suche nach der Publikumszusammensetzung der Zukunft behilflich sein. (Stefan Weiss, 5.5.2023)