Ein Schöffensenat muss am Landesgericht für Strafsachen Wien entscheiden, ob ein 24-Jähriger im Jänner die Tochter einer Internetbekanntschaft missbraucht hat.

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Wien – Strafverfahren in Sexualstrafsachen gehören zu den schwierigsten Aufgaben für ein Gericht. Gibt es keine Sachbeweise wie DNA-Spuren oder dokumentierte Verletzungen, stehen meist Aussage gegen Aussage, auf denen der Senat dann sein Urteil bauen muss. Wie im Falle von Herrn S., der sich mit dem Anklagevorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Hofrat Andreas Böhm verantworten muss.

Ende Jänner soll der unbescholtene 24-Jährige die fünfjährige Tochter einer Internetbekanntschaft zum Oralverkehr überredet haben, sagt der Staatsanwalt. Das Kind habe unmittelbar danach die Mutter aufgeweckt und darüber berichtet. Es gebe keinen Grund, warum das Mädchen das erfinden sollte, ist der Ankläger überzeugt. Ganz anders sieht das Verteidiger Sascha Flatz: Sein arbeitsloser Mandant habe selbst eine vierjährige Tochter, er würde sich nie an einem Kind vergehen.

Alkohol, Cannabis und Kokain

"Sehr geehrtes Hohes Gericht, ich bekenne mich nicht schuldig", sagt der Angeklagte selbst. Er habe die alleinerziehende Mutter zweier Mädchen Ende 2022 auf einer Internet-Datingplattform kennengelernt, schildert er. Beim zweiten Treffen übernachtete er von Freitag bis Sonntag in der Wohnung der Frau – dort wurden Alkohol, Cannabis und Kokain konsumiert, gesteht S. ein, vor den Augen der Kinder wurden sexuelle Handlungen vollzogen.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag schlief die Frau mit ihren Töchtern im Schlafzimmer, er selbst übernachtete auf der Couch, behauptet der Angeklagte weiter. Und erzählt ein seltsames Detail. Als er am Sonntag aufwachte, habe er ein Abzieh-Tattoo auf der Innenseite seines Oberschenkels entdeckt. Die Fünfjährige habe tags zuvor solche Sticker gehabt, er sei aber so erschöpft gewesen und habe so tief geschlafen, dass er nicht einmal sagen könne, wer ihm das Tattoo angebracht habe.

Diversion als Teenager

Die angeklagte Tat bestreitet der Unbescholtene vehement: "Ich bin nicht pädophil! Ich steh nicht auf Kinder! Ich finde das widerlich", stellt er klar. Ja, er habe als Teenager im Rahmen einer diversionellen Erledigung 100 Euro Bußgeld für die Verbreitung kinderpornografischer Darstellungen zahlen müssen. Aber dabei habe es sich um freiwillig überlassene Bilder und Videos früherer Freundinnen gehandelt, die er an Freunde geschickt habe – und nicht um Dateien von Unmündigen.

Die Mutter der Fünfjährigen sagt als Zeugin aus, sie sei damals erschöpft im Bett eingeschlafen, bis sie von ihrer älteren Tochter aufgeweckt wurde. Die habe gesagt, S. sei ein Lügner, und berichtete in kindlichen Worten von dem Übergriff. Aktiv wurde die Frau erst vier Tage später – nachdem sie sich an eine Beratungsstelle gewandt hatte, entschloss sie sich zu einer Anzeige bei der Polizei.

Auf Anraten der Betreuungsstelle habe sie mit ihrer Tochter danach auch nicht mehr über die Causa gesprochen, um die Erinnerung nicht zu verzerren. Wie die auf Video aufgezeichnete kontradiktorische Einvernahme des Kindes durch eine Sachverständige zeigt, könnte das aber auch nachteilig gewesen sein: Auf die meisten Fragen antwortet die Fünfjährige: "Das weiß ich nicht mehr." Wenn sie konkreter wird, werden die Angaben widersprüchlich, bemängelt Verteidiger Flatz.

"Das Leben nicht verbauen"

Privatbeteiligtenvertreterin Patricia Hofmann beantragt den Zuspruch von 2.000 Euro für die erlittenen seelischen Qualen des Kindes, S. und sein Rechtsvertreter lehnen das naturgemäß ab. In seinen Schlussworten macht Flatz klar, dass es für seinen Mandanten um viel gehe und die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichend seien. "Mann kann meinem Mandaten das Leben nicht verbauen", appelliert er an den Senat, eine Verurteilung wegen eines Sexualdeliktes, besonders im Zusammenhang mit Unmündigen, werde man nie mehr los, ist er überzeugt.

Die Berufs- und Laienrichterinnen und -richter benötigen keine fünf Minuten, um ihr Urteil zu fällen. S. wird rechtskräftig freigesprochen. "Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass wir nicht zweifelsfrei feststellen können, was wirklich passiert ist", begründet Vorsitzender Böhm die Entscheidung. Der Senat sei zwar überzeugt, dass weder Kind noch Mutter gelogen hätten, allerdings sei bekannt, dass Kinder im Vorschulalter mitunter Dinge vermischen oder sich einbilden. In der kontradiktorischen Einvernahme habe die Fünfjährige keinerlei konkrete Aussagen getroffen.

Man könne auch die Argumentation des Verteidigers, dass das Mädchen Oralverkehr durch die Mutter beobachtet habe und das auf sich transferierte, nicht gänzlich ausschließen, meint der Vorsitzende. Dann verfügt Böhm die Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft, was seine Angehörigen unter Tränen begrüßen. (Michael Möseneder, 5.5.2023)