Der ewige Prinz als "Lizard King": Charles sichtet an der Seite seiner zweiten Gemahlin und nunmehrigen Queen Camilla mit großem Interesse die Wildtierbestände im Commonwealth, hier: Neuseeland.

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Den drastischsten Ausdruck seiner untadeligen Gesinnung fand der neue König vor etlichen Jahren. In seiner Rolle als passionierter Waidmann verpflichtete sich Prince Charles feierlich, bleifrei zu schießen: Zu groß sei die Gefahr, dass das Federvieh Seiner Majestät den royalen Schrot mit Futterkörnern verwechsle.

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DER STANDARD

Mit der heutigen Krönung des 74-jährigen Erstgeborenen von Queen Elizabeth in der Londoner Westminster Abbey verschwindet die alte monarchische Herrlichkeit, wenigstens ein Teil von ihr. Vorbei die Zeiten, als Prinzen mit bizarrem Gehabe die Nachteile vielhundertjähriger Inzucht belegten. Kein Dauphin hat sich länger auf seine Thronbesteigung vorbereiten dürfen als Charles III. Der freundliche Windsor mit den ehrfurchtgebietenden Ohren hat die Ewigkeit, die er im Schatten der Queen stand, mit keinen Wildtiermassakern vergeudet.

Er hat sie genützt, um sich zum vorbildlichen Bürger zu modellieren: zum – nunmehr feierlich gekrönten – Vertreter eines Fortschritts mit Augenmaß. Kein Tropfen Salböl kann den wohlanständigen Eindruck zerstreuen, den man in den vergangenen fünf Dekaden von Charles gewinnen durfte.

Noch dem widerspenstigen seiner beiden Söhne, einem Rebellen namens Harry, begegnet er formvollendet: als treusorgender Pater familias. Hier ist ein Verantwortungsethiker am Werk. Jemand, der biologischen Landbau propagiert, der sein Popcorn ohne Genmanipulation genießt. Der Farben auf Aquarellpapier tupft und einer Froschsorte den Namen geschenkt hat: "Hyloscirtus princecharlesi".

Missratene Ehe

Mit Ausnahme seiner allerdings gründlich missratenen ersten Ehe mit Lady Diana Spencer könnte man den nunmehr 63. Monarchen des Vereinigten Königreichs als Propagandisten des Augenmaßes ansehen. Als Landbesitzer erfüllen ihn Auswüchse des Kapitalismus mit Abscheu. Während in Schottland noch fieberhaft überlegt wird, wie sich die Highlands wiederaufforsten lassen, besitzt Charles eine Unzahl von Pflanzen, die er selbst angebaut hat. Mit einigen von ihnen pflegt er regelmäßig Zwiesprache.

An der Modernisierung der britischen Industrie kritisierte Charles die Wachstumsschäden. Für den Schutz der Regenwälder wendet er beträchtliche Summen auf – das Vermögen des Neo-Potentaten wird übrigens auf umgerechnet zwei Milliarden Euro geschätzt. Doch keine einzige von Charles’ Vorlieben verdient es, allein als Marotte eines Hocharistokraten durchzugehen.

Dieser verbindlich wirkende, ohne Ornat leicht zu übersehende Mann ist ein Monarch des Übergangs. Noch verkörpert er die beiden Körper des Königs. Doch seinen "sakralen", übernatürlichen Anteil möchte Charles so klein wie möglich halten, deutlich geringer etwa als seine Mutter, die langlebige Queen.

Guter Hausvater

Der "profane" Charles wird einen guten Hausvater abgeben: einen, der die Zukunft von Land und Commonwealth nicht in royalen Regierungsspannen misst. Als "Politiker" – der er laut britischer Tradition nicht ist und sein soll – besitzt er mehr Reformeifer, mehr Gemeinschaftssinn als so mancher Tory. Die Rede, die er soeben vor dem Deutschen Bundestag hielt, verriet Weitblick und besaß Symbolkraft. Die samstägige Krönungszeremonie in Westminster gleicht, bei aller Unvermeidlichkeit der Prachtentfaltung, einer Abklärung: Dieser Monarch ist nicht im Mindesten glamourös, und das ist nicht das Schlechteste, was sich über einen hochdotierten König sagen lässt.

Unvergessen bis heute die stundenlange TV-Übertragung von Charles’ "Traumhochzeit" am 29. Juli 1981: Das Einvernehmen mit der blutjungen Lady Di trog von Anfang an. Di war Pop. Sie besaß Scheu, die natürliche Anmut des Rehs – und kokettierte zugleich mit ihrer Hilflosigkeit. Sie hätte in jedes MTV-Video gepasst. Der Film Spencer (mit Kristen Stewart als Diana) zeichnete die Unglückliche als die Leidtragende königlicher Verlogenheit. In Wirklichkeit missverstand sie das Arrangement: Kommen die Windsors öffentlich ihren Pflichten nach, dürfen sie hinterrücks getrost die Doppelmoral von Spießern leben.

Wie ein altes Sandwich

Charles III. wird immer popuntauglich bleiben. Das Musikprogramm zu seinen Ehren wartet mit Koryphäen wie Lionel Ritchie auf. Es ist schmackhaft wie ein altes Gurkensandwich. Briten und Britinnen dürfen sich sicher sein: Ihr neuer Monarch ist, gleich, was der Stammbaum meint, einer der ihren. Er ist Beef von ihrem Beef. Dabei zerbricht er sich seinen kauzigen Kopf über Zukunftsfragen. Das muss den Briten die umgerechnet 280 Millionen Euro Krönungskosten schon wert sein. (Ronald Pohl, 6.5.2023)