Tim Cook hat Apple zu einem Ökosystem gemacht. Der Ausstieg aus dem System ist mühsam geworden.

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Das Feature Airdrop ist praktisch. Egal ob Bild, Text oder Video – mit einem einfachem Wisch schickt man eine Datei vom Smartphone an den Laptop. Beides muss natürlich von Apple sein, sonst würde es nicht funktionieren. Dank iPhone und Co sind die Geräte und auch die Software des US-Konzerns mit dem angebissenen Apfel integraler Bestandteil unseres Lebens geworden. Von Unterhaltung, Arbeit, Kommunikation, Information, Kreativität bis hin zu Heimsteuerung, Sport oder Gesundheit. Einmal in diese Welt eingetaucht, gibt es nur noch wenige Anreize, andere Geräte nutzen zu wollen – zu bequem lebt es sich in Apples goldenem Käfig.

Individualismus in Gefahr?

Dieses Leben ist zunehmend bunter geworden, auch weil der seit über zehn Jahren im Amt waltende Tim Cook die Relevanz übergreifender Software und Abo-Services für das Unternehmen weit mehr betont als sein charismatischer Vorgänger Steve Jobs.

Schon lange sind deshalb die "Services" global gesehen für den Umsatz der Weltmarke Platz zwei hinter den iPhone-Verkäufen – weit vor iPads, Wearables oder Macs. Anfang Mai ist Apple auch noch relevanter Finanzdienstleister geworden, und in wenigen Wochen sollen Mixed-Reality-Headsets auf den Markt kommen. All das sind Bausteine für ein noch komplexeres, aber vor allem ein in sich geschlossenes System.

Aber was macht das mit unserer Gesellschaft und unserem Leben? Wird unser Alltag dadurch vereinfacht und schöner? Oder schnürt uns Apples Zaun langfristig ein und macht unsere Wirtschaft kaputt? Und laufen wir Gefahr, durch Konzernhörigkeit ein ganzes Stück Individualismus zu verlieren?

Stichwort: Ökosystem

Im Austausch miteinander und voneinander agieren mittlerweile nicht mehr nur lebende Organismen, sondern auch Smartphones, Lautsprecher und smarte Küchengeräte. Deshalb hat sich der Begriff Ökosystem längst auch in der Tech-Welt etabliert. Egal ob Google, Microsoft oder Samsung – große Unternehmen versuchen, Menschen in ihre Welt zu ziehen. In eine gut funktionierende, umarmende Welt, in der alles ineinandergreift, in der aber auch absichtlich kleine Hürden eingebaut sind, um sich über ihre Grenzen nicht hinausbewegen zu wollen.

Dieses Ökosystem hat viele Gesichter. So kann man als Apple-User das iPad mit wenigen Klicks als zweiten Screen für das Macbook verwenden – mit einem Samsung-Tablet geht das natürlich nicht. Der Lautsprecher Homepod findet sich in wenigen Minuten mit Apple TV und iPhone verbunden – mit Fremdgeräten hakt die Kommunikation. Nur zwei Beispiele, stellvertretend für diese digitale Handschellen.

Solange man sich in Apples Ökosystem bewegt, freut man sich über unkomplizierte Kommunikationswege zwischen den Geräten.
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Das System der anderen

Samsung hat ebenfalls damit begonnen, Features seiner Wearables, seien es Kopfhörer oder Smartwatches, nur für Samsung-Phones anzubieten. So wird die Kombination mit iPhones zunehmend unattraktiver gemacht. Auch eine passende Airdrop-Alternative haben die Koreaner mittlerweile eingeführt, genau wie viele andere Hersteller. Als Apple-Nutzerin und -Nutzer freut man sich wiederum, wenn man Texte oder Bilder am iPhone kopieren und einfach in andere Apple-Geräte einfügen kann. Und natürlich ist die iCloud nur wirklich komfortabel, wenn man sie mit anderen Apple-Kunden teilt.

Ein weiteres mächtiges Tech-Ökosystem ist das Google-Universum, da der Konzern mit den bunten Buchstaben ähnlich wie Apple nicht nur Hardware, sondern vor allem weitverbreitete Software liefert. Google ist aber in vielen Belangen offener, was Kooperationen betrifft, bietet Betriebssysteme für TV-Geräte anderer Hersteller und ist durch Android, Chrome und ihre Marktführer-Apps wie Maps oder Gmail omnipräsent am Markt.

Am Ende hat Apple das wohl umfangreichste und gleichzeitig das nach außen am stärksten abgeschirmte Ökosystem, was den Ausstieg daraus auch so schwierig macht. Viele fühlen sich schon vom Umstieg von iPhone auf ein Android-Phone überfordert, und hängen auch noch eine Apple Watch, ein Apple TV und vielleicht sogar ein Macbook dran, dann multipliziert sich dieser Aufwand um ein Vielfaches. Das erfordert Zeit, die man sich heute für solche Dinge nicht mehr nehmen will.

Apple und das Vertrauen

Apple hat es wie kein anderes Unternehmen geschafft, Vertrauenswürdigkeit als Markenidentität zu etablieren. Das zeigen zig Studien und natürlich auch die Verkaufszahlen. So ist es seit einigen Monaten auf iPhones möglich, Apps bestimmte Datenzugriffe zu verweigern. Beziehungsweise müssen Apps im Store ausschildern, welche Daten sie vom Nutzer haben wollen. Das klingt alles sehr positiv für die Kundinnen, aber die Marktmacht von Apple hat selbstverständlich auch ihre Schattenseiten.

So setzt Apple bei seinen Produkten noch immer wahlweise auf USB-C, etwa bei der aktuellen Macbook-Generation, bei iPhones hält man aber stur am Lightning-Anschluss fest. Mittlerweile hat sich sogar die EU-Kommission eingeschaltet, um Apple ab 2024 zu einem einheitlichen Ladegerät zu zwingen. Apple reagierte verschnupft, und plötzlich stand vonseiten des US-Konzerns im Raum, dass das Laden oder die Datenübertragung über Zubehör ohne Apple-Zertifizierung eingeschränkt sein könnte. Das würde fremde USB-C-Ladekabel also dahingehend unbrauchbar machen, dass Herr und Frau Kunde künftig trotzdem ihr Ladekabel bei Apple kaufen müssen.

Auch in Sachen Wettbewerb sieht sich Apple in einer Vormachtstellung. Der US-Konzern bietet mit dem App Store eine Verkaufsplattform, die auch von großen Herstellern wie Epic Games genutzt wird, der für den Millionen-Seller "Fortnite" verantwortlich ist. Die Abgabe von 30 Prozent aller Einnahmen im Spiel an Apple wollte der Spieleproduzent allerdings umgehen, was den Plattformbetreiber Apple vor Gericht ziehen und gewinnen ließ. Wer nicht nach den Regeln spielt, wird abgestraft. Alternativen für Epic und andere App-Hersteller gibt es nicht, wollen sie die Millionen iPhone- und iPad-Nutzer dieser Welt mit ihrer Produkten erreichen.

Auch in Österreich hat sich das Bezahlen via Apple Pay mittlerweile etabliert.
Foto: MAXIM ZMEYEV

Bank of Apple

Mit Apple Pay zu zahlen hat sich mittlerweile auch in Österreich etabliert. Nicht selten halten an der Kasse Menschen ihr Smartphone oder auch ihre Apple Watch ans Lesegerät. Der nächste Schritt, den Apple gerade in den USA sehr erfolgreich gestartet hat, ist "Apple Savings". Dabei handelt es sich um ein verzinstes Tagesgeldkonto mit satten 4,15 Prozent. Innerhalb von nur einer Woche wurden im Heimatland von Apple 240.000 Konten eröffnet und rund eine Milliarde US-Dollar eingezahlt. Damit ist der Konzern nach nur wenigen Tagen in den Top 40 der weltgrößten Vermögensverwalter. Das Vertrauen, das sich Apple auf anderen Gebieten aufgebaut hat, funktioniert also offenbar auch hervorragend in einem der heikelsten Bereiche: jenem der Geldanlage.

Als Kooperationspartner hat sich der Tech-Konzern die US-Bank Goldman Sachs ausgesucht. Nutzen können das Angebot Besitzer der Apple-Kreditkarte Apple Card, die es bisher ebenfalls nur in den USA gibt. Das System ist einfach. Via Wallet-App des iPhones werden die Finanzen verwaltet, direkte Einzahlungen funktionieren ebenfalls. Sogar Ratenkredite bietet Apple mittlerweile via den 2022 gestarteten Service Apple Pay Later. Der US-Konzern als wachsender Finanzdienstleister.

Für viele Unternehmen wäre dieser Schritt in einen neuen Bereich umständlich und damit wohl auch für die Kundinnen und Kunden. Bei Apple schreitet wieder einmal das bestehende Ökosystem helfend ein. Neue Services werden in bereits vorhandene integriert, der Zugang wird möglichst barrierefrei gehalten. Der neuerliche Erfolg gibt der Firma von Tim Cook recht.

Appleversum

In ein paar Wochen will Apple der Öffentlichkeit ein Mixed-Reality-Headset präsentieren, das sowohl als Augmented-Reality- als auch als Virtual-Reality-Brille genutzt werden kann. Bestehende iPad-Apps sollen dann im "virtuellen Raum" erlebt werden können. Egal ob Filme via Apple TV+, Spiele aus der Apple Arcade oder auch ein kurzer Sparkontocheck via Apple Savings. Das Ökosystem kann dann noch immersiver erlebt werden – nicht als vages Metaverse, sondern als bereits bestehendes Appleverse.

Ein Ausbruch aus diesem System ist dann kaum noch möglich. Alle Fotos in der Apple Cloud, das Geld auf der "Apple Bank" und alle Kontakte im iPhone. Neben Gewohnheit und Bequemlichkeit sind das alles sehr intime Dinge, die man auch nicht jedem anvertrauen möchte. Das weiß auch Tim Cook. Und so wird er alles daran setzen, vor allem das Vertrauen der Kundinnen und Kunden auch künftig zu behalten. Den goldenen Käfig kräftig polieren, damit man sich auch weiterhin darin wohlfühlt. Die Gitterstäbe fallen dann nur noch den wenigsten von uns auf. (Alexander Amon, 14.5.2023)