Laura Wienroither wird vom Betreuerstab gestützt. Sie ist eine von vier Arsenal-Spielerinnen, die wegen eines Kreuzbandrisses pausieren.

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Christian Gäbler: "Das Risiko ist bei Sportlerinnen zwei- bis viermal höher als bei Männern."

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Laura Wienroither wusste es sofort. Wenig später bemerkten es auch ihre Teamkolleginnen: Es ist etwas Schlimmes passiert. Ein paar Momente zuvor war die Welt der 24-jährigen Arsenal-Verteidigerin noch in Ordnung. Mehr als in Ordnung eigentlich: Champions-League-Halbfinale, im Rückspiel zwischen Wolfsburg und Arsenal hatte Jennifer Beattie den Ausgleich für die Engländerinnen zum 2:2 erzielt. Vor über 60.000 Fans – britischer Rekord für ein Fußballspiel der Frauen. Die größtmögliche Bühne also.

Wienroither betrat diese Bühne in der 64. Minute, sie wurde für Noelle Maritz eingewechselt. In der 80. Minute musste die ÖFB-Teamspielerin wieder raus. Auf einer orangen Trage wird die Verteidigerin von zwei Sanitätern vom Platz getragen. Immer wieder kommen Mitspielerinnen und tätscheln ihr tröstend den Kopf. In Wienroithers Gesicht spiegeln sich Schmerz, Enttäuschung und Unglaube wider. Am Donnerstag folgte die Gewissheit in Form der Diagnose: Kreuzbandriss.

CAT MEDIC

Das Kreuzband ist so etwas wie das öffentliche Verkehrsmittel im Knie: Jeder kennt es, die meisten nutzten es, und: Es wird vor allem darüber geredet, wenn es Probleme macht: "Kreuzbandriss, oje!" Im Spitzensport ist der Kreuzbandriss eine Hiobsbotschaft. Er bedeutet Pause, mühsame Reha, also ein langer Weg zurück in den Berufsalltag. Eine Hiobsbotschaft, die Frauen bedeutend öfters ereilt als Männer. Denn Frauen sind deutlich anfälliger dafür, sich das Kreuzband zu reißen. Im Frauenfußball gehört der Kreuzbandriss fast wie das Amen ins Gebet: Kurz vor der Europameisterschaft 2022 zog sich Spaniens Superstar Alexia Putellas die Knieverletzung zu. Beim Wienroither-Klub Arsenal laborieren aktuell vier Spielerinnen an den Folgen.

X-Beine, Hormone

"Das Risiko ist bei Sportlerinnen zwei- bis viermal höher als bei Männern", sagt Sportchirurg und Kniespezialist Christian Gäbler vom Sportambulatorium Wien dem STANDARD. Das gilt vor allem für Sportarten mit Stop-and-go-Bewegungen sowie raschen Richtungswechseln, wie zum Beispiel Fußball, Handball, aber auch Skifahren. Auffällig sei dabei auch, dass "diese Verletzungen so gut wie immer ohne fremden Körperkontakt passieren". Man bleibt in der Bewegung hängen und stürzt über das eigene Knie.

Warum aber sind Frauen häufiger betroffen? Laut Gäbler gibt es mehrere Gründe: Einerseits haben Frauen andere genetische Voraussetzungen, auf der anderen Seite spielt der hormonelle Zustand eine entscheidende Rolle. "Statistisch gesehen haben Frauen weniger Muskulatur als Männer. Schuld daran ist die geringere Testosteronausschüttung." Hinzu komme eine Imbalance zwischen vorderer und hinterer Oberschenkelmuskulatur, was zu einer gewissen muskulären Destabilisierung führe. Aber auch die Tatsache, dass Frauen häufiger mit X-Beinen leben, verschlimmere die Situation. "Bei Landebewegungen gilt bei X-Beinen eine höhere Krafteinwirkung auf das Kreuzband. Diese Bewegungen führen häufiger zu einer Kreuzbandverletzung", sagt der 58-jährige Mediziner.

Risiko Zyklus

Skisportlerinnen können davon ein klagendes Lied singen: Ex-Ski-Ass Lindsey Vonn riss sich zweimal das Kreuzband, ÖSV-Athletin Stephanie Brunner musste dreimal wegen eines Kreuzbandrisses pausieren und bei der Liechtensteinerin Tina Weirather hieß es während ihrer erfolgreichen Karriere gar viermal: Stopp, Kreuzbandriss.

Neben den genetischen und hormonellen Voraussetzungen spielt auch der Zyklus eine entscheidende Rolle. Die heikelste Phase ist kurz vor dem Eisprung: "Das Risiko für einen Kreuzbandriss ist in dieser Phase signifikant höher. Denn die zyklusbedingten Schwankungen haben einen Einfluss auf die Elastizität und Steifigkeit der Kreuzbänder", sagt Gäbler. Zu diesem Zeitpunkt werde das Kreuzband weniger steif, "hat aber dennoch eine geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber einer einwirkenden Kraft", sagt Gäbler. Hormonelle Verhütungsmittel, wie etwa die Anti-Baby-Pille, haben jedoch keinen signifikanten Einfluss.

Tracking und Training

Wie der Zyklus die Verletzungsanfälligkeit im Knie genau beeinflusst, ist laut Gäbler aber noch nicht ausreichend erforscht. Den Sportvereinen und Verbänden ist die Problematik jedenfalls bekannt, der Umgang damit gestaltet sich unterschiedlich. "Je professioneller der Verein oder die Liga ist, desto eher wird auf genetische, anatomische und hormonelle Faktoren bei Frauen Acht gegeben."

Als Prävention beginnen einzelne Vereine und Mannschaften mit genauer Überwachung des Zyklus. "Zyklus-Tracking" heißt das dann. Dass diese Methode im Profisport zielführend ist, bestätigt auch Gäbler: "Wenn du weißt, dass in der Phase vor dem Eisprung ein höheres Verletzungsrisiko besteht, können Sportlerinnen genauer darauf achten, extreme Belastungen zu vermeiden." Vor allem Teams mit einem großen Kader hätten da einen Vorteil, da sie anfälligere oder müdere Athletinnen besser schonen können. Die Rotation wird zum Trumpf. Noch viel früher, also im Jugendalter, würde laut Gäbler ein gezieltes neuromuskuläres Training das Risiko, später einen Kreuzbandriss zu erleiden, um 50 Prozent verringern. (Andreas Hagenauer, Laura Rieger, 6.5.2023)