Leibwächter versuchen, İmamoğlu abzuschirmen

Foto: REUTERS/CEM BAKIRCI/DEPO PHOTOS

Gewalt im türkischen Wahlkampf: Im ostanatolischen Erzurum, einer Hochburg der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seines Koalitionspartners MHP, hat eine Gruppe von 300 bis 400 Nationalisten am Sonntag eine Veranstaltung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu angegriffen. Sie warfen Steine auf den Tourbus des Oppositionellen und hinderten İmamoğlu daran, seine Rede fortzusetzen. Die Scheiben des Busses wurden zerstört, Mitarbeiter İmamoğlus und unbeteiligte Zuschauer wurden getroffen und teils verletzt. Die zahlreichen Polizeibeamten griffen nicht ein und hinderten die Nationalisten erst am Ende, als İmamoğlu bereits Richtung Flughafen geflüchtet war, den Bus zu verfolgen. Darüber hinaus wurden zwei Abgeordnete der CHP in Trabzon auf offener Straße angegriffen.

Der Angriff ereignete sich zu dem Zeitpunkt, als Erdoğan in Istanbul vor mehr als einer Million Menschen seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu übel verunglimpfte und die Opposition einmal mehr als Handlanger der kurdischen PKK darstellte. Kılıçdaroğlu sei ein "betrunkener Säufer", weil er als Alevit das Alkoholverbot des Islam nicht beachte, stachelte Erdoğan seine Anhänger an und ließ gleichzeitig auf einer Großleinwand ein Video ablaufen, bei dem Kılıçdaroğlu beim Singen seiner Wahlkampfhymne mit der in Kampfmontur auftretenden PKK-Führung gegengeschnitten wurde. Ein gefaktes Video.

Mit der Rede Erdoğans und der Attacke auf İmamoğlu hat der Wahlkampf eine knappe Woche vor dem Urnengang am kommenden Sonntag ein Stadium erreicht, dass die Befürchtungen, Erdoğan würde eine Niederlage womöglich nicht anerkennen, weiter anfacht. Kılıçdaroğlu rief am Montagmorgen seine Anhänger dazu auf, ruhig zu bleiben, sich nicht provozieren zu lassen und vor allem sich nicht vom Wählen abhalten zu lassen. "Die Regierung will Angst verbreiten, wir sollten dem nicht nachgeben." Eine Kundgebung von Kılıçdaroğlu am Montag in Konya wurde von einer Bombendrohung überschattet.

Um Zwischenfällen am Wahltag vorzubeugen, ruft die Opposition ihre Anhänger nun dazu auf, sich als Wahlbeobachter zu melden und so Unregelmäßigkeiten zu verhindern. Das dürfte nach dem Zwischenfall in Erzurum aber vor allem in den ländlichen Provinzen, in denen die Rechte traditionell sehr stark ist, schwierig werden. Angesichts der Strategie der Regierung, Spannung zu erzeugen, wird es nicht viele Leute in diesen Gegenden geben, die offen für die Opposition auftreten.

Anschuldigungen

Der eigentlich für die Sicherheit der Wahl zuständige Innenminister Süleyman Soylu heizt die Stimmung weiter an, indem er in den regierungsnahen TV-Kanälen Verschwörungstheorien verbreitet, denen gemäß Kılıçdaroğlu nicht nur von der PKK abhängig sei, sondern ebenso eine Marionette der USA und Israels sei. Zu dem Angriff auf İmamoğlu hat er auch eine eigene Theorie: Im regierungsnahen Ülke-TV sagte er, das Ganze sei eine Inszenierung des Angegriffenen selbst gewesen. Die Steine seien von seinen eigenen Anhängern geworfen worden, um die Menschen von Erzurum zu diskreditieren.(Jürgen Gottschlich aus Istanbul,8.5.2023)