Justizministerin Alma Zadić.
Foto: APA/EVA MANHART

Man kann es schon kaum mehr hören, das Mantra, dass die Pandemie der Welt einen längst überfälligen Digitalisierungsschub verpasst habe. Im Fall von Gesellschafterversammlungen und Zivilprozessen dürfte das nun aber tatsächlich der Fall sein: Ohne viel Trara legte das Justizministerium vorige Woche zwei Gesetzesentwürfe vor. Die in der Pandemie geschaffene und mehrmals verlängerte Möglichkeit, digitale Hauptversammlungen und digitale Zivilprozesse abzuhalten, soll endgültig ins Dauerrecht überführt werden.

Vereinfachte Versammlungen

Unumstritten ist freilich weder das eine noch das andere. Im Fall digitaler Hauptversammlungen hagelte es bei jeder Verlängerung der Ausnahmeregel Kritik vom Interessenverband für Anleger (IVA). Dass die Ausnahme jetzt zur Regel werden soll, kann Vorstand Florian Beckermann nicht nachvollziehen. Es werde für börsennotierte Unternehmen ein "virtuelles Hinterstüberl" und "quasi ein Freibrief" geschaffen, um den "Missbrauch von traditionellen Aktionärs- und Eigentumsrechten massiv zu erleichtern". Das Chaos in Deutschland, wo es ein solches Gesetz für virtuelle Hauptversammlung bereits gibt, "sollte ein abschreckendes Beispiel sein", kritisiert Beckermann auf Anfrage.

Thomas Kulnigg, Rechtsanwalt und Partner bei Schönherr, sieht das im Gespräch mit dem STANDARD differenzierter: "Die Regelung ist eine massive Erleichterung, vor allem für kleinere Gesellschaften." Versammlungen seien dadurch deutlich effizienter – und internationale Investoren können so leichter daran teilnehmen.

Neue Rechte für Aktionäre

Das Justizministerium habe im Entwurf zudem auf die Kritik von kleineren Anlegern reagiert, ergänzt Anwalt Niklas Kerschbaumer. "Digitale Versammlungen müssen im Gesellschaftervertrag vorgesehen sein. In der Regel müssen also drei Viertel der Gesellschafter zustimmen." Bei börsennotierten Unternehmen werden Kleinanleger zusätzlich geschützt: Schon zehn Prozent der Aktionäre können nach einer virtuellen ordentlichen Hauptversammlung verlangen, dass die nächste ordentliche Hauptversammlung in Präsenz abgehalten wird.

Noch viel schärfer fiel in den vergangenen Monaten die Kritik an der Möglichkeit digitaler Zivilprozesse aus. Dort waren sogar viele Anwälte und Richterinnen einer Meinung: Gerichtsverhandlungen seien "keine Online-Yogastunde", sagte etwa Elisabeth Lovrek, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH). Die Anwaltskammer forderte eine gründliche Evaluierung.

Das Justizministerium hat im neuen Entwurf nun auf einige dieser Kritikpunkte reagiert. Schon bisher waren digitale Prozesse nur dann möglich, wenn alle Verfahrensbeteiligten zustimmen. Darüber hinaus soll es nun auch ein Regulativ für den Umgang mit technischen Pannen geben sowie eine neue gesetzliche Grundlage zur "Gewährleistung der Datensicherheit". (Jakob Pflügl, 8.5.2023)