Das Bundesverwaltungsgericht ist für heikle Verfahren in den Themenbereichen Asyl, Umwelt und öffentliche Auftragsvergabe zuständig.

Foto: Matthias Cremer

Von einer "Missachtung des Rechtsstaats" und "fehlender Verantwortung" gegenüber der Justiz sprechen Richterinnen und Richter; von einem "unzumutbaren Zustand" und einem "unfassbar schlechten Zeichen" die Oppositionsparteien.

Seit knapp einem halben Jahr ist die Spitze des größten Gerichts Österreichs, des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), unbesetzt. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne können sich nicht auf einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin einigen, obwohl es längst den Besetzungsvorschlag einer Personalkommission gibt.

Die Vermutung zahlreicher politischer Beobachterinnen und Beobachter: Die Postenbesetzung am BVwG, die laut dem "Sideletter" der Regierung der ÖVP zustehen soll, dürfte mit einer weiteren Personalentscheidung gekoppelt sein. Auch bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) steht die Neubesetzung der Leitungsfunktion aus – dort bereits seit mehr als einem Jahr.

Renommierte Kommission

Die Personalkommission für das BVwG setzt sich aus den Präsidenten der Höchstgerichte und aus Vertretern der Ministerien und der Wissenschaft zusammen. Ihren Besetzungsvorschlag hat sie bereits am 13. Februar an die Regierung übermittelt. An erste Stelle gereiht wurde Sabine Matejka, Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung und Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf.

Das Beamtenministerium unter Werner Kogler (Grüne) hat daraufhin einen Ministerratsvortrag erarbeitet, der "jederzeit beschlossen" werden könnte. Man warte aber seit Wochen auf eine "positive Rückmeldung" des türkisen Koalitionspartners, heißt es auf Anfrage. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) verwies am Montag auf die Stellungnahme des Beamtenministeriums. Aus dem ÖVP-geführten Bundeskanzleramt heißt es lapidar, dass die Angelegenheit "in der Koordinierung" liege.

Heikle Verfahren

Zuständig ist das BVwG hauptsächlich für Asylfragen und Umweltverfahren. Dass die Präsidentenstelle einer derart wichtigen Institution offenbleibt, kritisiert die Opposition scharf. Die Situation sei ein "unzumutbarer Zustand", sagte SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim im Ö1-"Mittagsjournal" am Montag. Aus Sicht des FPÖ-Mandatars Harald Stefan entstehe der Eindruck, "dass hier nicht das an sich objektive Besetzungsverfahren ausschlaggebend sein soll, sondern ein politischer Tauschhandel". Nikolaus Scherak (Neos) sprach von einem "unfassbar schlechten Zeichen" und einer "Zumutung". Bei der ÖVP gehe es nach wie vor darum, "wer gut vernetzt ist, und nicht darum, wer was kann".

Kritik übt auch der Dachverband der Verwaltungsrichter:innen. Die ausstehende Ernennung weise darauf hin, dass "zumindest der Anschein der politischen Einflussnahme gegeben ist", heißt es in einer Stellungnahme an den STANDARD. Die Politik nehme "ihre Verantwortung gegenüber der Rechtsprechung als zentrale Säule unserer Demokratie nicht gebührend wahr". Der Dachverband fordert, dass der Besetzungsvorschlag der Personalkommission künftig verbindlich ist.

Geleitet wird das BVwG derzeit von Vizepräsident Michael Sachs. Der ÖVP-nahe Jurist (er war Kabinettschef von Wolfgang Schüssel) hatte sich für die Leitung der BWB beworben und wurde in einem umstrittenen Auswahlverfahren auf Platz eins gereiht. Die anerkannte Wettbewerbsjuristin und interimistische Chefin der BWB Natalie Harsdorf-Borsch belegte nur den zweiten Platz, was die Grünen offenbar nicht akzeptieren wollen. Das Ergebnis: Sachs bleibt interimistischer Chef des BVwG, Harsdorf-Borsch interimistische Leiterin der BWB. Ein Ende dieser gegenseitigen Blockade ist nicht in Sicht. (Jakob Pflügl, 8.5.2023)