Seit August ist die gebürtige Elsässerin Aurore Jeudy Kellermeisterin bei Schlumberger. Die Mutter einer Tochter schätzt vor allem den guten Wein in Österreich.
Foto: Regine Hendrich

Aurore Jeudy trägt immer einen Schal. Nicht weil sie ihn stylish findet, sondern aus praktischen Gründen: Im Keller des Sektproduzenten Schlumberger im 19. Bezirk in Wien hat es konstante 13 Grad, hier ist es selbst an einem warmen Frühlingstag kühl und feucht. Modrig riecht die Luft in den verschlungenen Ziegelsteingängen des Weinkellers. Ganz hinten hört man leise Glas klirren, es sind die Flaschen, die gerade abgefüllt werden. Seit August ist die gebürtige Elsässerin Herrin über diesen Keller und damit die erste Frau in der mehr als 180-jährigen Geschichte des Traditionsunternehmens.

Jeudy ist eine der wenigen Frauen, die in einer traditionellen und männerdominierten Branche an der Spitze steht. Nachteile habe sie nie erlebt. Das Besondere an der Weinbranche, sagt Jeudy, sei, dass gerade der Wein eines Winzers, einer Winzerin Unterschiede wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung irrelevant macht. Das Endprodukt zählt. Dennoch bleibt sie als Kellermeisterin eine Exotin. "Als ich mein Diplom gemacht habe, waren wir 20 Studierende, die Hälfte Männer, die andere Hälfte Frauen. Meist war es so, dass die Frauen ins Labor gingen oder als Qualitätsmanagerin anfingen. Frauen arbeiteten damals so gut wie nie im Keller." Heute wollen immer mehr Jungwinzerinnen selbst Wein produzieren. Jeudy vergleicht die Entwicklung mit der Gastronomie, in der immer nur Köche mit Sternen und Hauben ausgezeichnet wurden und erst langsam Frauen die notwendige Anerkennung erhalten. Sie hofft, dass diese Entwicklung weitergeht und ihr immer mehr Frauen folgen.

Jeudy überwacht als Kellermeisterin den gesamten Prozess.
Foto: Philipp Lipiarski

Aufgewachsen ist die 40-jährige Französin im Elsass, einem traditionellen Weißweingebiet an der Grenze zu Deutschland. Dadurch hat es für sie immer schon eine gewisse Nähe zum österreichischen Wein gegeben, sagt sie. Jeudy stammt aus keiner Winzerfamilie, jedoch sei die Weinkultur in ihrer Heimat so tief verwurzelt, dass man dieser fast gar nicht entkommen kann. Immer schon davon fasziniert, wie man Wein herstellt, studierte sie Weinbau und schloss 2006 ihr Önologie-Studium in Reims in der Champagne ab. Danach war sie als Flying Winemaker 16 Jahre lang für verschiedene Wein- und Champagnerkellereien in Europa und Asien tätig – unter anderem auch für Schlumberger.

Keine Revolution

Vom Jetset internationaler Weingärten landete Jeudy vergangenes Jahr in Wien. Ihre Aufgabe als Kellermeisterin ist vor allem eines: Kontrolle. Von den Trauben und deren Ernte bis hin zu den Gärprozessen und der Aromaentwicklung des Sekts muss sie alles überwachen. Wer glaubt, als Sektchefin könnte man kreativ arbeiten und sich an Neuheiten versuchen, irrt. Die Kellermeisterin folgt der "Philosophie von Schlumberger" oder, anders gesagt, einem logischerweise starren Korsett mit Einschränkungen: "Es gibt schon einen Stil, das ist zu respektieren." Über behutsame Veränderungen will sie über die Jahre dennoch versuchen, den Sekt nach ihrem Geschmack weiterzuentwickeln. Sie hofft, dass die Kundinnen und Kunden das in ein paar Jahren herausschmecken. "Für Sekt und so ein altes Haus kann es niemals eine Revolution geben." Lieber spricht sie im Gespräch von Evolution.

Guten Sekt hinzubekommen, das will sie vor allem durch ihren persönlichen Geschmack bewirken. "Es klingt vielleicht komisch, aber ich vertraue sehr darauf, was ich verkoste und was ich schmecke." Der Sekt von heute ist der Sekt von vor zwei Jahren. So lange dauert es bis zur Abfüllung. Dementsprechend wichtig ist es für Jeudy, auf die Veränderungen der Klimakrise zu reagieren. Das vergangene Jahr zum Beispiel war laut Jeudy ein "super Jahr", da es aufgrund der extremen Trockenheit kaum Schädlinge oder Fäule bei den Trauben gab. Heuer dagegen kämpft man mit den andauernden niedrigen Temperaturen.

In den letzten Jahren gab es einen Trend zu weniger süßem Sekt, sagt Jeudy, noch stärker sei aber der Rosé-Boom. Laut Schlumberger habe sich der Absatz um mehr als 90 Prozent gesteigert. Dass man Sekt mit Eis trinkt, sieht Jeudy mit den Augen einer Weinexpertin eher ungern. "Das sollte man eigentlich nur machen, wenn es auf dem Etikett steht", sagt sie schmunzelnd. Erst dann sorge das Schmelzwasser für eine bessere Aromen-Balance im Glas. Apropos: Hier schwört die "Sektpertin" auf Weingläser, um das Beste aus dem Sprudel herauszuholen. Und was macht einen Sekt zu einem guten Sekt? "Wenn man nach einer zweiten Flasche fragt." (Kevin Recher, 16.5.2023)