Insgesamt 38.420 Läuferinnen und Läufer machten sich in den Morgenstunden des 5. März auf den langen Weg durch Japans Hauptstadt. 35.000 kamen ins Ziel des Marathons von Tokio. Einer von ihnen war Tobias Breer. Nicht als einziger Deutscher. Vermutlich als einziger katholischer Geistlicher. Aber bestimmt als einziger Priester, der sich hier einen Lauftraum erfüllte: Der "Marathonpater" finishte in Tokio die "Majors-Serie". Doch bis es so weit war, musste der 60-jährige Duisburger warten. Drei Jahre, um genau zu sein. Denn Corona-bedingt konnte der Laufbewerb in dieser Zeit nicht stattfinden. Tokio war aber nicht Breers erster Marathon in der Ferne. Zuvor war er schon die Langdistanzen von Berlin, London, New York, Boston und Chicago gelaufen.

Der Marathon von Tokio gehört zu den sechs "World Marathon Majors". Der internationale Andrang ist groß.
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Das ist – abgesehen von der läuferischen Leistung – nicht einfach. Organisatorisch ist es ohne Hilfe fast unmöglich für Normalsterbliche. Doch Pater Tobias brauchte weniger himmlischen als irdischen Beistand: ein Spezialreisebüro für Laufreisen. Sonst ist der Weg zu den Startplätzen begehrter Läufe noch schwieriger.

Lotterie

Denn dass in Tokio fast 40.000 Menschen Marathon laufen, heißt nicht, dass dort jeder starten kann: Das Recht, einen Platz zu kaufen, muss man erst bei einer Startplatzlotterie gewinnen. An dieser nehmen bis zu 400.000 Menschen teil. Verlost werden aber nur etwa 15.000 Plätze. Ein paar Tausend gibt es noch für sauschnelle Läufer und Läuferinnen mit für "Normalos" utopischen Qualifikationszeiten. Dann folgen Kontingente für Leute, die für handverlesene (lokale) Wohltätigkeitsinitiativen tausende Euros einsammeln. Der Rest geht nach Nationen kontingentiert in Spezialreisebüros auf der ganzen Welt.

Den Vergleich, der sich da aufdrängt, kennt nicht nur Pater Tobias: das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr. Zigtausende hegen den Traum, bei einem der sechs "Majors" zu laufen. Verwirklich haben ihn sich seit Gründung des Zusammenschlusses von Marathonveranstaltern 2006 genau 3.922 Frauen und 8.230 Männer – 92 von ihnen (zwölf Frauen, 80 Männer) aus Österreich und um die 1.000 Deutsche. Katholischen Priester gibt es in diesem Kreis nur einen: Pater Tobias. Aber beim Versuch, durch das Startplatznadelöhr zu schlüpfen, ist es ohnedies egal, was und woran man glaubt.

Der Marathon im Weingebiet bei Bordeaux.
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Für Menschen mit Wohnsitz Österreich gibt es de facto nur eine Anlaufstelle: Runners Unlimited. Kleines Land bedeutet wenige Startplätze. Viel zu wenige: "Für Tokio würden wir uns 40 wünschen", sagt Kerstin Strubreiter, "aber mehr als 15 haben wir noch nie bekommen." Strubreiter leitet heute die 2012 gegründete Lauf-Division bei Ruefa. Der Markt boomt – also gibt es Wartelisten. Auf London oder Tokio wartet man mit etwas Pech mehrere Jahre. Manchmal hilft die EU-Niederlassungsfreiheit: Vor Corona betrug die Wartezeit für Boston in Dänemark angeblich fünf Jahre. Doch oh Wunder: Plötzlich hörte man in italienischen und spanischen Laufgruppen Dänisch. Man munkelt, dass einige Läufer sogar identische Meldeadressen wie Mitarbeiter der jeweiligen Reisebüros hatten. Strubreiter schmunzelt und sagt dazu vielsagend nichts: "Ja, es gibt auch skurrile Geschichten."

Rundumprogramm

Doch Laufagenturen vermitteln mehr als Startplätze für die begehrten Marathons. Geführte Sorgenfrei-Laufpackages gibt es zu so gut wie jedem Lauf. Vom Wein-Kultlauf "Marathon des Châteaux du Médoc" über den als "unbeschreiblich" geltenden "Iceland Volcano Marathon", Marathons auf der Chinesischen Mauer oder durch die kenianische Steppe zwischen Giraffen, Löwen und Nashörnern bis zum "Big Sur" zwischen San Francisco und L.A., zum Mitternachtssonnen-Halbmarathon von Tromsö und zu "Ultras" (mehr als die Marathondistanz) wie dem Two-Oceans- oder dem Comrades-Lauf in Südafrika reicht das Spektrum.

Einen Lauf, den einschlägige Agenturen auf Anfrage nicht im Programm haben, wird man kaum finden. Nicht zuletzt, weil auf Nachfrage meist sofort mit Angeboten reagiert wird. Denn zufriedene Kundschaft kommt wieder: Über 70 Prozent seiner Mitläufer, sagt Nils Krekenbaum von "Laufreisen" aus Deutschland, seien Stammkunden. Zum Reiseveranstalter fanden sie meist über einen Major, den Komfort der durchorganisierten Reise wollen sie dann auch bei anderen Marathontrips: in Krakau und Patagonien. In Angkor Wat, entlang der Seidenstraße, auf Spitzbergen bis zum Nordpol. Und auf dem "Dach der Welt". Zum Tenzing Hillary Everest Marathon schickt Kerstin Strubreiter heuer vier Kunden. Am 29. Mai starten sie auf 5.364 Meter Höhe, vom untersten Everest-Basecamp.

Beim Marathon in San Francisco werden zahlreiche Sehenswürdigkeiten passiert.
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Dort oben lief Pater Tobias noch nie. Ganz unten sehr wohl: Im Februar startete er 400 Meter unter Meeresniveau beim Dead Sea Marathon. Auch die "biblischen" Läufe in Israel kennt der Marathonpater: die Wüste Negev bei Eilat ebenso wie die Hügel und die Altstadt des Jerusalem Marathon. Einer Gleichsetzung von Laufgruppen mit Pilgern würde er aber wohl doch widersprechen. Obwohl es Parallelen gibt: den Glauben an ein nie wirklich gewisses Ziel. Die Bereitschaft zu leiden. Die Passion, die zur Mission wird. Und die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Doch eines muss dann am Ende doch jeder, doch jede selbst, allein und für sich tun: laufen.

Startschuss

Für "Majors" braucht man Zeit und Geld: Die Kosten sind aufgrund der Reisedistanzen und -dauer unterschiedlich, der Startplatz ist im Reisearrangement nicht bei jedem Paket inkludiert. Trotz nationaler Kontingente macht der Blick über die Grenze Sinn, wenn daheim nichts mehr geht: Veranstalter mit großen Kontingenten können oft ein paar "Externe" mitnehmen. Und da wäre noch der Trick mit der Niederlassungsfreiheit (siehe Text). Aber Wartelisten gibt es überall. Am günstigsten ist Berlin (24. 9. 2023). Bei Runners Unlimited ab 479 Euro (Flug, Betreuung, zwei Hotelnächte) – exklusive Startplatz. Der schlägt mit 190 Euro zu Buche. Wer ihn anders ergattert, zahlt deutlich weniger – die Reisebüro-Startplatzpreise werden aber von den Majors vorgegeben, sagt Strubreiter: "Wir geben sie ohne Aufschlag weiter." (Thomas Rottenberg, 16.5.2023)