Musk ist bei jedem seiner Auftritte gut wiedererkennbar. Kein Zufall, wenn es nach der Heldenforschung geht.

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"Der wahre Iron Man", so der Titel einer Dokumentation auf Amazon Prime. Darin geht es um einen zumeist sehr erfolgreichen Unternehmer, Macho und gelegentlich von Selbstüberschätzung begleitenden Celebrity: nein, nicht Tony Stark – es geht um Elon Musk.

Video-Porträt: Elon Musk polarisiert wie kaum ein anderer. Man kennt ihn als Unternehmer und Erfinder. Aber wie war Elon als Jugendlicher, und was für ein Ehemann und Vater ist Musk heute?
DER STANDARD

Der Titel der Dokumentation bringt es überspitzt auf den Punkt, wie heute so mancher Tech-CEO gesehen wird: als Superheld. Musk ist dabei sicher das Aushängeschild dieser Spezies, da er mittlerweile versucht, vier Unternehmen erfolgreich zu führen, und dafür unter anderem auf seiner mittlerweile gekauften Social-Media-Plattform Twitter Applaus von knapp 70 Millionen Anhängern erhält. Dieses mittlerweile weltweit bekannte und vor allem markante Gesicht, hat die Barriere zwischen Unternehmen und Konsumenten des Produkts nach unten gesenkt. Es hat für viele Kontext geschafft, in dieser turbulenten, von Veränderung geprägten Welt.

Aber wie wichtig sind diese starken, meist männlichen Anführer für die Marke, die sie vertreten? Welche Ziele verfolgen sie durch ihr regelmäßiges Auftreten, und könnten die Tesla-Investoren das Aushängeschild Musk einfach austauschen, ohne die Marke zu schädigen? Schauen wir uns moderne Heldenverehrung und ihre Tücken einmal genauer an.

Heroisierungsstrategien

Der "Forbes"-Journalist Karl Kaufman schrieb bereits vor fünf Jahren, dass man mit dem Kauf einer Tesla-Aktie vor allem an die Idee glaubt, dass Musk, das Gesicht des Unternehmens, das Zeug dazu hat, "den Widrigkeiten zu trotzen, die Neinsager zu beruhigen und Tesla in ein profitables Unternehmen zu verwandeln". Man würde viel mehr Geld auf eine Person anstatt auf ein Produkt setzen.

In der Heldenforschung spricht man im Falle solcher Personen von "Strahlkraft" beziehungsweise "Charisma", weiß Florian Nieser, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Heidelberg Center for Digital Humanities. Bei Menschen wie Musk würde eine gezielte Anthropomorphisierung geschehen, also eine Vermenschlichung einer Firma, und das hat laut Nieser mehrere Vorteile für ebendieses Unternehmen.

Sieht man an der Spitze eines Landes oder eines Unternehmens einen Menschen, dann wird dieser schnell zu einer inszenierten Figur abstrahiert. TV-Auftritte, Pressekonferenzen und permanente Beschallung via Social Media heroisieren diese Figuren. Entsprechen sie einmal nicht den erlernten Mustern beim Publikum, dann kann das sogar zu Kursschwankungen an der Börse führen. Extreme Entscheidungen gehören allerdings dazu, denn die Figuren müssen sich immer wieder neu inszenieren, um den Aufmerksamkeitspegel hochzuhalten.

"Da sind wir mitten im Heldenkonzept – Helden sind immer extrem", sagt der Heldenforscher. Auch Musk inszeniert sich – weit mehr als beispielsweise ein Bill Gates. "Man denke nur an das Waschbecken, dass er bei Twitter durchs Büro getragen hat." Der Tesla-Chef agiert und reagiert überzogen. Er hält sich im Gespräch und polarisiert. Kaum jemand hat keine Meinung zu Musk, wie kaum jemand keine Meinung zu Steve Jobs hatte.

Büsten

Sieht man sich Bildergalerien an, etwa von Musk, dann sieht man eine gewisse Strenge im Gesicht und vor allem eine gewisse Konstanz im äußeren Erscheinungsbild. Das schaffe eine "Büstenhaftigkeit seines Aussehens", sagt der Forscher. So seien diese Figuren immer wieder erkennbar, was ja auch auf Steve Jobs, Mark Zuckerberg und andere stark zutrifft. Rollkragenpullover oder graue T-Shirts, Tech-Helden haben ein Outfit, ein Kostüm. Dass plötzlich ein sonst glattrasierter Zuckerberg mit Bart auftritt, würde eher die Ausnahme darstellen.

Gelegentliche Neuinszenierungen, etwa mit Cowboyhut, um einmal diese klassische Darstellung zu durchbrechen, sorgen ebenfalls für Aufmerksamkeit. Man geht dann als Figur aber auch schnell wieder zurück zur wiedererkennbaren Büste.

Wichtig seien bei Heldenfiguren in der Literatur und in der Geschichte bestimmte "Marker", um als Heldenfiguren überhaupt erkennbar zu sein. Das funktioniert auch heute noch, etwa wenn man auf ein Filmplakat schaut, weiß man schnell, wer der Gute und wer der Böse ist. Es gibt Darstellungskonventionen, an die sich gehalten wird. Es gibt zwar gesellschaftliche Anpassungen über die Zeit, aber "die Marker bleiben Konstanten".

Führungswechsel können funktionieren, wenn sich die Figuren an der Spitze nicht zu sehr ähneln.
Foto: APA/AFP/ANGELA WEISS

Konstanz statt Vertrauen

Bei all der Inszenierung gehe es nie um Vertrauen, da Vertrauen wissenschaftlich auch schwer definierbar ist. Es gehe vor allem um Konstanz. Diese wurde früher durch Herrschergesten, die von Vorgängern übernommen wurden, vermittelt. Man führte damit eine Tradition fort, das gab und gibt Sicherheit. Auch heute müssen Figuren wie Musk kein Vertrauen aufbauen, das wäre auch regelmäßig erschüttert von nicht nachvollziehbaren oder überraschenden Handlungen. Was sie mit ihrer Präsenz schaffen, ist eine Konstanz in der jeweiligen Firmengeschichte. Die Figur als Orientierungshilfe für eine schnelle Einordnung.

"Wenn ich an Tesla denke, denke ich an Musk. Wenn ich an Meta denke, denke ich an Zuckerberg." Man müsse sich keine Gedanken über die Firmenstruktur machen, sagt Nieser. "Man hat eine Figur, und über diese kann ich mich aufregen, zu der habe ich eine Meinung." Wenn man jedoch mehr Menschen bei Amazon oder Twitter kennt, dann ist der Zugang zu diesem Unternehmen ein ganz anderer. Man hat nicht mehr nur ein Gesicht als Orientierung, sondern vielleicht ganz konkrete Einblicke in interne Abläufe. Die Abstraktion ist damit aufgehoben.

Aber was, wenn diese durch die Figur geschaffene Konstanz erschüttert wird? Seit Musk bei Twitter für regelmäßige Schlagzeilen sorgt, werden die Rufe der Tesla-Investoren lauter, die "Heldenfigur" als CEO beim E-Auto-Hersteller zu ersetzen. Das kann gutgehen, wie das Beispiel Apple zeigt. Der iPhone-Hersteller aus Cupertino hat es sehr schnell geschafft, im Gegensatz zu dem auf Firmen konzentrierten Unternehmen Microsoft, sich auf das Individuum zu konzentrieren. Apple wurde nicht nur über die Person Jobs vermarktet, sondern es wurde auch immer ein Lebensgefühl mittransportiert, das man laut dem US-Unternehmen mitkaufen würde.

Der Community-Gedanke stand also im Vordergrund, "deshalb trug Jobs auch keinen Anzug, sondern Rollkragenpullis", sagt Nieser. Tim Cook führe diesen Gedanken weiter. Über die Heroisierungsstrategie wurde jemand hervorgehoben, der das Lebensgefühl mit Apple-Produkten inszenieren konnte. Durch das Ende dieser Figur wurde die Strahlkraft an die Community weitergegeben. Deshalb wäre es ein Fehler gewesen, noch einmal eine Figur wie Jobs zu inszenieren. So bleibe Apple auch in Zukunft die Honorierung von Jobs' Lebenswerk gesichert.

Unmoralisch

"Steve Jobs war ein Arschloch", ließ der Co-Creator des iPods, Tony Fadell, in einem Interview mit Lex Fridman vor rund einem Jahr wissen. Jobs war wahrlich nicht dafür bekannt, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zimperlich umzugehen, und im Netz finden sich zahlreiche Artikel im Sinne von "Steve Jobs war kein Held". Gegen "Iron Man" Musk laufen derzeit mehrere Verfahren, da ehemalige Mitarbeiterinnen dem US-Unternehmer sexuelle Übergriffe vorwerfen.

Am Heldenstatus ändern diese Vorwürfe selten etwas. "Helden dürfen unmoralisch sein", sagt der Heldenforscher. Gegenwärtig würde man diese Dinge mehr ächten, früher hätten Helden aber selten wirklich moralisch gehandelt. Nieser: "Diese haben meist einen eigenen moralischen Kompass, da sie oftmals ohnehin nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden." Würden sie immer nach den Regeln spielen, wären sie keine Helden. Es gehört sogar dazu, dass die Figur manchmal fragwürdige Handlungen vollzieht – das gehöre zur klassischen Heldenkonzeption, so Nieser. Diese Taten führen zudem zu einer Humanisierung des Helden, was oftmals zu einer noch emotionaleren Rezeption der Figur führt.

Wenn eine Figur derart in ihrem Sein brüchig wird, dann passiert es, dass die zu ihr stehenden Lager noch extremere Ansichten bekommen. Trump ist hier nur eines von vielen Beispielen, die man in der Politik beobachten kann.

Sam Altman von OpenAI ist der neue Tech-Held, der sich bereits in Stellung gebracht hat.
Foto: Stephen Brashear

Neue Helden

Der neueste Held am Tech-Himmel heißt Sam Altman. Ihn aktuell als Gesicht von OpenAI zu positionieren hält der Forscher für "schlau". Damit kann man Misserfolge auf eine Person reflektieren und nicht mehr auf die gesamte Firma. Man schaffe mit Altman die bereits erwähnte Konstanz in der Wahrnehmung, was speziell in diesem aktuell so dynamischen und wachsenden KI-Feld nötig ist. Erste Fotovergleiche im Netz mit Elon Musk zeigen, dass die Rechnung aufgeht. OpenAI wird mit Firmen wie Microsoft, Tesla oder Meta in einem Atemzug genannt, auch weil man kürzlich gemeinsam zu US-Präsident Joe Biden geladen wurde, um über die Gefahren von künstlicher Intelligenz zu beraten.

Da die Firma eigentlich auf einem Community-Gedanken basiert – KI für jedermann–, darf die Figur allerdings nicht zu stark werden. Da man mittlerweile Geld von den Kunden verlangt, ist das Gesicht Altman dennoch wichtig. "Es ist einfacher, einer Person Geld zu geben, der ich gerne mein Geld anvertrauen will, als einer Firma." Es müsse jemand nahbar und identifizierbar sein, damit ich mich nicht damit auseinandersetzen muss, warum ich Geld investiere, sondern wem.

Altman sei aber auch ein gutes Beispiel für die in der Tech-Branche mittlerweile üblichen Hybridformen des klassischen Helden. Beispielsweise dieses Paradoxes, Teil der Community zu sein, aber gleichzeitig außerhalb der Community eine Rolle zu haben. Laut Nieser sind wir auch heute in einem Heldenzeitalter. "Sie tragen keine Rüstungen mehr und sind keine Warlords, aber wir haben Autokratien, die funktionieren nur so, und auch demokratische Politiker werden oftmals so inszeniert. Für Tech-Firmen gilt das jetzt und künftig genauso." (Alexander Amon, 11.5.2023)