Seine Positionierung in Ballwechseln will Thiem verbessern. "Wir arbeiten daran", sagt er. "Ich sehe Fortschritte."

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Alle Wege führen nach Rom, nur jener von Dominic Thiem bringt ihn nach Mauthausen. Während die Tennis-Profitouren der ATP und WTA in der italienischen Hauptstadt aufschlagen, bestreitet der 29-Jährige ein Challenger-Turnier in Oberösterreich. Am Dienstag trifft er in der ersten Runde auf den 18 Jahre alten Burgenländer Matthias Ujvary, Nummer 1277 der Welt. "Derzeit spüre ich eine Aufbruchstimmung, einen Aufschwung", sagt Thiem. "Ich sehe mich wieder am aufsteigenden Ast."

Die vergangenen Leistungen machen Thiem Hoffnung. Zuletzt erreichte er in Estoril und München jeweils das Viertelfinale, bei den Masters in Monte Carlo und Madrid holte er je einen Matchsieg. Vor allem das Duell mit dem Weltranglistenfünften Stefanos Tsitsipas stimmt ihn positiv: "Es hat gut getan zu sehen, wie gut ich wieder spielen kann. Das Gefühl der letzten Wochen hatte ich schon seit langer Zeit nicht mehr."

In seinem Spiel gibt es aber Licht und Schatten. Trotz der guten Vorstellung gegen Tsitsipas unterlag er im Tiebreak des dritten Satzes. "Ich muss bodenständig bleiben. Kopf runter und weitermachen", sagt Thiem. Wie schätzt er sein Niveau selbst ein? Bei einem Medientermin vor seinem Auftritt in Mauthausen analysierte er seine Stärken und Schwächen. Beginnen wir beim Positiven.

  • Der Aufschlag

Auf Sand schafft sich Thiem mehr Möglichkeiten. Er schlägt gerne mit Spin auf, der Sandbelag nimmt den Drall besser auf als ein Hartplatz, weil er den Ball beim Aufprall abbremst. Der Absprung ist giftiger, was das Leben des Returnspielers erschwert. Zum Service variiert Thiem auch seine Position; er stellt sich hin und wieder weiter nach außen, um mehr Winkel zu kreieren und seinerseits weiter nach außen aufschlagen zu können. Aber auch das Tempo stimmt: In sechs seiner letzten sieben Matches schlug Thiem mehr Asse als sein Gegner. Er sagt: "Der Aufschlag klappt gut, damit bin ich zufrieden."

Die Vorhand beschäftigte Thiem lange, jetzt funktioniert sie wieder besser.
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  • Die Vorhand

Die Verletzung am Handgelenk wirkte sich langfristig auf Thiems Psyche aus. "Ich hatte häufig ganz große Zweifel, wusste nicht, ob die Vorhand wieder so gut wird wie vorher", sagt Thiem. Das Problemkind wird allmählich wieder zur Waffe. Thiem umläuft die Rückhand öfter, weil er sich im Training Vertrauen in die Vorhand holte. Er schaut sich zusätzlich seine Leistungsdaten an, wie er sagt. Die Vorhand ist heute im Vergleich zu seinem Comeback schneller, aber auch mit mehr Drall versehen. Den Spin braucht er, um das Feld zu treffen. Temporeiche Schläge landen sonst hinter der Grundlinie im Aus. "Wir haben die Vorhand viel aus allen Positionen trainiert", sagt Thiem. "Ich kann den Platz wieder kontrollieren. In der Vorhand sehe ich die größten Fortschritte."

  • Die Leidensfähigkeit

Für den Pfad zum Erfolg stellt Thiem eine simple Rechnung auf. "Wenn man mehr trainiert als die anderen, spielt man auch besser als sie." Die Spitzenspieler hätten im Training eine bessere Qualität und Intensität als der Rest. Unter dem neuen Trainer Benjamin Ebrahimzadeh fährt Thiem größere Umfänge, das zahlt sich mittlerweile aus. Thiem sieht sich auf einem guten Weg: "Ich habe es nicht wahrhaben wollen, aber ich habe nicht genug gemacht und nicht alles gegeben. Dieses Gefühl habe ich jetzt wieder."

In Mauthausen ist Thiem als Nummer eins gesetzt. In der Weltrangliste steht er auf Platz 96, Thomas Muster traut ihm zu, zu Jahresende zu den besten 30 Spielern der Welt zu gehören. "Ich spiele besser. Ich fühle mich besser. Die Erwartungen sind gestiegen", sagt Thiem. Er gilt als Favorit auf den Turniersieg, warnt sich aber quasi selbst: "Die Gefahr, dass ich verliere, ist immer da. Die Leistung muss passen. Wenn nicht, ist jeder Gegner so gut, dass er mich besiegen wird." Thiems Spiel hat noch Baustellen, das verheimlicht er auch gar nicht.

Der Return ist eine Baustelle.
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  • Der Return

Thiem steht häufig sehr tief, weit hinter der Grundlinie, um sich Zeit für die Vorbereitung auf den Rückschlag zu verschaffen. Er hat den Ball oft am Schläger, bringt ihn aber nicht häufig genug ins Feld. Das Problem ärgerte ihn speziell im Match gegen Tsitsipas. "Der Return passt mir noch überhaupt nicht", sagt Thiem. Mit Trainer Ebrahimzadeh sah er sich die Partie in der Analyse zur Gänze noch einmal an. "Ich war fast schockiert, wie viele Returnfehler ich gemacht habe. Die Bälle müssen einfach rein." Die Schwächen im Return haben auch zur Folge, dass Thiem viele Breakbälle nicht verwertet.

  • Die schnellen Fehler

Thiems einstige Stärke auf Sandplätzen war, Ballwechsel taktisch aufzubauen, zu diktieren und abzuschließen. Aktuell ist das noch nicht möglich. Ihm passieren zu viele einfache Fehler. "Ich muss mehr Bälle mit hoher Qualität im Feld halten", sagt Thiem.

  • Die Positionierung

Einer der ersten Punkte, die Trainer Ebrahimzadeh zu Beginn der Zusammenarbeit ansprach, war die Platzposition. Seit einigen Wochen würde Thiem "wieder richtig auf den Ball draufhacken", wie er sagt. "Aber es bringt relativ wenig, wenn ich jeden Ball auf der gleichen Höhe nehme." Nach guten Schlägen ist Thiem vorsichtiger, in seiner besten Zeit kam er in den Platz oder ans Netz, um den Punkt zu beenden. "Das muss besser werden. Ich bin noch etwas zögerlich, das ist noch nicht ausgereift. Wir haben uns alte Matches angesehen. Es war augenscheinlich, wie ich gleich an die Linie vorgegangen bin." Was für den Ballwechsel gilt, gilt auch für den Return.

Vor wenigen Wochen sprach Thiem noch davon, wenig Spaß an seinem Beruf zu verspüren. Er wirkt, als ob er sich nun wieder leichter überwinden kann. Er spricht vom Willen, sein Leistungslimit wieder zu erreichen. "Die letzten Wochen haben mir einen Push gegeben." Ex-Coach Muster vermutete zuletzt, Thiem hätte seit seinem Comeback die "Matchfitness" gefehlt. "Das unterschreibe ich", sagt Thiem heute. "Ich bin in einen gewissen Schlendrian reingekommen, habe nicht das gemacht, was nötig ist, um sich jede Woche zu verbessern." Auch deshalb erfolgte die Trennung von Nicolas Massu und der Wechsel zu Ebrahimzadeh.

Nach dem Turnier in Mauthausen tritt Thiem bei einem weiteren Challenger in Bordeaux an. Danach steht das zweite Major des Jahres an, die French Open in Paris. Für das Hauptfeld fehlen Thiem noch zwei Absagen besserklassierter Spieler, zudem fragte der zweifache Finalist beim Veranstalter um eine Wild Card an. In Paris möchte er in Topform sein: "Ich habe gesehen, wenn ich richtig arbeite, meine Stunden auf dem Platz verbringe und alles reinstecke, geht etwas weiter." (Lukas Zahrer, 9.5.2023)