
"Kawaii" lautet der Begriff, der hilft, den Stil von Yoshitomo Nara zu verstehen – zumindest oberflächlich. Das japanische Wort heißt niedlich oder süß und erfüllt den Zweck der Kontaktaufnahme. Das tun die kindlichen Figuren des berühmten Künstlers mit ihren herzigen Pilzfrisuren und Kulleraugen auch, eigentlich haben sie es aber faustdick hinter den Ohren.
Im Untergeschoß der Albertina Modern gibt es in der Ausstellung All My Little Words nun rund 600 Zeichnungen des 63-Jährigen zu sehen. Dicht und wild übereinander sowie schlicht gerahmt hängte sie Nara gemeinsam mit Kuratorin Elsy Lahner. Ein chronologisches Panorama seines Schaffens von Mitte der 80er-Jahre bis in die Gegenwart.
Die Unterlagen für die spontanen Zeichnungen Naras sind willkürlich, es sind linierte Zettel, gefalteter Karton oder zerrissenes Papier. Darauf stehen seine stark reduzierten kindlichen Figuren im Zentrum. In der Tradition der Kunstrichtung Superflat stehend, erinnern seine comichaften Bilder an Manga und Anime.

Musik als bester Freund
Kurz nachdem Nara von Japan nach Deutschland gezogen war, um in Düsseldorf an der Kunstakademie zu studieren, entwickelte er in den 1990ern seine Signature-Motive der "Angry Girls". Diese scheinen meist etwas auszuhecken: Sie schimpfen, zücken ein Messer hinter ihrem Rücken oder schauen extrem grantig.
Der Künstler sieht diese nicht unbedingt als Mädchen an, viel eher stehen die Figuren in Bezug zu seiner eigenen Kindheit im Norden Japans. Ist er es selbst? Sind es Freunde, die er sich gewünscht hätte? Die Quelle seines künstlerischen Schaffens seien jene Gefühle, die er in seiner Kindheit hatte, so Nara.

Wie die stets isolierten Kinder in seinen Bildern verbrachte auch Nara als Kind viel Zeit alleine. Neben seiner Katze leistete ihm sein Radio, als Tor zur Welt, Gesellschaft. Ohne die englischen Liedtexte zu verstehen, kauft er sich als Bub Schallplatten von Country- und Rockbands. Später fand er zum Punk, wie auch Sprüche in seinen Zeichnungen erahnen lassen. Wieso da "I don’t care a Fuck about Everything" steht? So habe er sich damals einfach gefühlt, erklärt er. Die Liebe zur Musik begleitet den Künstler, der auch Gemälde und Skulpturen schafft, als fixer Teil seiner Arbeitspraxis.
In der Albertina-Schau steht am Ende sogar eine Hütte, die wie sein Mini-Atelier aussieht. Genauso habe sein Traumhaus als Kind ausgesehen, sagt Nara und grinst. (Katharina Rustler, 10.5.2023)