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Die Stringtheorie ist einer der Kandidaten für eine Vereinheitlichung von Quantenphysik und Relativitätstheorie. Der große Durchbruch lässt aber noch auf sich warten.
Foto: Picturedesk / Science Photo Library

Die Welt der Physik ist in zwei Hemisphären geteilt: Während der Mikrokosmos von den Gesetzen der Quantenphysik bestimmt wird, beherrscht die Schwerkraft den Bereich der großen Massen. Zwischen dem Reich der Gravitation und dem der Quanten klafft jedoch ein Spalt: "Dort, wo die Quantenmechanik relevant wird, ist die Schwerkraft irrelevant – und umgekehrt", sagt Onur Hosten, Physiker am Institute of Science and Technology (ISTA) in Klosterneuburg.

Dennoch arbeiten weltweit Physikerinnen und Physiker daran, den Bruch zwischen den beiden Bereichen zu kitten. Warum eigentlich kommen sich Quanten und Schwerkraft kaum ins Gehege? "Wir wollen klären, ob sich Gravitation quantenmechanisch beschreiben lässt oder ob die Schwerkraft in einem fundamentalen Sinne klassisch ist", erklärt Hosten. "Wenn Ersteres der Fall ist, könnten Systeme über die Gravitation miteinander verschränkt werden."

Überlagerungszustände

Im Rahmen der Quantenphysik können Teilchen Überlagerungszustände einnehmen. Davon kann auch der Ort betroffen sein: Man denke nur an das berühmte Doppelspaltexperiment, bei dem ein Quantenteilchen auf zwei Schlitze einer Blende gefeuert wird – und durch beide Spalten fliegt. Doch was, wenn so ein Teilchen, das sich an zwei Orten gleichzeitig aufhält, genug Masse besitzt, um ein zweites Partikel gravitativ anzuziehen?

Die Quantenmechanik sagt voraus, dass es das Teilchen dann in zwei Richtungen auf einmal zieht – und es mit dem ersten Partikel verschränkt wird. "Wenn die Schwerkraft aber ein von Natur aus klassisches Feld ist, würde es zu keiner Verschränkung kommen", sagt Hosten, "dann müssten wir unser Verständnis vom Universum jedoch komplett ändern."

Spiegelglatte Pendel

Das Problem: Es ist äußerst schwierig, Systeme mit großen Massen in das Regime der Quantenmechanik zu bringen. Wirklich testen konnte diese Vorhersagen daher noch niemand. Auch Hosten und sein Team versuchen mit einem neuartigen Ansatz, das Verhalten der Schwerkraft im Quantenbereich zu ergründen – und erhalten für ihre Arbeit nun eine prestigeträchtige Förderung des Europäischen Forschungsrates ERC.

Die Idee hinter Hostens Projekt ist, Milligramm schwere Pendel über ihre Schwerkraft miteinander interagieren lassen. Dabei handelt es sich freilich nicht um Pendel, wie man sie von alten Kuckucksuhren kennt, sondern um spezielle Torsionspendel: winzige Stäbchen aus spiegelglattem Quarzglas, die an hauchdünnen Fasern angebracht sind.

Fällt Licht, etwa ein starker Laser, auf die Enden der Stabmasse, verdrillt der Strahlungsdruck die Aufhängung – und versetzt das Pendel in Schwingung. Befindet sich jedoch ein zweites Mikropendel in unmittelbarer Nähe, beeinflussen sich die Stabmassen über ihre gravitative Anziehung gegenseitig, was sich an kleinsten Änderungen ihrer Pendelbewegung ablesen lässt.

Schwankende Kraft

Das von den Massen reflektierte Licht erlaubt es, die Schwingung extrem genau zu vermessen – und damit auch jegliche Kraft, die zwischen den Pendeln wirkt. Doch die Laser haben noch einen anderen Effekt, wie Hosten erklärt: "Wie alle Quantenobjekte sind auch die elektromagnetischen Felder des Lasers unscharf. Daher schwankt die Kraft, mit der das Licht die Massen andreht. Das hinterlässt eine Unschärfe in der Position des Pendels."

"Sind diese Fluktuationen groß genug, haben wir das Pendel in den Quantenbereich gebracht", benennt Hosten das Ziel. Denn nun könnten die Fachleute im Prinzip feststellen, ob die Schwerkraft zusätzliche Schwankungen von einem Pendel auf das andere überträgt – und sich damit quantenmechanisch verhält oder nicht. Doch bisher scheiterten Versuche, die Pendel in die Quantenwelt eintauchen zu lassen: Andere Schwankungen, etwa aufgrund der Temperatur, überdeckten Quanteneffekte.

Hosten und sein Team wollen daher mit einer kalten Atomwolke Teile des Laserlichts abschirmen. Das Besondere: Die Atome verhalten sich unter diesen Bedingungen wie ein einzelnes Objekt, dessen Zustand die Lichtmenge und damit den Druck auf das Pendel bestimmt. "Diesen Zustand können wir sehr gut kontrollieren und auch in Überlagerungen bringen. So können wir zusätzliche Quantenunsicherheit auf das Pendel übertragen", erklärt Hosten.

Neue Quantensensoren

Mit dieser Neuerung rückt die Messung der Schwerkraft zwischen zwei Quantenobjekten in den Bereich des Möglichen. Doch damit nicht genug: Da das Wölkchen die Quantenunsicherheit erhöht, lassen sich umgekehrt Kräfte, die von außen auf das Pendel einwirken, umso genauer feststellen. Hostens Konzept könnte so auch den Weg zu effizienten und ultrapräzisen Kraftmessungen ebnen.

Angepasste Pendel könnten zum Beispiel dazu dienen, unter die Erde zu blicken. Selbst wenn wir es nicht merken, ist die Schwerkraft unseres Planeten nicht auf der gesamten Erdoberfläche gleich groß: Über Erzvorkommen ist die Gravitation leicht erhöht, da sich dort mehr Masse unter unseren Füßen befindet. Natürlich sind die Unterschiede in der Schwerkraft nur sehr klein – den Quantenpendeln blieben sie jedoch nicht verborgen.

Erdbebendetektor

"Eine andere Möglichkeit wäre, Erdbeben frühzeitig zu detektieren", ergänzt Hosten, "denn wenn eine Bruchlinie reißt, bewegen sich gewaltige Massen, was die Schwerkraft beeinflusst." Während herkömmliche Frühwarnsysteme warten müssen, bis die Vibrationen sie erreichen, breiten sich die Veränderungen der Schwerkraft mit Lichtgeschwindigkeit aus: Menschen hätten mehr Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Hosten selbst ist vor allem die Grundlagenforschung wichtig. Hier könnten die hochsensiblen Kraftsensoren helfen, neue Physik aufzuspüren. Dunkle Materie etwa wechselwirkt nur über die Schwerkraft mit normaler Materie. Oder gibt es Felder, die auf das Pendel einwirken, aber über das Standardmodell hinausgehen? Für Hosten ist klar: "Wenn wir Dinge anhand ihrer Gravitation wahrnehmen können, öffnet das ein neues Fenster zur Welt." (Dorian Schiffer, 13.5.2023)