Regisseurin und Typ-1-Diabetikerin Lisa Hepner misst ihren Blutzucker. Am 12. Mai ist sie in Innsbruck zu Gast und präsentiert erstmals im deutschen Sprachraum ihre preisgekrönte Dokumentation.

Foto: The Human Trial / vox pop films

Diabetologin Sabine Hofer, Leiterin des Spezialbereiches Diabetologie an der Univ.-Klinik für Pädiatrie I an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Foto: privat

Menschen mit Typ-1-Diabetes sind hauptberuflich Bauchspeicheldrüsen. Denn ihr Körper hat dieses Organ durch eine Autoimmunreaktion derart zerstört, dass es kein lebenswichtiges Insulin mehr produzieren kann. Für Betroffene heißt das, sie müssen ihren Blutzuckerspiegel selbst regulieren. Denn Insulin wird benötigt, um den Zucker, den wir aufnehmen, für den Körper nutzbar zu machen.

Zu hoher Blutzucker schädigt Gefäße und Nerven. Langfristig kann das für Augen, Nieren und Füße gefährlich werden, auch Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigen. Zu niedriger Blutzucker führt hingegen kurzfristig zu Benommenheit bis Bewusstlosigkeit. Im schlimmsten Fall endet eine schwere Unterzuckerung tödlich.

Die unsichtbare Krankheit

Um das zu verhindern, versuchen Menschen mit Typ-1-Diabetes jeden Tag, rund um die Uhr ihre Blutzuckerwerte im sogenannten Zielbereich zu halten, der das Risiko für Folgeschäden reduziert. Moderne Technik wie Insulinpumpen und Glukose-Sensoren helfen ihnen dabei. Trotzdem bleibt diese Aufgabe für Betroffene herausfordernd und führt oft zu psychischen Problemen wie dem Diabetes-Burnout oder Depressionen. Denn je besser das für die Einzelnen sehr aufwendige Diabetes-Management funktioniert, umso unsichtbarer wird die chronische Erkrankung für ihr Umfeld.

"Die Ironie daran ist: Ich sehe gesund aus, bin es aber nicht", erklärt die in Los Angeles beheimatete Filmemacherin Lisa Hepner, die seit über 30 Jahren mit Typ-1-Diabetes lebt, in ihrer Dokumentation The Human Trial, die am Freitag beim Journalismusfestival in Innsbruck erstmals im deutschen Sprachraum gezeigt wird. Hepner hat für ihren Film, der es auf die Shortlist der diesjährigen Oscars geschafft hat, mehr als sieben Jahre lang ein Forschungsprojekt der Biotech-Firma Viacyte in Kalifornien begleitet, das an einer künstlichen Bauchspeicheldrüse arbeitet.

Der Trailer zur Doku "The Human Trial", die am Freitag im Innsbrucker Leokino zu sehen ist.
Abramorama

Dazu wurde Probanden 2014 erstmals eine Kapsel implantiert, die Stammzellen enthält, die im Körper wieder Insulin produzieren und so Typ-1-Diabetes heilbar machen sollen. The Human Trial begleitet zwei dieser menschlichen Versuchskaninchen, die sich der Forschung zur Verfügung gestellt haben. Das Ergebnis ist eine eindrückliche Dokumentation, die zeigt, vor welche Herausforderungen Typ-1-Diabetes Forschung wie auch Betroffene nach wie vor stellt. Die Filmemacherin nimmt dabei eine besondere Rolle ein, weil sie als selbst von der Krankheit Betroffene sehr mit den beiden Probanden mitfühlt, die an der klinischen Studie teilnahmen.

Zwei Forschungsansätze, ein Ziel

Die Arbeit von Firmen wie Viacyte verfolge einen vielversprechenden Ansatz, bestätigt Sabine Hofer von der Medizinischen Universität Innsbruck. Die erfahrene Medizinerin gilt als Expertin in Sachen Typ-1-Diabetes und ist Vorstandsmitglied der ISPAD (International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes). Die großen Herausforderungen bei dieser Inselzellen-Transplantation seien bisher aber die Immunreaktion und das Überleben der Zellen. Denn damit der Körper diese implantierten Zellen nicht wieder abstößt, muss das Immunsystem der Patienten stark unterdrückt werden. Was zahlreiche Nebenwirkungen mit sich bringt. Bisher sei es gelungen, diese Zellen bis zu fünf Jahre am Leben zu erhalten. Aus Sicht der Forschung ein erster Teilerfolg. Für die Betroffenen, die auf Heilung hoffen – wie jene Probanden im Film–, bleibt indes nur der Trost, dass sie dabei halfen, den Weg für eine mögliche zukünftige Behandlung vorzubereiten.

Neben dieser auf embryonaler Stammzellentherapie basierenden Methode gibt es aktuell eine zweite Forschungsrichtung, die sich auf die zellenzerstörenden Antikörper konzentriert, um die Krankheit besser verstehen und behandeln zu können. Es ist im Gegensatz zum zuerst beschriebenen ein präventiver Ansatz, wie Diabetologin Hofer erklärt: "Das Ziel dabei ist, Angriffspunkte zu identifizieren, um den Abbau der insulinproduzierenden Beta-Zellen zu blockieren."

Die Crux mit dem Heilsversprechen

In Europa laufen derzeit mehrere Studien, die diesen möglichen Heilungsansatz verfolgen. Das auf Typ-1-Diabetes spezialisierte Netzwerk Innodia für klinische Grundlagenforschung ist dabei federführend. Bis 2024 erwarte man sich erste Ergebnisse aus den derzeit laufenden Immunstudien an frisch Manifestierten, also neu an Typ-1-Diabetes Erkrankten, erklärt Hofer.

So vielversprechend die Forschungsansätze auch seien, so vorsichtig ist die Expertin hinsichtlich möglicher Heilsversprechen: "Ich würde mich nicht trauen zu sagen, in fünf Jahren kann man Typ-1-Diabetes heilen. Wir streben natürlich Heilung an, aber einen so engen zeitlichen Rahmen abzustecken halte ich für unseriös."

Im Film The Human Trial ist dieses Heilsversprechen ein zentrales Thema. Denn die Betroffenen klammern sich daran, und die Forschung muss, um die dafür nötigen Mittel sowie mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, mit griffigen Slogans arbeiten. "Mit der Beschreibung eines hochkomplexen Teilschrittes zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Zellen, der aus wissenschaftlicher Sicht einen Fortschritt beim Verständnis für die Krankheit darstellt, wird man keine Geldgeber vom Hocker reißen. Mit der Ansage ‚Wir heilen Diabetes‘ hingegen schon", beschreibt die Forscherin Hofer das Spannungsfeld, in dem man sich dabei bewegt.

Anstieg bei Neudiagnosen

Indes nimmt die Zahl der Betroffenen stetig zu. Allein in Innsbruck, wo jährlich im Durchschnitt zwischen 22 und 25 Neudiagnosen gestellt werden, wurden heuer schon bis Mitte April 14 Kinder und Jugendliche mit neu diagnostiziertem Diabetes stationär behandelt. "Es gibt immer wieder Jahre mit besonders vielen Manifestationen – bleibt abzuwarten, wie dieses Jahr weitergeht", sagt Hofer.

So unklar die Ursachen für Typ-1-Diabetes weiterhin sind, so hoffnungsvoller sind die Aussichten, dass die Wissenschaft die Behandlungsmöglichkeiten noch weiter verbessert. Am Freitag werden im Rahmen des Journalismusfestivals Innsbruck Lisa Hepner, Sabine Hofer und die Leiterin des STANDARD-Wissenschaftsressorts, Tanja Traxler, im Anschluss an die Filmpräsentation von The Human Trial im Leokino das Spannungsfeld Medien – Forschung – Betroffene diskutieren. (Steffen Kanduth, 10.5.2023)