Das Kraftwerk Bełchatów in Polen ist Europas größtes Wärmekraftwerk und das größte Braunkohlekraftwerk weltweit. Kein anderes europäisches Kraftwerk verursacht derzeit mehr CO2-Emissionen.

Foto: REUTERS/Kuba Stezycki

In Deutschland stehen noch rund 130 Kohlkraftwerke in Betrieb, Tendenz sinkend. In Österreich wurde mit dem Fernheizkraftwerk Mellach 2020 das letzte Kohlekraftwerk stillgelegt. Weltweit dagegen ist die Kohleverstromung noch lange nicht abgeschrieben: Laut dem Global Coal Plant Tracker des Global Energy Monitor sind über 13.000 Kohlekraftwerksblöcke in 107 Ländern aktiv. Eine noch viel schlimmere Nachricht für das Weltklima stellt die Prognose des Global Energy Monitor dar, wonach sich bis Mitte letzten Jahres die Kapazität der weltweit in Bau befindlichen oder geplanten neuen Kohlekraftwerke auf 476 Gigawatt addieren würde.

Schon jetzt lassen sich die Treibhausgasemissionen mit dem Pariser Klimaabkommen zum 1,5-Grad-Ziel kaum unter einen Hut bringen. Sollten die Prognosen zutreffen, wäre dieses Ziel praktisch unerreichbar. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer, denn die vorhergesagten Horrorzahlen könnten deutlich übertrieben sein: Ein Team vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) hat sich die Daten genauer angesehen und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass nur etwa die Hälfte der geplanten Kohlekraftwerke tatsächlich realisiert werden – was freilich immer noch eine enorme zusätzliche CO2-Belastung bedeutet.

Realistischer Zuwachs

"Für die Verhandlungen zum globalen Kohleausstieg ist es wichtig zu wissen, was bei den Kraftwerken realistischerweise noch an Zuwachs droht", erklärt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Co-Autor der Studie. "Planungen und sogar laufende Bauprojekte können auf Eis gelegt werden, wenn sich zum Beispiel das Finanzierungsumfeld, nationale Energiestrategien oder auch die Kosten erneuerbarer Energien ändern." Das Team beleuchtete daher die Ausgangslage und damit auch das Ambitionsniveau der bisherigen und künftigen Kohle-Vereinbarungen.

Unter dem Titel "Partnerschaften für eine gerechte Energiewende" ("Just Energy Transition Partnerships", JETPs) verhandeln Länder im globalen Süden seit zwei Jahren mit den Industrieländern über Hilfen beim Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Form der Stromerzeugung. Für Südafrika, Indonesien und Vietnam gibt es bereits erste Vereinbarungen in Milliardenhöhe.

Kraftwerke in zehn Ländern

Die nun im Fachjournal "Environmental Research Letters" präsentierte Analyse stützt sich auf eine wissenschaftliche Umfrage unter internationalen Fachleuten – eine nach Angaben der Forschenden etablierte und vor allem im Energiebereich häufig genutzte Methode bei Themen, zu denen aussagekräftige Statistiken noch nicht verfügbar sind.

In einem systematischen Suchverfahren identifizierte das Team 29 besonders versierte Fachleute aus zehn Ländern, auf die 90 Prozent der in Bau befindlichen oder offiziell geplanten neuen Kohlekraftwerke entfallen. Diese zehn Länder sind Bangladesch, China, Indien, Indonesien, Laos, die Mongolei, Pakistan, die Türkei, Vietnam und Simbabwe. Die Abfrage der jeweiligen Expertise für das eigene Land und zum Teil auch für andere Länder erfolgte im Herbst 2021, vor Abschluss der ersten JETP-Abkommen.

Am wenigsten Stornos in China

Das Ergebnis: Die mit Vietnam und Indonesien ausgehandelte Verringerung künftiger Kohle-Investitionen entspricht nur mehr oder weniger dem, was in der Fachwelt ohnehin erwartet worden war. Je nach Land ist die voraussichtliche Umsetzung der einmal verkündeten Kohle-Planungen freilich sehr unterschiedlich – am meisten wird der Vorausschau zufolge in Bangladesch und in der Mongolei gecancelt, am wenigsten in China.

Die Grafik gibt die Zusammenfassung der Expertenbefragung über die erwartete Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken wieder.
Grafik: Lorenzo Montrone et al.

Die Forschungsgruppe fragte auch nach den Ursachen für Planänderungen: Wichtig ist hier neben technischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten auch die politische Ökonomie der Kohle, also Rücksichtnahme auf regionale Arbeitsplätze, Steuerzahlungen oder persönliche Einflussnahme der Kohleindustrie. Letztlich gehen die Fachleute auf Basis der erhobenen Informationen davon aus, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in den zehn betrachteten Ländern noch rund 215 Gigawatt an neuer Kohlekraftwerkskapazität installiert werden.

Und das Klima?

Die Analyse ging auch der Frage auf den Grund, was das für die Klimaentwicklung bedeuten würde. "In drei Vierteln der wissenschaftlichen Klimapolitikszenarien mit nur 1,5 Grad Erderhitzung ist die Kohlenutzung weltweit bis zum Jahr 2050 runter auf null", sagte Lorenzo Montrone, Leitautor der Studie.

"Unsere Studie zeigt, wie wichtig die internationale Unterstützung ist, aus der Kohle auszusteigen und Alternativen auszubauen. Eine Möglichkeit, mit den neu gebauten Anlagen umzugehen, wäre die Begrenzung ihrer Laufzeit auf 15 Jahre." Wenn das gelingen würde, wäre das 1,5-Grad-Ziel durchaus weiterhin in Reichweite, meinten die Wissenschafter. Da allerdings würden andere Fachleute widersprechen, wie auch einige jüngere Studien gezeigt haben. (tberg, red, 11.5.2023)