Shannen Doherty 2019 in Los Angeles.

Foto: APA/AFP/MICHAEL TRAN

Wer denkt, dass es Shitstorms, die über feindselige Medienberichterstattung hinausgehen, erst seit der Erfindung von Social Media gibt, dem sei gesagt: Auch lange vor der Facebook-Kommentarfunktion fanden Menschen Wege, massenwirksam gegen andere auszuteilen und ihrer Frauenfeindlichkeit freien Lauf zu lassen.

Im Jahr 1993 gab es da zum Beispiel den "I hate Brenda"-Newsletter, den die wütenden Macher*innen eines Zines produzierten und für einen Dollar pro Stück an 7.000 Gleichgesinnte verkauften. Ihr gemeinsames Hassobjekt: Brenda Walsh aus "Beverly Hills, 90210" – und Schauspielerin Shannen Doherty, deren Image die Grenzen zwischen Serienfigur und Darstellerin verschwimmen ließ. Man hasste Brenda wegen Shannens Klatschschlagzeilen und Shannen wegen Brendas Storyline in der Serie.

Brenda-Hass-Newsletter

Doherty war nach ihrem Durchbruch mit "Heathers" in den frühen Neunzigern zum ultimativen Bad Girl stilisiert worden. Mit Bad Girls ist das aber ein bisschen anders als mit dem berühmt-berüchtigten Pendant, den Bad Boys. Während diese häufig als begehrenswerte Outlaws und Rebellen geframt werden, ist im Fall von Shannen Doherty die Zuschreibung Bad Girl eher synonym mit "Bitch" zu verstehen. Die Leute hassten sie so sehr, dass dasselbe Zine, das den Brenda-Hass-Newsletter ins Leben gerufen hatte, einst eine Hotline namens "Shannen Snitch Line" einrichtete, die man anrufen konnte, um Gossip über die Schauspielerin zu verbreiten. Auch mithilfe von Heckaufklebern fürs Auto konnte man ab sofort seiner Verachtung für Brenda Ausdruck verleihen.

Die Macher*innen des Newsletters und der Hotline posaunten ihren Hate damals ganz offen hinaus in die Welt und schworen, nicht aufzugeben, bis Brenda die Show verlassen müsse: "Wir sind obsessive Fans von '90210' und lieben jeden in der Show, nur nicht sie. Sie zerstört die Leben von all diesen unschuldigen Menschen. Wer ist dieses Monster?", ist in einem alten Interview aus dem Jahr 1993 mit der "Chicago Tribune" zu lesen. Es gehe beim Brenda-Anti-Fan-Club aber durchaus auch um Shannen Doherty und die Art, wie sie ihre Mitmenschen behandle, hieß es damals.

Auch Bad Girls werden erwachsen

Am Set von "90210" sorgte Shannen Doherty mehreren Quellen und ihren Kolleg*innen zufolge, die Dohertys Verhalten nur allzu gerne in ihren Memoiren und Interviews ausschlachteten, immer wieder für Aufruhr: Sie kam zu spät, fiel durch Extrawünsche und wilde Partys auf, die ihr schnell den Diva-Stempel einbrachten, stritt mit dem restlichen Cast – es kam sogar zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit Jennie Garth, die diese im Nachhinein als Zeichen von Unreife und weniger als wahre Feindseligkeit einordnete.

Apropos Unreife: Shannen Doherty war gerade einmal 19 Jahre alt, als sie und Brenda, die sich im Laufe der Serie ebenfalls in Richtung des Bad Girls entwickelte, zur Zielscheibe des kollektiven Fan-Hasses wurden. Man stelle sich vor, das eigene Verhalten in diesem Alter würde für immer das Bild prägen, das andere von einem haben.

Doherty soll schließlich durch eine Intervention von Kollegin Tori Spelling gefeuert worden sein, deren Vater Aaron Spelling einer der Macher der Serie war. Dieser formulierte es diplomatisch: "Sie fand, es war Zeit zu gehen. Und der Cast war derselben Meinung." Tori Spelling bereute diesen Schritt später und sagte, sie habe nicht einschätzen können, welche Konsequenzen das Ganze für Doherty haben würde: "Ich fühlte mich, als wäre ich Teil von etwas gewesen, das einen Menschen seine Existenz gekostet hat. Sie war eine der besten Freundinnen, die ich je hatte."

Doherty kostete das Aus bei "90210" jedoch nicht ihre Existenz, sondern sie landete die nächste große Serienrolle in "Charmed", wo sie drei Staffeln lang die Hexenschwester Prue spielte. Auch hier krachte es wohl am Set – diesmal laut Gerüchten zwischen ihr und Alyssa Milano.

Forever Bitches

"Ich habe einen Ruf. Habe ich ihn verdient? Ja. Aber nach einer Zeit versucht man, diesen Ruf abzulegen, weil man ein anderer Mensch ist. Man hat sich entwickelt, und all die schlechten Dinge, die man getan hat, haben einen an einen anderen Ort gebracht", sagte Doherty 2010 in einem Interview. Und obwohl sich Doherty verändert hatte, schien das Bild, das sie der Welt in ihren frühen Zwanzigern vermittelt hatte, länger an ihr haften zu bleiben, als ihr lieb war. Noch im November 2009 ernannte "Entertainment Weekly" sie zu einer der "21 Top TV Bitches".

Shannen Doherty und auch ihre "90210"-Kolleg*innen scheinen jedenfalls mittlerweile über die Ereignisse von damals hinweg zu sein oder zumindest ganz erwachsen drüber zu stehen – und haben in der "Beverly Hills"-Neuauflage "BH90210" wieder zusammengearbeitet.

Heute habe man viel mehr Verständnis füreinander und dafür, was früher passiert sei, wie Doherty im Interview mit "People" erzählte: "Es gab Momente, in denen wir über alles sprechen konnten. Manchmal hatte jemand ein Problem damit, dass ich spät dran war, weil sie vielleicht nicht wussten, dass mein Dad gerade im Krankenhaus lag oder ich in einer schlimmen Ehe steckte. Ich habe es auch nicht erzählt, und niemand hat gefragt. Ich sage nicht, dass alles ein einziges Missverständnis war, aber ein großer Teil davon auf jeden Fall." Als sie Jahre später ihren Kolleg*innen darüber sprach, habe man sich als Erwachsene auf Augenhöhe viel besser verstanden als damals.

Das Narrativ der schwierigen Frau

Und obwohl sich Shannen Doherty seit Jahren vom Bad-Girl-Verhalten von damals verabschiedet hat und lange für keine Skandale mehr gesorgt hat, wird sie diesen gewissen Ruf der "schwierigen Frau" wohl nie so ganz ablegen können. Natürlich muss man sagen: Doherty hat sich nicht besonders umgänglich verhalten, und Vorfälle wie die körperlichen Auseinandersetzungen mit ihrer Kollegin kann man nur schwer schönreden. Sie hat auch selbst nie ein Geheimnis aus ihrem Verhalten und auch ihren Fehlern gemacht und ging stets offen damit um, suchte Erklärungen in schwierigen Lebensumständen und ihrer Unerfahrenheit.

Bei all dem Stoff, den Shannen Doherty geboten hat, darf man jedoch nicht übersehen, dass die Erzählung von der "schwierigen Frau" eine besonders beliebte im Umgang mit erfolgreichen Frauen ist, die auf die eine oder andere Art anecken – und dass das auch im Fall von Shannen Doherty in der öffentlichen Wahrnehmung ihre Leistungen bis heute zumindest teilweise überschattet. Oder erinnert sich irgendjemand daran, wie gut Shannen Doherty in "90210" performt hat? "Schwierige Frauen" sind oftmals solche, die sich den alten Gegebenheiten nicht anpassen und somit für Irritationen bei ihrem Umfeld sorgen.

Das wusste Shannen Doherty schon lange, bevor die Diskussion um den medialen Umgang mit Frauen den Mainstream erreichte, in dem sie heute zum Glück stattfindet. Gegenüber dem "Rolling Stone" sagte sie 1992: "Wenn Sie mit 'schwierig' meinen, dass ich eine starke Frau bin, die für sich selbst einsteht, ja, dann gebe ich zu, dass ich das bin. Wenn Sie mir nicht zuhören und mich nicht mit demselben Maß an Respekt behandeln wie einen Mann, dann haben Sie ein Problem." (Verena Bogner, 12.5.2023)