Gegen die rasant wachsenden Plastikgebirge haben die kunststofffressenden Bakterien und Pilze keine Chance.

Foto: AP/Ben Curtis

Viele Forschungsprojekte zielen darauf ab, Plastikmüll mit biologischer Hilfe abzubauen. Doch zumindest vorerst sind die Enzyme, Einzeller und sogar Käferlarven chancenlos angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Abfallgebirge wachsen. Einige bisher unbekannte potenzielle Kämpfer gegen die Kunststoffflut haben nun Wissenschafter in den Schweizer Alpen ausfindig gemacht.

Die neu entdeckten Bakterien und Pilze können Plastik auch bei niedrigen Temperaturen verdauen, an dem weltweit am häufigsten verwendeten Kunststoff Polyethylen beißen sie sich allerdings die Zähne aus. Verdauen konnten die in den Bündner Alpen und in der Arktis gefundenen Mikroben dagegen die Plastikarten Polyurethan (PUR), Polybutylenadipat-terephthalat (PBAT) und Polylactide (PLA), wie die im Fachjournal "Frontiers in Microbiology" publizierte Studie zeigte.

Verdauung bei 15 Grad Celsius

PUR kommt etwa in Haushaltschwämmen, Matratzen oder Turnschuhen vor. PBAT und PLA finden sich beispielsweise in kompostierbaren Plastiksäcken oder Mulchfolien. Der große Fortschritt: Die Mikroben verdauten Plastik bei lediglich 15 Grad Celsius. Bereits zuvor waren mehrere Mikroorganismen bekannt, die in der Lage sind, Plastik zu verdauen. "Diese wurden aber typischerweise bei über 30 Grad Celsius getestet", erklärte Erstautor Joel Rüthi. Rüthi ist als Gastwissenschafter an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) tätig.

Forschende haben in den Schweizer Bergen bisher unbekannte Bakterien und Pilze entdeckt, die Kunststoffe abbauen können. Im Bild: Beat Frey und Marcia Phillips auf dem Muot da Barba Peider in den Livigno-Alpen.
Foto: WSL/Beat Stierli

Dass die neu entdeckten Mikroorganismen auch bei geringeren Temperaturen aktiv sind, reduziert den erforderlichen Energieaufwand – und macht damit den Abbau von Plastik mit Enzymen günstiger und klimafreundlicher. Rüthi und seine Forschungskolleginnen und -kollegen haben dafür Plastik auf dem Gipfel des Muot da Barba Peider in Val Lavirun und in der Arktis vergraben.

Bisher unbekannte Spezies

Später entnahmen sie Bodenproben der darauf wachsenden Organismen, wobei sie 19 Bakterienstämme und 15 Pilzstämme fanden. Die isolierten Mikroben ließen sie als Einzelstammkulturen im Labor bei 15 Grad Celsius wachsen. Anschließend untersuchten sie mit einer Reihe von Tests die einzelnen Stämme auf ihre Fähigkeit zur Plastikverdauung.

"Bei einigen dieser Bakterien und Pilze handelt es sich um bisher nicht bekannte Spezies", sagte Rüthi. Dazu gehörten zwei Pilzarten aus den Gattungen Neodevriesia und Lachnellula, die in der Studie die besten Ergebnisse lieferten. Diese waren in der Lage, alle getesteten Kunststoffe außer PE zu verdauen. Bis die neu entdeckten Bakterien und Pilze aber zur Anwendung kommen, ist der Weg noch weit. "Als Nächstes müssen wir die Enzyme identifizieren, die von den Mikroorganismen produziert werden", sagte Rüthi. (red, APA, 10.5.2023)