Im Gastblog schreibt Florian Martek* über psychische Krankheiten, die im Zuge einer Schwangerschaft auftreten können.

Ich kann mich noch gut an das unglaubliche Glücksgefühl erinnern, das eigentlich schon am Tag der Geburt bei mir einschoss und sich im Laufe der darauffolgenden Wochen verfestigte. Es wurde sogar noch stärker, als die erste Überforderung, Vater zu sein, überwunden war. Als mir langsam dämmerte, dass dieses süße, kleine, schreiende Wesen mein eigenes Kind war, für das ich viele, viele Jahre verantwortlich sein würde. Als wir dann die doch irgendwie nüchterne und sterile Atmosphäre des Krankenhauses verlassen und in der Wärme des Spätsommers heimfahren durften.

Die Geburt eines Kindes kann wunderschön sein, sich aber auch radikal auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirken.
Foto: https://www.istockphoto.com/de/portfolio/Alija

Dieses Glücksgefühl begleitete mich noch viele Wochen und nahm erst eineinhalb Monate nach der Geburt langsam ab. So konnte ich in der anstrengendsten Zeit im ersten Monat nach der Geburt trotz des riesigen Schlafdefizits perfekt funktionieren. Meine Laune war immer gut, egal wie viel Geschrei mir entgegenkam. Auch körperlich hatte ich die Energie, mehrmals täglich einkaufen zu gehen, meine Tochter zu tragen, Besuch zu empfangen und noch als Ausgleich ein bisschen zu sporteln. Vor allem über die Leistungsfähigkeit meines Gehirns war ich überrascht. Während es sonst durch Schlafmangel träge ist, war es in den ersten Wochen nach der Geburt hochleistungsfähig, mehr als sonst die Jahre zuvor merkte ich mir jedes kleinste Detail an jedem einzelnen Tag. Ich fühlte mich in einer Art "Power-Modus". Meiner Frau hingegen ging es von Tag zu Tag schlechter – der Grund für all das: die Hormone.

Hormone wirken auf Psyche

Aus neurologischer Sicht sind die wesentlichsten hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft die der Geschlechtshormone Östrogen und Gestagen, zuerst durch die Eierstöcke und danach in der Plazenta gebildet, sowie von Cortison, Prolaktin und Lactogen. Durch weitgehende Veränderungen in der Ausschüttung einiger dieser Hormone können Stimmungsschwankungen vor allem in der Frühschwangerschaft auftauchen. Gepaart mit der bekannten "Morgenübelkeit", die – anders als der Name suggeriert – zu jeder beliebigen Tageszeit auftreten kann (und auch länger als nur in den ersten drei Monaten), kann schon die erste Zeit für die Mutter sehr hart sein.

Auch später hat die Schwangerschaft oft unangenehme Auswirkungen wie den hormonell bedingten Schnupfen – da helfen dann oft nur mehr Nasenstrips, Salzwassersprays oder Cortison. Und im letzten Trimester wird für viele Frauen das schiere Gewicht des Babybauches immer mehr zur Last, gerade im Hochsommer, wie es auch bei uns der Fall war, sind die Wochen vor der Geburt kein Zuckerschlecken. Die Beine können stark anschwellen. Kopfweh und Schwindel können oft durch niedrigen Blutdruck ausgelöst werden. Und von schwerwiegenderen Nebenerscheinungen wie Schwangerschaftsdiabetes möchte ich gar nicht im Detail berichten. Da ist es verständlich, dass oft auch die Psyche leidet.

Entwicklung einer Depression

Vorübergehende Stimmungstiefs mit Erscheinungen wie Grübeln, Versagensängste, Schlafstörungen, häufiges Weinen, Reizbarkeit, Gefühlsleere oder Schuldgefühle treten auf – diese Symptome können aber auch auf eine Depression hindeuten. Auf hormoneller Ebene sind da meist die Sexualhormone und Stresshormone wie Cortison beteiligt, welches bei Depressionen oft erhöht ist. Und noch häufiger treten Depressionen dann nach der Geburt auf. Sogenannte Postpartale Depressionen treten bei 10 bis 15 Prozent der Mütter auf (auch Väter können in seltenen Fällen betroffen sein), nach Kaiserschnittgeburten ist die Rate noch höher, was vermutlich durch die erhöhte Stresshormonproduktion aufgrund der Operation begünstigt wird.

Auch das "Kuschelhormon" Oxytocin spielt eine wichtige Rolle. Es sorgt für Wehen während der Geburt, stimuliert die Brustdrüsen zur Abgabe von Muttermilch danach und ist auch für die Mutter-Kind-Bindung essenziell. Traumatische Geburtserlebnisse können sich im Nachhinein negativ auf die Oxytocinproduktion auswirken. Das begünstigt wiederum höhere Stresslevel und somit Depressionen, denn Oxytocin würde sonst den Kortisolspiegel und somit Stress senken. Wie so oft im menschlichen Körper und im Speziellen im Hormonhaushalt ist die Situation jedoch nicht ganz so einfach. Denn Studien haben gezeigt, dass ein überhöhter Oxytocinspiegel kurzzeitig auch Blutdruck und Cortisolspiegel erhöhen können. Außerdem dürfte der medikamentöse Einsatz von Oxytocin zur Einleitung der Geburtswehen mit einer höheren Rate depressiver Verstimmungen bei der Mutter einhergehen.

Mit der Depression einher gehen oft Schlafstörungen, begünstigt durch das Abfallen des Östrogenspiegels. Andere Auswirkungen des hormonellen Ungleichgewichts sind Konzentrationsstörungen, Energiemangel, Zwangsgedanken (zum Beispiel sich oder dem Kind etwas anzutun), Weinerlichkeit und Panikattacken.

Als Risikofaktoren für postpartale Depressionen gelten außer den bisher bereits erwähnten, traumatischen Geburtserlebnissen sowie des Einsatzes Oxytocin und der Kaiserschnittgeburt, auch noch eine persönliche Neigung zu Depressionen sowie Jobverlust, Trennung oder Tod eines Angehörigen vor der Geburt und eine schwierige, finanzielle Situation.

Gesundheitliche Veränderungen ernst nehmen

Selbst wenn man über all diese Dinge Bescheid weiß, ist es in den stressigen Wochen nach der Geburt dennoch nicht leicht, zwischen dem sehr häufig vorkommenden Babyblues beziehungsweise der Wochenbettdepression und einer "echten" postpartalen Depression zu unterscheiden, die sich bis zu einem Jahr nach der Geburt ziehen kann und für die ganze Familie längerfristig schwierige Folgen hat. Postpartale Depressionen müssen unbedingt behandelt werden, denn sonst leidet auch das Kind darunter – sie kann unter anderem zu emotionalen Problemen im späteren Leben des Kindes führen.

Wichtig ist es, mit allen offen darüber zu reden. Auch wenn der Partner oder die Partnerin selbst vielleicht aufgrund der vielen Umstellungen im Leben nicht den Ernst der Lage erkennen kann, können es vielleicht Personen aus dem Freundeskreis, die selbst schon Erfahrungen damit gemacht haben, oder natürlich Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen. Liegt der Verdacht einer echten postpartalen Depression nahe, muss diese unbedingt behandelt werden. Meiner Frau wurde eine Spezialambulanz empfohlen. Die Behandlung besteht dann aus psychotherapeutischen Gesprächen sowie der Medikamenteneinnahme. In unserem Fall wurde ein SSRI, ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, empfohlen, der bei postpartalen Depressionen eine gute Wirkung zeigt (Serotonin, ein weiteres Glückshormon, ist nach der Geburt in geringeren Mengen vorhanden). Wichtig ist hierbei, dass der gewünschte Effekt erst ungefähr nach vier Wochen der medikamentösen Behandlung eintritt.

Bis dahin können die auftretenden Stimmungsschwankungen phasenweise noch schlimmer werden: Einen Moment hatte meine Frau glückselig das Kind im Arm und lachte, nur Minuten später stellte sie unser ganzes Familienleben und unsere Zukunft infrage. Und das jeden Tag mehrmals, ich musste ihr ständig versichern, dass alles in Ordnung sei, dass wir die schwierige Phase überstehen würden, dass alles schaffbar sei und sie ihre Mutterrolle gut mache. Auch für Väter und Familie ist das eine äußerst herausfordernde Zeit. Man muss immer wieder fast wortgleiche Konversationen führen, die erkrankte Mutter ständig beruhigen, man sollte sie nicht mit dem Baby oder nur sich selbst alleine lassen. Wie bei allen Depressionen sind hier auch Freunde und Freundinnen wichtig, die für die Betroffenen da sind, sie nicht im Stich lassen, auch wenn eine solche Situation irrsinnig viel Geduld, Zuversicht und mentale Stärke notwendig macht. Meine Taktik war es, einen unerschütterlichen Optimismus an den Tag zu legen, in der Hoffnung, dass er auf die Laune meiner Frau überspringt. Trotzdem war ich froh, dass auch Freundeskreis und Familie für uns da waren, damit ich hin und wieder zum Ausgleich raus konnte.

Väterkarenz als Unterstützung

Wichtig war es für uns auch, meiner Frau den Druck zu nehmen, sich alleine um das Kind kümmern zu müssen. Ich war froh, den Papamonat in Anspruch genommen zu haben, denn so konnte ich die Zeit zum Ende des Papamonates mit Pflegeurlaub und regulärem Urlaub überbrücken. Wenn das nicht möglich ist gibt es noch die Möglichkeit unbezahlten Urlaubes oder einer Verhinderungskarenz. Und wie bei allen psychischen Erkrankungen ist es essenziell, die Sache ernst zu nehmen und schnell Hilfe aufzusuchen. (Florian Martek, 15.5.2023)