Sieben Monate nach ihrem Amtsantritt eröffnet Giorgia Meloni die Debatte zu der von der Regierung angestrebten Verfassungsreform.

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Giorgia Meloni hatte ihre Pläne schon in ihrer Antrittsrede im Parlament am 25. Oktober des vergangenen Jahres dargelegt: "Ich bin der festen Überzeugung, dass Italien ein Präsidialsystem benötigt, das einerseits Stabilität garantiert und andererseits die Souveränität des italienischen Volkes stärkt. Italien muss von einer Demokratie, die immer nur redet, zu einer Demokratie werden, die entscheidet", erklärte Meloni. Eine derartige Reform wäre in einem Land, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 68 Regierungen zählte und in dem Reformen immer nur angekündigt, aber so gut wie nie durchgeführt werden, in der Tat ein ganz großer Wurf.

Mit Betonung auf "wäre": Der Konjunktiv ist in diesem Fall obligatorisch. Denn an Versuchen, die Verfassung zu ändern und die Politik effizienter zu gestalten, hat es bisher wahrlich nicht gefehlt. Aber alle Reformversuche sind gescheitert – und mitunter zerbrach daran auch die jeweilige Regierung.

Schritt eins: Sondierungen

Der letzte Premier, der mit einer Verfassungsreform scheiterte und nach der Abfuhr an den Urnen zurücktrat, war der Chef der Sozialdemokraten, Matteo Renzi. Jetzt versucht es die ultrarechte Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens). Sie hat, weil dies bei Verfassungsreformen zum guten Ton gehört, alle am Dienstag alle Oppositionsparteien erst einmal zum Gespräch geladen, um die Stimmung zu sondieren.

Doch insbesondere die Absicht Melonis, die Stellung des Regierungschefs durch eine direkte Volkswahl politisch zu stärken, stößt bei der Linken auf einen tief verwurzelten Abwehrreflex: "Wir halten nichts von einem Mann oder einer Frau allein am Kommando", erklärte die Chefin des sozialdemokratischen PD, Elly Schlein. Subtext: Den unangefochtenen, allein herrschenden Führer, den hatte Italien ja schon, mit Diktator Benito Mussolini.

Deutschland als Vorbild

Die Furcht vor einer autoritären Wende in Italien scheint wenig begründet – auch wenn es nun ausgerechnet die politische Nachfahrin des Duce, Giorgia Meloni, ist, die die Verfassung ändern will. Die Regierungskoalition, der neben den Fratelli d'Italia auch die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Silvio Berlusconi angehören, hat von dem zunächst angepeilten Präsidialsystem nach dem Vorbild der USA oder Frankreichs längst Abstand genommen, weil sie unter sich selber uneinig sind über die Reform.

Im Vordergrund steht nun das deutsche Kanzlersystem, bei welchem die Regierung nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum – also indem eine andere Regierung mit einem anderen Kanzler vorgeschlagen wird – gestürzt werden kann. In Italien können Regierungen einfach so gestürzt werden, ins Blaue hinaus – das letzte Mal ist dies im Herbst 2022 passiert, als die Parteien aus einer Laune heraus Mario Draghi abservierten.

Der Staatspräsident muss nachher die politischen Scherben zusammenwischen und entweder Neuwahlen ausschreiben oder versuchen, im Parlament eine andere regierungsfähige Mehrheit zu finden. Festhalten will Meloni an einer direkten Volkswahl des Regierungschefs, in Abweichung vom deutschen Modell. "Für diese Option dürfte es mehr Unterstützung im Parlament geben", sagte Außenminister und Vizepremier Antonio Tajani von der Forza Italia.

Hohe Hürden

Das mag sein, aber die Hürden für ein Gelingen sind hoch: Für Verfassungsänderungen ist in beiden Parlamentskammern – im Abgeordnetenhaus und im Senat – eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Eine solche ist, obwohl zwei kleine Mitteparteien signalisiert haben, dass sie eventuell mit einer Volkswahl des Premiers leben könnten, weit und breit nicht in Sicht. Wenn im Parlament keine Zweidrittelmehrheit zustande kommt, müsste über die Reform in einem Referendum abgestimmt werden.

Zu befürchten ist nun, dass die Debatte über die Verfassungsreform einmal mehr zu einer großen politischen Pantomime im Parlament verkommt, in welcher die Rollen bereits verteilt sind: Die Linke wird Meloni unterstellen, sich selber mehr Macht verschaffen zu wollen und die Position des Staatspräsidenten, des wichtigen politischen Schiedsrichters in Italien, schwächen zu wollen; Meloni wiederum wird der Opposition ideologische Voreingenommenheit attestieren und ihr vorwerfen, jeden Vorschlag, der auf eine bessere Regierbarkeit Italiens abzielt, zu blockieren.

Punkt für Elly Schlein

Immerhin dürfte die Debatte zu einem interessanten Schlagabtausch zwischen den beiden starken Frauen Italiens werden: zwischen der 46-jährigen Giorgia Meloni und der neun Jahre jüngeren Elly Schlein. Beim Gespräch zur Verfassungsreform hatten sie sich offenbar einiges zu sagen – das erste Treffen der beiden dauerte über eine Stunde.

Der erste Punkt in diesem Duell ging an PD-Chefin Elly Schlein, die daran erinnerte, dass Italien derzeit wahrlich dringendere Probleme habe als die Verfassung: "Wir sind gesprächsbereit und ohne Vorurteile gegenüber den Vorschlägen der Regierung. Aber ich halte fest, dass für uns die Prioritäten des Landes andere sind: die Arbeitslosigkeit, das Gesundheitswesen, der nationale Wiederaufbauplan, der Klimawandel, die Perspektiven für die junge Generation, die Wohnungsnot." In der Tat steht die Vermutung im Raum, dass die Verfassungsreform vor allem eines ist: ein Ablenkungsmanöver der Regierung, die für all diese Probleme kaum Lösungen anzubieten hat. (Dominik Straub aus Rom, 10.5.2023)