Demonstration für die Rechte der Uiguren in Istanbul im Dezember 2022.

Foto: UMIT BEKTAS, Reuters

Keine vier Jahre ist es her, da gab sich der damalige Vorstandsvorsitzende von VW, Herbert Diess, vollkommen ahnungslos. "Davon ist mir nichts bekannt", antwortete Diess auf die Frage eines BBC-Reporters, was er von den Umerziehungslagern in Xinjiang halte, in denen mehrere Millionen Uiguren Gehirnwäsche und Folter erleiden. Schließlich betreibe der Konzern doch ein Werk in der Region.

Wenig später räumte China-Chef Stephan Wöllenstein ein, dass Berichte über die Internierungslager dem Konzern schon bekannt seien. "Natürlich kennen wir diese Reports, natürlich nehmen wir sie ernst, und sie sind auch besorgniserregend aus unserer Sicht." Trotzdem sei es aus wirtschaftlicher Sicht richtig gewesen, damals das Werk in Xinjiang zu bauen.

"Aus wirtschaftlicher Sicht richtig"

China, die einstige Cashcow des Volkswagen-Konzerns, ist nun zum größten Risikofaktor geworden. Chinesische Hersteller von Elektrofahrzeugen hängen die deutschen Konkurrenten ab. Und nicht nur dass die Aktionäre auf der diesjährigen Hauptversammlung sich Sorgen um mögliche Sanktionen machen, sollte zum Beispiel ein Krieg um Taiwan ausbrechen. Auch die Verwicklungen von Volkswagen in der Region Xinjiang geraten wieder in den Fokus. Große Kapitalgeber wie Deka Investment und Union Investment fordern eine unabhängige Untersuchung der Aktivitäten. Was also macht Volkswagen eigentlich im Nordwesten Chinas?

Die Fabrik in Ürümqi, Hauptstadt der Region Xinjiang, ist ein sogenanntes Semi-Knocked-Down-Werk. Das heißt, alle Teile werden aus anderen Werken in Ostchina angeliefert und dann in der Fabrik zusammengeschraubt. Wirtschaftlich macht das eigentlich keinen Sinn: Denn die Teile werden vom 3.000 Kilometer entfernten Schanghai in die Peripherie gebracht und dort zusammengeschraubt.

2012 hatte Volkswagen hier zusammen mit dem chinesischen Partner SAIC begonnen, den VW Santana zu produzieren. Schon ein Jahr später sollte die Produktion auf 50.000 Wagen steigen. Der Plan wurde nie erfüllt. 20.000 Autos waren es 2020.

Nicht die einzige westliche Firma

Volkswagen ist nicht die einzige westliche Firma in Xinjiang. Vor etwa 15 Jahren begann Peking, internationale Unternehmen dazu zu drängen, in die Provinz zu investieren. Nicht selten half man mit etwas Druck nach: So hieß es aus gut informierten Kreisen, man habe die Eröffnung eines profitablen Werks im südchinesischen Foshan an die Bedingung geknüpft, in Xinjiang zu investieren. Volkswagen habe die Erlaubnis für ein neues Werk in Chinas Süden, in Foshan, nur im Gegenzug für Entwicklungsarbeit in der Unruheprovinz erhalten. Im sicheren und gut entwickelten Foshan in Südchina laufen tatsächlich wesentlich mehr Wagen vom Band. Ähnliches wird vom deutschen Chemiehersteller BASF berichtet, der ein Werk in Korla betreibt.

Schon damals war die Diskriminierung der mehrheitlich muslimischen Volksgruppe offensichtlich. Die Umerziehungslager, das Zwangsarbeitssystem und die digitale Überwachung allerdings entstanden erst später ab dem Jahr 2014.

Problematische Investition

Den Konzernen lässt sich nicht der Vorwurf machen, sie haben selbst Zwangsarbeiter beschäftigt. Im Gegenteil: Die deutschen Unternehmen sind sowohl bei Han-Chinesen als auch bei Uiguren als Arbeitgeber beliebt, da sie überdurchschnittliche Gehälter zahlen und Arbeitsvorschriften einhalten.

Trotzdem ist ethisch eine solche Investition in der Region mehr als problematisch. Zum einen mögen indirekte Verwicklungen in das Zwangsarbeits- und Unterdrückungssystem bestehen. Vor allem aber kann man gerade bei einem Konzern wie VW mit einer dunklen Historie, was Zwangsarbeit betrifft, von einer besonderen Verantwortung sprechen. Dieser aber kommt der deutsche Autobauer bis heute nicht nach. Und bis vor kurzem spielte man noch den Ahnungslosen. (Philipp Mattheis, 13.5.2023)