Neue Technolgie, neue Möglichkeiten. Das dachte sich offenbar auch die Influencerin Caryn Marjorie, als sie sich jüngst ein neues Geschäftsmodell erschloss. Der 23-jährigen Amerikanerin, die auch unter dem Pseudonym "cutiecaryn" bekannt ist, folgen auf Snapchat 1,8 Millionen Menschen. Auf anderen Plattformen wie Tiktok, Youtube oder Instagram hat sie ebenfalls hunderttausende Abonnenten.

Mittlerweile kommen dazu auch tausende Partnerinnen und Partner. Allerdings rein virtueller Natur. Denn diese Leute zahlen Geld, um mit einer ebenfalls virtuellen Version von Marjorie zu chatten und Sprachnachrichten zu bekommen, berichtet "Fortune".

72.000 Dollar in der ersten Woche

"CarynAI" heißt der Service, der sich seit etwas mehr als einer Woche in einer Testphase auf Einladungsbasis befindet und am 16. Mai allgemein verfügbar werden soll. Betrieben wird er über den Messenger Telegram. Der zugehörige Kanal hat aktuell über 3.100 Mitglieder. Trotz des limitierten Zugangs konnte Marjorie– Stand: 9. Mai – bereits fast 72.000 Dollar mit ihrem Bot einnehmen.

Allein auf Snapchat folgen "cutiecaryn" über 1,8 Millionen Leute.
Foto: Snapchat/cutiecaryn

Bezahlt wird für den Kontakt mit einem Dollar pro Minute. Die Nutzung schwankt stark von Person zu Person. Das Publikum besteht zu 99 Prozent aus Männern. Manche tauschen mit der KI pro Tag nur einzelne Nachrichten aus, andere wiederum führen stundenlange Gespräche. Inhaltlich liegt der Fokus auf der Simulation einer romantischen Beziehung. Auch erotischer Austausch ist – wenn auch laut "Forbes"-Erfahrungsbericht in etwas entschärfter Form – möglich.

Chatten zum Minutentarif

Umgesetzt wurde die KI-Freundin vom Unternehmen Forever Voices. Für die Sprachausgabe der Nachrichten wurde es mit 2.000 Stunden an Material aus Marjories großteils nicht mehr öffentlich verfügbaren Youtube-Videos angelernt. Die Texte selbst generiert ein Modell auf Basis von OpenAIs GPT 4.0. Es ist der erste romantische Chatbot der Firma, zuvor setzte sie virtuelle Abbilder von bekannten Personen wie Steve Jobs oder Donald Trump um. Diese kamen schon in Talkshows zum Einsatz, man kann mit ihnen aber ebenfalls zum Minutenpreis chatten.

Firmengründer John Meyer begann seine Arbeit an solchen Projekten im Jahr 2017. Damals baute er eine KI-basierte Simulation seines Vaters, der sich das Leben genommen hatte. Unter dem Wortmantel "Grieftech" arbeiten mittlerweile eine Reihe von Firmen an Möglichkeiten des digitalen Weiterlebens.

Das virtuelle Gesicht von Caryn Marjorie, das ihren Chatbot repräsentiert.
Foto: CarynAI/Forever Voices

Chancen und Gefahren

Die romantische Komponente von Chatbots könnte allerdings nachhaltige Folgen für das menschliche Beziehungsleben haben. Laut Robert Brooks, Professor für Evolutionsbiologie an der University in New South Wales, Australien, könnten Dienste wie CarynAI dazu führen, dass manche Nutzer künstliche Beziehungen gegenüber echten Verbindungen den Vorzug geben. Betreffen könnte das insbesondere Teenager, die während der Pubertät noch dabei sind, ihre Fähigkeiten in Bezug auf soziale Interaktionen, Beziehungen und Intimität zu entwickeln.

Das müsse aber nicht ausschließlich schlechte Folgen haben. Mögliche Nachteile sind leicht vorstellbar, aber solche Chatbots könnten jungen Menschen auch helfen, ihre sozialen Fertigkeiten mit weniger Druck zu entwickeln. Das allerdings setzt voraus, dass diese KIs "gutartiges Social Engineering" betreiben, woran viele Firmen aus geschäftlichen Gründen wohl kein Interesse haben dürften.

CarynAI könnte fünf Millionen Dollar jährlich bringen

Marjorie sieht ihre KI-Alter Ego als Dienst an ihren Fans. Sie versuche, ihrem Publikum möglichst nahe zu sein, doch mit hunderten Millionen Videoabrufen im Monat sei es ihr unmöglich, mit jedem Einzelnen zu kommunizieren. Diese Lücke werde nun von CarynAI gefüllt.

Der Chatbot und auch andere KI-Modelle dieser Art haben ihrer Meinung nach auch das Potenzial, einsamen Menschen zu helfen. Freilich rechnet sie sich nach dem gelungenen Start auch finanzielle Vorteile aus. Sie hofft, 20.000 zahlende Abonnenten für den Service zu finden, was ihr jährliche Zusatzeinkünfte von fünf Millionen Dollar bescheren könnte. (gpi, 11.5.2023)