In ihrem Gastbeitrag erklären Jurist Johann Schilchegger und Unternehmensberater Andreas Gruber, wieso das Modell einer 24-Stunden-Betreuung prinzipiell überdacht werden muss.

Für ein Arbeitspensum von 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr, ist der Mensch nicht gemacht. Dennoch halten wir in der "24-Stunden-Betreuung" beeinträchtigter Menschen (fälschlich oft auch als "24-Stunden-Pflege" bezeichnet) beharrlich die Illusion aufrecht, den hier tätigen Frauen und – wenigen – Männern wäre dies über mehrere Wochen hinweg problemlos möglich und ihnen trotz bescheidener Entlohnung auch durchaus zumutbar.

Um die dahinterstehende Problematik nicht an der Wurzel angehen zu müssen, hat die Politik sogar eine Reihe von Gesetzen, Verordnungen, Ratgebern und Institutionen geschaffen, die uns in dieser sehr bequemen Wunschvorstellung bestärken sollen.

Beispielsweise ist in Österreich bereits seit 1. Juli 2007 das sogenannte Hausbetreuungsgesetz in Kraft, dessen Kern im Gleichklang mit der Gewerbeordnung darin besteht, die Betreuung von Menschen vor Ort auch in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, also unternehmerisch auf Werkvertragsbasis zu legalisieren.

Pflegekräfte bei einer 24-Stunden-Betreuung werden aus finanziellen Gründen oft in eine Selbstständigkeit getrieben, die keine ist.
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Seither wird die Personenbetreuung hauptsächlich auf diese Weise arrangiert, wodurch für die vorwiegend aus fernen Ländern und prekären Verhältnissen stammenden Betreuerinnen und Betreuer jedweder arbeitsrechtliche Schutz entfällt, etwa bezogen auf Arbeitszeitbeschränkungen, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubs-, Sonderzahlungs- und Mindestlohnansprüche etc. Für betreuungsbedürftige Menschen und ihre Familien stellt diese Variante meistens auch die einzige finanziell leistbare Form einer Fremdbetreuung im eigenen Haushalt dar.

Heikle Frage der Selbstständigkeit

Allerdings stehen derlei Konstruktionen in rechtlicher Hinsicht weiterhin auf eher wackeligen Beinen. Die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit ist nämlich äußerst heikel. Latente Grenzüberschreitungen in den unselbstständigen Bereich sind speziell im Betreuungswesen kaum zu vermeiden und gegebenenfalls mit weitreichenden Folgen verbunden. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Verwaltungsgerichtshofs als auch des Obersten Gerichtshofs ist in der rechtlichen Beurteilung stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Zu prüfen sind hier keineswegs nur die vertraglich getroffenen Vereinbarungen, sondern vielmehr die tatsächlich herrschenden Verhältnisse innerhalb der Betreuungsbeziehung. Es kommt also auf den "wahren wirtschaftlichen Gehalt" des Arrangements und weniger auf den Text einer Vertragsurkunde an.

Selbstständige Tätigkeit setzt immer eine gewisse Autonomie voraus, also etwa die Möglichkeit, Aufträge sanktionslos ablehnen und sich die Erledigung der Aufgaben zeitlich selbst einteilen zu dürfen, sich nach Belieben auch von anderen Personen vertreten lassen zu können und dergleichen mehr. Freiheiten also, über die Betreuerinnen und Betreuer in der Praxis typischerweise eher selten verfügen. Übersteigen Fremdbestimmtheit, persönliche Abhängigkeit, die Einbindung in ein betriebliches Weisungsgefüge etc. ein bestimmtes Maß, ist hingegen eine unternehmerische Betätigung – allenfalls auch im Nachhinein – zu verneinen.

Beispielsweise hat der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung vom 24.10.2011 (8 ObA 17/11z) das Bestehen eines (unselbstständigen) Arbeitsvertragsverhältnisses unter anderem damit begründet, dass die Abwicklung der Betreuung in vielfacher Weise nicht rein an den sachlichen Erfordernissen orientiert war, sondern auch völlig unsachliche Anliegen der Pflegebedürftigen "weisungsgemäß" durchgeführt wurden, etwa das von ihr vereinzelt gewünschte "Füttern", obwohl sie ihre Speisen ohne Weiteres auch noch selbst zu sich nehmen hätte können.

Abgesehen von allerlei steuer- und sozialversicherungsrechtlichem Ungemach, das bei einer nachträglichen "Umqualifizierung" von einem vertraglich (pro forma) vereinbarten Werkvertragsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis droht, stehen unselbstständig tätig gewesenen Betreuerinnen und Betreuern sodann rückwirkend sämtliche Vorteile daraus zu, insbesondere meistens horrende Entgeltnachzahlungsansprüche.

24 Stunden Betreuung heißt 24 Stunden Bezahlung

Nicht genug damit, hat das deutsche Bundesarbeitsgericht schon vor zwei Jahren in einem Erkenntnis vom 24.06.2021 (5 AZR 505/20) unter Bezugnahme auf unionsrechtliche Rahmenbedingungen klargestellt, dass nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte Anspruch auf den deutschen gesetzlichen Mindestlohn nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für geleistete Bereitschaftsdienste haben.

Mit anderen Worten: Wer etwa seiner als Arbeitnehmerin zu qualifizierenden Betreuerin ein Babyfon auf das Nachtkästchen stellt, damit sie rund um die Uhr, also selbst in Schlaf- und in Ruhephasen, verfügbar bleibt, muss auch 24 Stunden dafür bezahlen.

Zwar gibt es durchaus Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Recht, aber die grundsätzliche Ausrichtung ist vergleichbar und der unionsrechtliche Rahmen hier wie dort ohnedies derselbe.

Saubere Lösung oder Prinzip Hoffnung

Wer die Praxis und den üblichen Alltag von Personen, die in Österreich in der 24-Stunden-Betreuung tätig sind, einigermaßen kennt, weiß um die tendenziell ausufernde Vereinnahmung dieser "systemrelevanten Arbeitskräfte" (an die Covid-19-Pandemie sei erinnert) durch die Betreuungsbedürftigen und meistens auch noch ihrer Familien in räumlicher, zeitlicher und organisatorischer Hinsicht.

Unternehmerische Freiheiten kommen hier eher selten zum Vorschein und so bleibt es letztlich jeder Familie überlassen, im Konfliktfall entweder dennoch auf eine rechtliche Qualifikation als selbstständige Betreuungskraft zu hoffen oder vorsichtshalber rechtzeitig systemische Veränderungen herbeizuführen. Alles andere macht die 24-Stunden-Betreuung auch finanziell nicht leistbar.

Dilemma der Versorgung

Abseits der dargestellten Problematik befindet sich Österreich in einem moralischen Versorgungsdilemma, das noch nicht ausreichend Einzug in den öffentlichen Diskurs gefunden hat.

Es steht außer Frage, dass sich die 24-Stunden-Betreuung zurzeit durch keine andere Betreuungsform substituieren lassen würde – sprich: Alle rund 40.000 Österreicherinnen und Österreicher, die aktuell von 24-Stunden-Betreuerinnen und 24-Stunden-Betreuern in den beschriebenen Verhältnissen begleitet und auch gepflegt werden, könnten weder durch stationäre noch durch mobile oder ambulante Angebote versorgt werden. Es herrscht also längst eine veritable Systemabhängigkeit, die sich nicht ohne weiteres wieder abschütteln lassen wird. Gleichzeitig sind die Aussichten überschaubar, die Versorgung mit 24-Stunden-Betreuung könne in einem mittelfristigen (fünf- bis zehnjährigen) Horizont weiterhin aufrechterhalten werden.

Die Gehaltsunterschiede zwischen Österreich und den Hauptherkunftsländern der Betreuerinnen und Betreuer (Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Slowakei) verringern sich laufend. Sie sind längst nicht mehr hoch genug, um auch noch in einigen Jahren eine ausreichend große Anziehungskraft auszuüben. Fähige und motivierte Menschen werden in absehbarer Zukunft nicht mehr bereit sein, ihre Familien über mehrere Wochen hinweg zu verlassen, nur um fernab der Heimat geringfügig mehr Geld zu verdienen.

Und was dann, liebes Österreich?

Der Ruf nach einer Rekrutierung außerhalb der Europäischen Union kommt jedenfalls viel zu spät, andere Länder haben dort schon vor Jahren Agenturen, Kooperations- und Ausbildungseinrichtungen etabliert. Er greift außerdem zu kurz, weil die rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Hürden durch eine weitere Ausdehnung der Distanzen in keiner Weise reduziert, sondern im Gegenteil verschärft werden.

Tragfähige Antworten braucht das Land

Es ist an der Zeit, dass sich Österreich endlich eine belastbare, zukunftsweisende Strategie zurechtlegt. Insbesondere gilt es, nunmehr rasch Antworten darauf zu finden, a) ob und gegebenenfalls wie eine außerfamiliäre 24-Stunden-Betreuung moralisch, rechtlich und finanziell auf saubere Beine gestellt werden könnte, b) wie weit (moralisch, politisch und geografisch) wir Österreicherinnen und Österreich überhaupt bereit sind zu gehen, um Best-Practice-Modelle zu erkunden, weiterzuentwickeln und zeitnah in das heimische System zu implementieren, c) wie eine 24-Stunden-Betreuung vorausschauend transformiert werden kann für den Fall, dass sich in den Mitgliedsländern der Europäischen Union in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend Betreuerinnen und Betreuer rekrutieren lassen und d) wie gleichzeitig die Versorgungssicherheit für die wachsende Zahl an Seniorinnen und Senioren in Österreich gesichert bleibt, ohne dabei vermehrt wiederum auf pflegende Angehörige zurückgreifen zu müssen, die dazu neben allen anderen Belastungen kaum mehr im Stande sein werden.

Zur Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen sind keineswegs nur Politik und Verwaltung, sondern vor allem auch strategisch agierende Unternehmen eingeladen, mit neuen Ideen zur Problemlösung beizutragen. Wer nämlich in schwierigen Pflege- und Betreuungsphasen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Regen stehen lässt, darf sich später über fehlende Loyalität nicht wundern. Schließlich kann jede und jeder von uns plötzlich betroffen sein, und dann gilt es, akut leistbare Lösungen vorrätig zu haben! (Johann Schilchegger, Andreas Gruber, 12.5.2023)