Mensch steht in der Bilderbuchlandschaft: So sehen viele Instagram-Motive der Granola-Girls und -Boys aus.

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Marken wie North Face umwerben die Granolas erfolgreich.

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Wenn Sinisa Radu nicht in Wien unterwegs ist, dann zieht es ihn nach draußen.

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Salomon gehört zu den Lieblinglabels der Granolas.

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Es ist nicht so einfach, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei sind die Granola-Boys und -Girls auf Instagram und Tiktok ein Dauerthema. Sie tragen lieber Patagonia als Balenciaga, bekleben wiederverwendbare Nalgene-Wasserflaschen mit Stickern, ernähren sich vegan oder vegetarisch. Sie demonstrieren einen nachhaltigen Lebensstil, ziehen das Knuspermüsli der Ökosünde Avocado vor. Wenn sie sich nicht gerade für Instagram vor spektakulären Bergketten inszenieren, sind sie in den Boulderhallen der Großstädte anzutreffen. Auf Tiktok ist das Phänomen eine ziemliche Sensation, allein der Hashtag #GranolaBoy wurde bislang mehr als 31 Millionen Mal aufgerufen.

Doch wo stecken sie, die neuen Müslis Österreichs? Auf Instagram sieht alles danach aus, als tummelten sich die Granolas in ihrer Freizeit gern in den Tiroler Bergen. Also Kontaktaufnahme mit einer Influencerin aus der Gegend. Sie erfüllt auf den ersten Blick die Kriterien. Doch Fehlanzeige. Sie sei zwar viel in der Natur unterwegs und ernähre sich gesund, doch als Granola-Girl würde sie sich nicht bezeichnen, winkt diese ab. Nachsatz: Dafür sei sie zu wenig ökologisch unterwegs. Es gehen weitere Anfragen raus, die Reaktionen halten sich in Grenzen. Sehen es etwa alle so streng?

Die Granolas seien die Hipster von heute, lautet der Tenor vieler Artikel. Meist schwingt in diesen Annäherungen mit: Die Granolas sollte man sich unbedingt genauer ansehen, wenn man mehr über die Generation Z wissen will. Das Interesse an den neuen Müslis ist verständlich. Sie scheinen die große Zerrissenheit der Jungen zu verkörpern. Hier die Sehnsucht nach einem nachhaltigen Lebensstil und da die Lust am Konsum, hier Weltflucht und da Selbstinszenierung vor Sonnenuntergang. Brandneu sind die Granolas mitnichten, vor allem nicht in den USA. Denn ja, es gab sie auch schon in den Anfängen des Social-Media-Zeitalters: Im Urban Dictionary tauchten die Granola-Boys schon 2011 auf.

Wandern als Lifestyle

Sinisa Radu jedenfalls ist auf den ersten Blick ein klarer Fall. Der 24-Jährige gehört jener zwischen 1995 und 2010 geborenen Generation Z an, er ist in Innsbruck aufgewachsen, heute wohnt er in Wien. Seine Kleidung sieht trotzdem so aus, als würde er im nächsten Moment zu einer Wanderung auf den Tiroler Bärenkopf aufbrechen – das tut er tatsächlich regelmäßig mit Freunden. Der 24-Jährige ist kein Influencer, doch er zeigt sich und sein Leben zwischen Bergseen, Wiener Coffeeshops und Müslibowls gern auf Instagram. Radus Kleidung ist dabei immer in gedeckten Tönen gehalten und genau aufeinander abgestimmt: Er trägt gern Outdoormarken wie Patagonia und Arcteryx, die Sneaker stammen selbstverständlich von Salomon, einer Lieblingsmarke der Granolas.

Nachschub besorgt sich der 24-Jährige auf Vintage-Onlineplattformen (weil nachhaltig), im angesagten Anouk-Store in der Wiener Westbahnstraße oder im Wiener Stilladen, dort gibt es die Outdoorlinie Acd vom Sportartikelhersteller Nike oder "coole Hosen zum Klettern" von Grammici. Rein optisch ist Radu ein Vertreter der Spezies, ganz klar. Wenn er denn wüsste, was ein Granola-Boy überhaupt ist. Bis zum Telefonat für den Artikel war er einigermaßen ahnungslos. "Ich musste den Begriff erst mal googeln", lacht der 24-Jährige. Er benutzt auf Instagram lieber den Hashtag #GorpCore, klingt auch irgendwie besser. 2017 erfand der US-amerikanische Journalist Jason Chen jenen Begriff als Beschreibung für die coole Mischung aus Funktionsmode und Streetwear, die er seit den Zehnerjahren auf den Straßen New Yorks beobachtete. Während die Granolas nach dem gleichnamigen Knuspermüsli benannt sind, wurde "gorp", eine Abkürzung für "good old raisins and peanuts", den bei Outdooraktivitäten beliebten Studentenfuttersnack, zum Namensgeber des Trends.

Attraktive Zielgruppe

Doch weiter zu Johanna Ludley, Chefin der Wiener Agentur Wonder We Want. Ihr und ihren Mitarbeiterinnen sind Gorpcore und Granola-Girls selbstverständlich ein Begriff. Social-Media-Phänomene sind ihr Geschäft. Jeder Trend wird heute in Windeseile vermarktet, jede Zielgruppe heftig umworben, so auch die anspruchsvollen Granolas, die bereit sind, ein kleines Vermögen für teure Outdoorjacken hinzulegen. Ihr Kunde Zalando pushe mit Influencerinnen und Influencern aus jenem Bereich das Streetwearsortiment, das die Lieblingsmarken der Granolas, von Arcteryx bis Columbia enthält, erklärt Ludley. Mit Jonas Lang alias Jaylungo, rund 13.000 Instagram-Followerinnen und -Follower, habe man schon des Öfteren zusammengearbeitet. Man versteht natürlich gleich, warum. Lang sitzt gerne auf dem Rad, fährt Ski, hat einen Sinn für geschmackssichere Funktionsmode und lässt das die Welt wissen.

Auch Michael Paul vom Wiener Stilladen verkauft mittlerweile neben Streetwear Einpersonenzelte und Campingaccessoires. Vor rund zwei Jahren hat er begonnen, auf das wachsende Bedürfnis seiner Kundinnen und Kunden nach "Outdoormarken mit einem Lifestyle-Touch" zu reagieren. Besonders gefragt sind bei ihm einschlägige Labels wie Patagonia, Grammici, Topo und Nike Acg. Dass seine Kundschaft auch aus Granola-Boys und -Girls besteht, war ihm bislang nicht klar – ihm ist der Begriff neu.

Vielleicht auch deshalb, weil sich kaum jemand selbst als "Granola-Boy" oder "-Girl" bezeichnen würde: Das Image hat nicht zuletzt auf der Videoplattform Tiktok gelitten. Die Granolas sind umstritten, für viele ist die Spezies gar ein rotes Tuch. Die Granola-Boys und -Girls mögen sich mit Birkenstocks und Müslischüssel erdverbunden geben, doch ihr Lebensstil kann über ihre Privilegien nicht hinwegtäuschen: Dank wohlhabender Eltern können sie es sich leisten, ständig in der Weltgeschichte unterwegs zu sein, so ein gängiger Vorwurf. Es geht noch weiter: Die Granolas seien mehr Pose als Haltung, mehr Patagonia als Klimaprotest, lautet die Kritik. Die Zeit wird zeigen, ob es dabei bleibt. (feld, 13.5.2023)