Google-Boss Sundar Pichai kann zufrieden sein.

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In den vergangenen Monaten ist Google ganz gehörig in die Defensive geraten. Der Grund dafür nennt sich ChatGPT: Der Chatbot hat einen regelrechten Hype rund um das Thema künstliche Intelligenz ausgelöst. Einen Hype, den nicht zuletzt Microsoft bislang gut zu nutzen wusste, um Aufmerksamkeit auf bisher wenig beliebte Produkte wie die Suchmaschine Bing zu lenken und diese mit diversen KI-Features aufzupolieren. Google wirkte hingegen für viele Kommentatoren von einem auf den anderen Tag nicht mehr zeitgemäß.

Ausschnitte aus der I/O-Keynote
DER STANDARD

Widerspruch

Eine öffentliche Wahrnehmung, die Google nun zu korrigieren versucht. Den Rahmen der Keynote zur Entwicklerkonferenz Google I/O nutzte der Softwarehersteller, um eine Art Machtdemonstration der eigenen KI-Fähigkeiten abzuhalten. Ein neues großes Sprachmodell (LLM), dessen Integration in nicht weniger als 25 Produkte aus dem breiten Portfolio des Unternehmens sowie einen ersten Vorgeschmack eines KI-fokussierten Umbaus der eigenen Suchmaschine gab es dabei zu sehen.

Die damit vermittelte Aussage war unmissverständlich: Google hat nicht nur das notwendige Know-how, die langjährige Expertise im Bereich Maschinenlernen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Das Unternehmen kann auch schneller auf neue Herausforderungen reagieren, als es viele bei einem solch riesigen Konzern erwartet hätten.

Das Kleingedruckte

Dass es sich bei der vorgezeigten neuen Version der Suchmaschine genau genommen eigentlich nur um ein Experiment handelt, bei dem noch nicht ganz klar ist, wann und in welcher Form es einer breiteren Masse dargeboten wird, ging da ebenso unter wie der Umstand, dass Google eigentlich schon vor einigen Wochen angekündigt hatte, dass künftig eine Text-KI bei nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen zum Einsatz kommen soll. Wirklich neu waren insofern eigentlich nur die Integration eines Chatbots für Nachfragen sowie ein erster Blick auf die grafische Umsetzung.

Google

Andererseits ist das auch ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit, immerhin ist in der gesamten Diskussion bislang bei vielen komplett untergegangen, dass Google schon lange KI für allerlei Aufgaben der Suchmaschine – und bei zahlreichen anderen Produkten – verwendet. Zudem kann das Unternehmen so mit gewissem Recht behaupten, dass es sich um eine logische Weiterentwicklung ohnehin schon länger laufender Umbauten an der Suchmaschine handelt.

Ein Wandel

Die Darstellung von Google als jenem Platz, wo einem auf eine Anfrage die klassischen zehn blauen Links geboten werden, stimmt ohnehin schon lange nicht mehr. Von der Integration des "Knowledge Graph" über gezielte Antworten auf einzelne Fragen via Textschnipsel bis zu immer mehr Bildern und Videos hat sich die Google-Suche zuletzt immer stärker von der Such- zur Wissensmaschine gewandelt.

Dass die aktuellen Umbauten nun zunächst einmal "nur" als Experiment ausprobiert werden, ist aus Google-Sicht aber auch sonst durchaus logisch. Immerhin hat man bei jeder größeren Änderung viel mehr zu verlieren als ein Konkurrent wie Microsofts Bing, das in den vergangenen Jahren mehr Niederschlag in bösen Scherzen als in den weltweiten Statistiken gefunden hat.

Googles schwierige Situation

Als der alles dominierenden Suchmaschine hat jede Änderung an Google massive Auswirkungen auf das Web als Ganzes, das hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, wenn das Unternehmen wieder einmal seinen Algorithmus aktualisierte. In dieser Hinsicht ist die Integration von KI natürlich besonders problematisch, ist doch längst nicht klar, was das für die Zukunft der verbliebenen Reste des offenen Webs bedeutet. Wenn eine KI immer öfter direkte Antworten gibt, wird das unweigerlich negative Auswirkungen auf den Traffic haben, der anderen Webseiten zuteilwird. Das wiederum wirft die Frage auf, wer dann eigentlich noch all die Inhalte produzieren soll – was natürlich auch nicht im Interesse von Google sein kann.

Doch das Unternehmen hat natürlich auch noch eigene Interessen, es mit einem Umbau der Suchmaschine nicht ganz so schnell anzugehen – und die sind finanzieller Natur. Einerseits ist der Betrieb solch großer Sprachmodelle extrem ressourcenaufwendig; wenn jetzt bei einem Großteil aller Google-Suchen auch eine Text-KI im Hintergrund läuft, würde das die Serverkosten vervielfachen. Hier braucht es also noch weitere Optimierungen und grundlegende Forschung beim Aufbau solcher Modelle. Zudem muss Google natürlich einen Weg finden, so eine KI-gestützte Suchwelt auch irgendwie zu monetarisieren.

Bard ist vor allem ein Experimentierfeld

Was die Google I/O aber auch – erneut – klarmachte: Google sieht im direkten ChatGPT-Konkurrenten Bard kein Endprodukt, sondern vor allem eine experimentelle Plattform, ein Spielfeld, um Erfahrungen zu sammeln. Erfahrungen, auf deren Basis man dann neue, aber gezieltere KI-Features für die eigenen Dienste entwickelt. Tatsächlich könnte man argumentieren, dass all diese Dinge für die breite Masse derzeit relevanter sind als ein allgemeiner Chatbot mit seinen bekannten Beschränkungen und Problemen.

Generell zeigt sich an dieser Stelle einer der größten strategischen Vorteile von Google. Das Unternehmen betreibt einfach sehr viele erfolgreiche Dienste und kann diese in solchen Situationen als großen Hebel benutzen. Das gilt nicht nur für Gmail, Google Maps und Co, auch Android wird in dieser Hinsicht in Zukunft sicher noch eine größere Rolle spielen – vor allem wenn auch die mächtigeren Modelle einmal besser für Smartphones geeignet sind.

Eine Versicherung

Das bedeutet allerdings nicht, dass Google Bard nicht mit Nachdruck verfolgt. Das tut man sehr wohl, wie die aktuelle Welle an Neuankündigungen demonstriert. Das alleine schon, um sich in alle Richtungen abzusichern, falls sich Systeme wie ChatGPT langfristig als eine ernsthafte Konkurrenz etablieren können – eine von Google bekannte Strategie.

Bild-KIs? Offenbar egal

Bemerkenswert war an der Keynote zur Google I/O aber auch, dass Google seine eigenen bildgenerierenden KIs, die das Unternehmen sehr wohl hat, nur am Rande erwähnte. Stattdessen wurde prominent eine Anbindung von Bard an Adobes KI-Tool Firefly gezeigt. Das sicherlich zum Teil, um gezielt den Willen zu Partnerschaften mit anderen Firmen zu demonstrieren. Gleichzeitig lässt sich daraus aber auch schließen, dass Google generell nicht von der Zukunft von Bild-KIs als eigenständigen Produkten überzeugt ist, diese eher für ein Feature hält, das bestehende Hersteller in diesem Bereich in ihr Portfolio aufnehmen werden.

Der Markt hat gesprochen

Bei Google dürfte man mit der Keynote und deren Rezeption jedenfalls sehr zufrieden sein. Alleine schon weil die Börse sehr positiv reagiert hat, der Kurs der Google-Aktie im Verlauf der Präsentation um mehr als vier Prozent gestiegen ist. Damit hofft Google wohl wieder etwas Ruhe in die aktuelle Situation gebracht zu haben, nachdem die Aktie in den vergangenen Monaten selbst bei offensichtlichen Falschmeldungen mehrfach abgesackt war.

Mindestens so wichtig ist aber ein zweiter Effekt der I/O-Demonstration: die Wirkung nach innen. So war es für viele KI-Forscher bei Google wohl zuletzt bereits reichlich frustrierend anzusehen, wie das Ansehen der eigenen Arbeit in der Öffentlichkeit immer stärker litt. Dass diese zum Teil in sozialen Medien nun sehr stolz die neuen Entwicklungen anpreisen, ist alleine schon für die Stimmung im Konzern wichtig.

Dass man mit der bisherigen Zusammenlegung der beiden großen KI-Abteilungen in Google Deepmind und dem ebenfalls angekündigten nächsten großen Sprachmodell Gemini ein klares Ziel verfolgt, dürfte ebenfalls dabei helfen, die Abwanderung von einschlägigen Expertinnen und Experten zur Konkurrenz zu verhindern.

Mission: Erfüllt?

Die eigentliche Aufgabe der Keynote zur Google I/O war es, Vertrauen zu erzeugen, das zuletzt Googles KI-Fähigkeiten gegenüber eher negative Narrativ ein Stück weit zu drehen. Das scheint gelungen zu sein. Vorerst. (Andreas Proschofsky, 11.5.2023)