"Die Madame Meloni, Chefin einer rechtsextremen Regierung und gewählt von den Freunden unserer Madame Le Pen, ist unfähig, die Probleme mit der Migration zu lösen, denen sie ihren Wahlsieg verdankt." Mit scharfen Worten hat der französische Innenminister Gérald Darmanin die Politik von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kritisiert. Das war letzte Woche – und nur der Anfang: Nun legte Stéphane Séjourné, Chef der Regierungspartei Renaissance von Staatspräsident Emmanuel Macron und einflussreicher Europaabgeordneter, nach: "Die Migrationspolitik von Meloni ist ungerecht, inhuman und ineffizient." Die unverblümt scharfe Kritik ist ziemlich starker Tobak im Umgang von zwei an sich befreundeten Nachbarstaaten und EU-Partnern.

Der französische Innenminister Gérald Darmanin (li.) schießt scharf gegen Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Diese kontert demonstrativ gelassen.
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Die Schelte aus Paris hat in Rom höchste Irritation ausgelöst: Außenminister Antonio Tajani sagte einen geplanten Besuch in Paris aus Protest kurzerhand ab und forderte eine Entschuldigung. Selbst Vertreter der italienischen Opposition legten dem französischen Innenminister nahe, er solle sich doch lieber um die eigenen Probleme mit der Einwanderung kümmern.

Demonstrative Gelassenheit

Am gelassensten reagierte noch die Gescholtene selber: "Mir scheint, dass es sich um ein internes Problem der französischen Regierung handelt: Sie befürchten, bei ihren eigenen Wählerinnen und Wählern an Zustimmung einzubüßen. Darauf lasse ich mich nicht ein", erklärte Meloni am Mittwoch.

Mit dieser Einschätzung liegt die italienische Ministerpräsidentin und Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia zweifellos richtig: Macron und seine Ministerriege liegen seit Monaten unter Dauerbeschuss durch die französische Rechte, die ihnen Laxheit im Umgang mit der Migration vorwirft.

Und so muss Meloni in den Pariser Regierungskreisen als Beweis dafür herhalten, dass die Rezepte der Rechtsextremen nicht funktionieren. "Meloni ist wie (Marine) Le Pen: Sie lässt sich wählen mit dem Versprechen, die Einwanderung drastisch zu reduzieren – aber was wir in Italien heute sehen, ist, dass die Zahl der Migranten nicht abgenommen hat, sondern stark gestiegen ist", betonte Darmanin.

40.000 Ankünfte

Genau so ist es. In Italien sind in den ersten vier Monaten des Jahres 40.000 Bootsflüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten gelandet – was beinahe dem Vierfachen des Vorjahrs entspricht, als noch der parteilose Mario Draghi Regierungschef war.

Das Erste, was Meloni aufgab, war die im Wahlkampf angekündigte Verhängung einer Seeblockade gegen Flüchtlingsboote – von Anfang an nicht nur ein unmenschliches, sondern auch ein völlig unrealistisches Unterfangen. Aber auch alles andere, was die Rechtsregierung in Rom seit ihrem Amtsantritt im Oktober unternommen hat, erwies sich als Schlag ins Wasser.

Das gilt für die Schikanen gegen die privaten Rettungsschiffe ebenso wie für den versprochenen intensiveren Kampf gegen die Schlepperbanden und auch für die angekündigten Verschärfungen beim Asyl- und Bleiberecht. Kein einziger Flüchtling lässt sich von solchen Maßnahmen davon abhalten, in ein Boot zu steigen und die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer zu wagen.

Kein Rezept

Die Wahrheit ist, dass Meloni gegen den Ansturm der Bootsflüchtlinge, wie von Paris behauptet, eben kein Rezept hat – ganz einfach deshalb, weil es dafür keine einfachen Rezepte gibt. In ihrer Ratlosigkeit schreckt sie nicht einmal mehr davor zurück, international geächtete Kriegsherren wie den libyschen General Khalifa Haftar zu hofieren: Meloni hat Haftar, dessen Macht in der Cyrenaica (Ostlibyen) von Söldnern der russischen Wagner-Truppe abgesichert wird, vergangene Woche in Rom den roten Teppich ausgerollt und ihn zu "bilateralen Gesprächen" empfangen. Die Erklärung dafür: Der von Haftar kontrollierte Hafen von Tobruk ist in diesem Jahr zu einem der wichtigsten Ausgangspunkte für die Bootsflüchtlinge geworden. 10.000 der 40.000 Menschen sind von Tobruk aus in Richtung Italien losgefahren.

Was bei dem befremdlichen Tête-à-tête zwischen Meloni und dem Kriegsherrn aus der nordafrikanischen Wüste herauskam, wurde nicht bekanntgegeben. Fest steht, dass Haftar, wenn er es nur wollte, es in der Hand hätte, das Ablegen der Boote von einem Tag auf den anderen vollständig zu unterbinden. Auch bezüglich möglicher Gegenleistungen der italienischen Seite sind keine Informationen durchgesickert.

Wie schon Berlusconi ...

Neu ist die Kooperation italienischer Regierungen mit illustren Diktatoren zum Zweck der Eindämmung der Migrationsströme freilich nicht: Silvio Berlusconi hatte als Premier (vier Mal zwischen 1994 und 2011) schon vor fast 20 Jahren einen Deal mit dem damaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi abgeschlossen und ihm neben viel Geld auch den Bau einer 1.000 Kilometer langen Küstenautobahn versprochen.

Die Autobahn wurde nie dem Verkehr übergeben, aber Berlusconis Partei Forza Italia ist immer noch an der Regierung, wenn auch nur noch als Juniorpartnerin von Melonis Fratelli d'Italia. Und die Flüchtlinge legen weiterhin von der libyschen Küste Richtung Italien und Europa ab. (Dominik Straub, 12.5.2023)