Es ist windstill. Doch eine einsame Welle erhebt sich weit draußen vor der australischen Küste: blau-weiß, gut 24 Meter hoch – und aus Stahl und Beton. Das Four Seasons Barrier Reef Floating Hotel, einer Woge des Meeres nachempfunden, ist 89,2 Meter lang, 27,6 Meter breit und rund 12.000 Tonnen schwer. Sieben Stockwerke mit 140 Doppelzimmern und 34 Luxussuiten bietet es, einen Tennisplatz, zwei Restaurants, eine Disco, zwei Bars, eine Bibliothek, eine Sauna, Konferenzräume, ein Fitnessstudio und einen Tauchershop.

Die Hauptattraktion des ersten schwimmenden Hotels der Welt ist aber das Great Barrier Reef, das sich wenige Meter unterhalb erstreckt. Durch Panoramafenster im Boden kann man den Lebensraum von 400 Korallen- und 1.500 Fischarten beobachten. Die Nacht im Doppelzimmer kostet bis zu 1.100 US-Dollar. Aber schon vor der Eröffnung, im März 1988, ist das Hotel auf Monate hinaus ausgebucht.

Erdacht hat den futuristischen Urlaubstempel, der seit Ende der 1980er-Jahre rund 70 Kilometer vor der Küste des australischen Bundesstaats Queensland vor Anker liegt, ein Lebenskünstler namens Doug Tarca. Als leidenschaftlicher Taucher will er seine Begeisterung für die marine Tier- und Pflanzenwelt mit Feriengästen aus aller Welt teilen. Auch weil das berühmte Riff durch Klimaerwärmung und Meeresverschmutzung bedroht ist. Denn nur was die Menschen kennen und lieben, so Tarcas Überzeugung, werden sie vor der Zerstörung bewahren.

Hochsee-Traumschloss

Tarca hat keinerlei Erfahrung mit Bauprojekten. Aber das Glück kommt ihm zu Hilfe. Mitarbeiter eines Ingenieurbüros aus Schweden werden auf seine Idee aufmerksam. Consafe Engineering ist auf die Planung von Wohnanlagen bei Ölplattformen spezialisiert – und deren Bauweise könnte sich auf ein schwimmendes Hotel übertragen lassen.

Umgesetzt werden die Pläne schließlich in Singapur, wo Consafe eine Fertigungsanlage betreibt. Schon während der Bauphase berichten Reporter aus aller Welt euphorisch von Tarcas Hochsee-Traumschloss. Nach nur 18 Monaten ist die schwimmfähige Bettenburg fertig. Sie wird auf einen Schwergutfrachter gehievt und übers Meer in Richtung Südwesten getragen: 5.000 Kilometer weit.

Anfang Jänner 1988, nach zehn Tagen Schiffsreise, erreicht die kostbare Fracht das Great Barrier Reef. 39 Millionen US-Dollar hat der Bau gekostet, nach heutiger Kaufkraft umgerechnet 94 Millionen Euro. "Ich kann kaum glauben, dass es jetzt hier ist", schwärmt Tarca in einem Zeitungsinterview. "Es ist einfach fantastisch – nicht von dieser Welt!"

Die Meerwasserentsalzungsanlage liefert täglich 20.000 Liter Süßwasser. Drei Generatoren erzeugen – nahezu geräuschlos, um die Tierwelt nicht zu stören – 2,3 Megawatt Strom. Fixiert wird das Gebäude durch ein 480 Tonnen schweres System aus Stahlketten und acht Ankern, das so clever konstruiert ist, dass sich das Hotel bei Sturm zur Seite neigen kann. So soll es selbst Orkanen mit Geschwindigkeiten von über 160 Stundenkilometern trotzen. Kurz vor der Eröffnung, Anfang Februar 1988, fegt denn auch der Wirbelsturm Charlie mit 100 km/h über das Hotel. Es hält dem Druck locker stand, nur Swimmingpool und Tennisplatz werden beschädigt.

Doug Tarcas Traumschloss ist eine exklusive Unterkunft. Allein die Überfahrt mit dem Wassertaxi kostet 120 Dollar. Für die doppelte Summe kann man im Hubschrauber kommen. Viele Gäste sind begeistert von der futuristischen Anlage. Sie angeln, feiern Partys, erkunden als Taucher die Korallen unter dem Hotel.

Geringe Belastung fürs Riff

Auch der Umweltschutz bleibt Tarca ein Herzensanliegen: Müll wird bei 1.400 Grad Hitze in einem Spezialofen so schonend verbrannt, dass kaum Abgase in die Luft gelangen. Abwasser wird in der hoteleigenen Kläranlage mithilfe von Chlor und UV-Licht von Keimen befreit. Regelmäßig überprüfen Wissenschafter mögliche Einflüsse des Hotels auf die Tier- und Pflanzenwelt. Das Riff wird kaum belastet.

Doch längst nicht alles läuft rund: Da das Luxushotel, anders als Kreuzfahrtschiffe, über keine Stabilisatoren verfügt, kommt es stark ins Schwanken. Prompt werden Feriengäste seekrank. Bei Sturm muss man zudem stundenlang warten, um übersetzen zu können.

Im September 1988 entdecken Taucher auf dem Meeresgrund, nur zwei Kilometer vom Hotel entfernt, Panzerabwehrminen aus dem Zweiten Weltkrieg. Bald hat die Fünf-Sterne-Residenz nur mehr eine Auslastung von fünf Prozent. Um noch Gäste anzulocken, senken die Betreiber die Doppelzimmerpreise auf 130 US-Dollar. Dennoch bleiben weiterhin drei Viertel der Betten leer. Einzige gute Nachricht für Doug Tarca: Mehrere Hotelketten reißen sich darum, seine innovative Bettenburg zu übernehmen. Den Zuschlag erhält eine japanische Investmentfirma.

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Das erste schwimmende Hotel der Welt bei seiner Eröffnung als Four Seasons Great Barrier Reef Hotel im Jahr 1988.Es ankerte ursprünglich über dem Great Barrier Reef und wurde danach mehrfach bis zu seiner Endstation in Nordkorea verschifft.
Foto: STR/AFP/picturedesk.com

Per Schwerlastfrachter wird das Hotel nach Ho-Chi-Minh-Stadt transportiert, an die Südspitze von Vietnam, und auf dem Saigon River verankert. In Vietnam boomt seit Mitte der 1980er-Jahre der Fremdenverkehr. Insbesondere reiche Urlauber aus dem Westen begeistern sich für die noch wenig bekannte Destination. Luxuriöse Unterkünfte gibt es kaum. Das schwimmende Fünf-Sterne-Hotel scheint wie gemacht zu sein für das neue Vietnam.

Ausgerechnet Nordkorea

Im Winter 1989 wird es unter dem Namen Saigon Floating Hotel eröffnet. Schnell entwickelt es sich zu einem angesagten Treffpunkt von Globetrottern mit Geld. Seekrank wird auf dem träge dahinfließenden Saigon River kaum jemand, und besondere Umweltstandards fordert niemand ein. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Mitte der 1990er-Jahre entstehen in direkter Nachbarschaft zahlreiche weitere Luxushotels, die zwar nicht auf dem Wasser schwimmen, aber dem Floater die Gäste abjagen. Bald wollen die Eigentümer das Hotel loswerden.

Schließlich erwirbt es eine südkoreanische Firma – und verfrachtet es ausgerechnet nach Nordkorea, in die Region Kŭmgang-san. Dieses Gebiet mit naturbelassenen Stränden und eindrucksvollen Felslandschaften wurde zur Sondertourismuszone erklärt: Im Zuge politischen Tauwetters dürfen Südkoreaner hier – erstmals seit dem Koreakrieg – wieder auf dem Territorium Nordkoreas Urlaub machen. Staatschef Kim Jong-il höchstpersönlich ermutigt sie zur Anreise. Zu den besten Zeiten besuchen jährlich fast eine Viertelmillion Touristen aus Südkorea Kŭmgang-san.

Zwei Saiten

Das Hotel geht in einer Bucht vor Anker und erhält wieder einen neuen Namen: Haegumgang, in Anlehnung an das traditionelle koreanische Saiteninstrument Haegum, eine Art Geige mit zwei Saiten – Hauptsache, einheimisch. Zwischen 2000 und 2008 beherbergt es viele Gäste aus dem Süden. Auch als neutraler Ort für Zusammenkünfte von Familien, die seit der Teilung des Landes nach dem Koreakrieg getrennt leben, spielt es bald eine wichtige Rolle. Es wird zu einem Symbol für die diplomatischen Beziehungen, die zwischen Nord- und Südkorea aufkeimen, und zu einem Wahrzeichen der Ferienregion Kŭmgang-san.

Im Juli 2008 aber kommt es zu einer Katastrophe: Die Urlauberin Park Wang-ja aus Südkorea wird von einem nordkoreanischen Soldaten erschossen. Offizielle Begründung: Bei einer Wanderung sei sie in eine militärische Sperrzone eingedrungen. Alle Touristenreisen werden eingestellt. Das schwimmende Hotel verwaist und beginnt Rost anzusetzen.

Doug Tarca erlebt den Niedergang seines Traumschlosses nicht mehr. Er ist 1993 gestorben, seine Asche wurde im Meer verstreut, über dem Great Barrier Reef, wo das Hotel in besseren Zeiten vor Anker lag. Insgesamt 14.000 Kilometer hat sein Hotel im Lauf einer wechselhaften Karriere auf See zurückgelegt. Es war Taucherparadies, Öko-Utopie, Hotspot für Nachtschwärmer, Symbol der Diplomatie – und ein echtes Pionierprojekt.

Nordkorea will den Fremdenverkehr in der ehemaligen Sondertourismuszone Kŭmgang-san wieder aufnehmen – ohne Partnerschaft mit Südkorea. Im Oktober 2019 kündigt Staatsoberhaupt Kim Jong-un an, dass alle mit ausländischer Hilfe errichteten Unterkünfte abgerissen werden sollen. Doug Tarcas Traumschloss bezeichnet er als "schäbig" und "unansehnlich". 2022 lässt er das erste schwimmende Hotel der Welt verschrotten. (Till Hein, RONDO, 12.5.2023)