Norman Manea puppte sich nach seinem Studium in einen Kokon von Büchern und Bibliotheken ein.

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Annähernd 30 Jahre lang waren Norman Manea und Philip Roth miteinander befreundet. Und fast ebenso lang plädierte der amerikanische Romancier, der 1933 in Newark, New Jersey, zur Welt kam und schon mit Ende 20 für literarisches Aufsehen sorgte, dafür, dem um drei Jahre Jüngeren aus Burdujeni im Nordosten Rumäniens den Nobelpreis für Literatur zuzusprechen. Vergeblich.

Norman Manea war schon früh alt. In einem seiner Bücher findet sich der Satz: "Im April 1945 war ich ein alter Mann, der gerade neun wurde." Und dann wurde er wiedergeboren. Er, der Jude, kam als Kind ins KZ. Verlor Vater und Mutter, hatte nur die jüngere Stiefschwester. Wurde befreit. Wuchs in Kinderheimen auf. War als Jugendlicher begeisterter Kommunist. Und bald schon enttäuscht.

Kokon aus Büchern

Der ausgebildete Ingenieur puppte sich nach seinem Studium in den Kokon von Büchern und Bibliotheken ein. Ab 1974 lebte er als freier Autor in Bukarest. Und verließ freiwillig-unwillig 1986 Rumänien. Er sprach ein wenig Deutsch, etwas Schulfranzösisch, kein Wort Englisch. Und ließ sich schließlich in den Vereinigten Staaten nieder, im Sprachexil.

Kurz hatte er sich mit einem Stipendium in West-Berlin über Wasser gehalten. In den USA erhielt er 1989 eine Dozentur, dann eine Professur am Bard College, einer idyllisch am Hudson River gelegenen Hochschule im Nordosten des Bundesstaats New York. Er schrieb weiterhin auf Rumänisch, mit überschaubarer, zugeneigter Leserschaft. Und stets mit hohem Anspruch.

Lebensthemen

Das Exil ist Maneas Thema, ist sein Lebensthema. Das Leben ist für ihn synonym mit Exil. Das betont bereits der allererste Satz von Der Schatten im Exil: "Das Exil beginnt mit dem Verlassen der Gebärmutter." 2012 sagte er in einem Interview: "Wenn man ins Exil geht, verliert man fast alles, aber was man in den Regalen in einer Bibliothek sieht, sind die Autoren, die man geliebt hat im alten Land." Und er meinte über die Erfahrung des Exils, dieses sei "nicht das Unbekannte ringsum, es ist auch das Unbekannte in uns selbst".

So kunstvoll, so anspruchsvoll und gebildet fordernd schreibt Manea, kunstvoller, intelligenter und lebensstoffreicher als halb so Alte. Roman-Collage lautet der Untertitel, Umbra exilată der Titel des rumänischen Originalbands, der 2021 in Iași/Rumänien erschien und nun von Ernest Wichner gut ins Deutsche übertragen worden ist.

Exil, Fremde, Schatten, Brüche, Abbrüche, mit all diesem hantiert Manea hochartistisch. Dabei ironisch. Und selbstironisch. Und hochliterarisch – das ganze Buch ist im Grunde ein Wirbelwind der Anspielungen, der Verfremdungen, des Spiels mit Literatur, auch österreichischer Literatur. So wenn die Hauptfigur seine Schwester "Agathe" nennt und die Konstellation aus Musils Der Mann ohne Eigenschaften nachempfindet, nachschreibt. Dazu und daneben, als kluge Anschlussergänzungen, zitiert Manea wissenschaftliche Aufsätze über Exil und Fremde, den Lyriker Eugenio Montale und Chamissos Peter Schlemihl, zentraler Identifikationspunkt des Buches.

Norman Manea, "Der Schatten im Exil. Roman-Collage". Übersetzt von Ernest Wichner. € 28,80 / 320 Seiten. Carl-Hanser-Verlag, München 2023.
Hanser

Unsterblichkeit

Wie so oft bei Manea, dem heute 87-Jährigen, ist es ein melancholisches, dabei ein unterhaltsam irisierendes Spiel mit vielen autobiografischen Kaleidoskopeinsprengseln, die er hier ins Groteske verzerrt, dort mit großer Einfühlsamkeit nachtupft. Eigentlich müsste sich das Nobelkomitee der Schwedischen Akademie zu Stockholm, zuständig für den Nobelpreis für Literatur, heuer nach den Ausreißern Louise Glück und Abdulrazak Gurnah für literarisch Ambitioniertes entscheiden – und den Preis niemand anderem als Norman Manea zusprechen. An der Zeit wäre es; außerdem ging diese Auszeichnung bisher noch kein einziges Mal nach Rumänien.

In seinem berührenden Nachruf auf den Freund Philip Roth, der nach längerer Krankheit im Mai 2018 starb, führte Norman Manea eine Passage aus dessen Roman Exit Ghost an: "Wer von Ihren Zeitgenossen wird nicht nur dem Tod entgehen, sondern auch mit Witz, Genauigkeit und Bescheidenheit über seine amüsierte Verblüffung angesichts der erreichten Unsterblichkeit schreiben?" Ja, wer? Norman Manea. Unter Garantie. (Alexander Kluy, 14.5.2023)