Ein jugendfreier Ausschnitt des beschütteten und kontroversen Werks "Fuck Abstraction!".
Foto: IMAGO / IP3press / Bruno Levesque

Paris – Vor wenigen Tagen wurde das Gemälde Fuck Abstraction! der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn mit violetter Farbe beschüttet. Täter war ein 81-jähriger ehemaliger Front-National-Politiker. Aktuell befindet sich das Bild in der Pariser Ausstellung Ma pensée sérielle (dt.: Mein serieller Gedanke) im Palais de Tokyo, in der insgesamt 200 Werke von Cahn gezeigt werden, und ist seit Wochen Zentrum heftiger Diskussionen.

Diese führten sogar so weit, dass Ende März von einem Pariser Verwaltungsgericht darüber entschieden werden musste, ob das Bild abgehängt werden soll. Sechs französische Kinderschutzorganisationen hatten die Malerin verklagt, da sie darin eine verherrlichende Darstellung von Kindesmissbrauch erkannten. Das Gericht entschied, das Bild dürfe in der Ausstellung hängen bleiben.

Fuck Abstraction! zeigt insgesamt drei nackte, gesichtslose Gestalten: einen großen, muskulösen Mann, der den Kopf einer vor ihm knienden, gefesselten Figur an seinen erigierten Penis drückt – und sie offensichtlich zum Oralsex zwingt. Mit der anderen Hand stützt er sich auf eine weitere Person am Boden. Der Hintergrund besteht lediglich aus verschwommenen Farbflächen, die an eine Landschaft erinnern.

Angriff auf Kunstfreiheit

Diese Szene sexueller Gewalt wurde anscheinend aufgrund der unterschiedlichen Körpergrößen der gezeigten Personen seitens Kinderschutzorganisationen als Fellatio zwischen Erwachsenem und Kind kritisiert. Das Gericht urteilte, dass das Bild missverstanden wurde. Der dargestellte Größenunterschied illustriert ein ungleiches Machtverhältnis und macht auf sexuelle Gräueltaten als Kriegsverbrechen aufmerksam. In der Pariser Ausstellung verweist eine Infotafel auf den Kontext des Werks, das Cahn in Reaktion auf derartige Verbrechen im anhaltenden Ukrainekrieg schuf.

Frankreichs Präsident Macron reagierte auf Twitter: "An diesem 8. Mai, wenn wir den Sieg der Freiheit feiern, verurteile ich den gestrigen Akt des Vandalismus im Palais de Tokyo. Ein Werk anzugreifen bedeutet, unsere Werte anzugreifen. In Frankreich ist die Kunst immer frei und die Achtung des kulturellen Schaffens garantiert."

Das Palais de Tokyo reagierte auf die Vorwürfe und bekräftigte, dass das Werk eine Reaktion auf reale Gräueltaten im Ausland sei und keinen pädokriminellen Akt darstelle. Auf Twitter verurteilte sogar der französische Präsident Emmanuel Macron die Farbaktion gegen das Gemälde als Angriff auf die Werte seines Landes. "In Frankreich ist die Kunst immer frei und die Achtung des kulturellen Schaffens garantiert", schrieb er.

Die 73-jährige Malerin aus Basel gilt als einer der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart. Sie ist bekannt für ihre polemische, direkte Art sowie ihre politischen Gemälde, die Gewalt, Sex, Krieg und Folter darstellen. Hinter dem Protest gegen ihr Werk vermutet die Künstlerin Rechtspopulisten, deren Absichten überall dieselben seien, sagte sie der NZZ. Es würde ihnen nicht um das einzelne Bild gehen, sondern um einen Angriff auf Kunsteinrichtungen und deren Legitimation. (Katharina Rustler, 12.5.2023)