Dieser Text ist Teil eines RONDO-Design-Schwerpunkts zum Thema "Die kleinen Wahrzeichen Wiens".

Foto: Katharina Gossow
Grafikdesigner Erwin K. Bauer findet die Schriftart der Wiener Straßenschilder "wunderbar gelungen".
Foto: Katharina Gossow

"Die klassische Hausnummer existiert in Wien erst seit dem Jahr 1862. Im Mittelalter wurde mit Häuserzeichen und Häusernamen gearbeitet, zum Beispiel ‚Stiftungshaus zur blauen Lilie‘ oder ‚Zum weißen Löwen‘. Unter Kaiserin Maria Theresia kamen die Konskriptionsnummern. Die gestalteten sich allerdings noch recht unsystematisch. Jedes Haus bekam eine Nummer, eine innen und eine außen. Diese kann man zum Teil heute noch sehen.

Mitte des 19. Jahrhunderts tauchten dann die für Wien ganz speziellen Zinkschilder auf, beschriftet mit einer schwarzen Frakturschrift auf weißem Grund. Im ersten Bezirk waren sie rot eingerahmt, im zweiten violett und im dritten grün et cetera. Anhand dieser Schilder konnte man die Bezirke unterscheiden, aber auch verschiedene Straßentypen, das heißt, ob sie zum Beispiel tangential oder radial zum Zentrum liefen. Insgesamt wurden 12.000 solche Tafeln gefertigt.

Anfang des 20. Jahrhunderts suchte man nach einer Vereinfachung des Schilderwirrwarrs. Anstatt der teuren Zinkschilder, die auch immer wieder gestohlen wurden, führte man die klassischen, einheitlicheren blauen Straßenschilder aus Emaille ein, die heute noch zum Beispiel von Riess Emaille gefertigt werden.

Für die einheitlich blauen Wiener Straßenschilder aus Emaille wird die Schriftart "Lapidar" verwendet.

Wer die Schrift gestaltet hat, weiß man nicht, anonymes Design sozusagen. Der Schrifttypus ist nicht einfach zu klassifizieren, es handelt sich um eine sehr eigenständige Schrift mit starkem Charakter. Am ehesten entspricht sie einer serifenbetonten Antiqua, wobei sie über die Stadt verteilt in leicht voneinander abweichenden Versionen auftaucht. In einem Gemeinderatsbeschluss von 1923 nannte man die Schriftart ‚Lapidar‘. Das taugt mir, das passt zu ihrem Zweck. Ich empfinde sie als positiv und ausdrucksstark, irgendwie auch gemütlich, unterm Strich jedenfalls wunderbar gelungen. Als spannend erachte ich auch das Blau der Schilder. Die starke Farbe steht für einen guten Akzent im Stadtbild. Das Weiß strahlt richtiggehend auf diesem Untergrund und fördert die Lesbarkeit. Dadurch ist die Gestaltung tadellos barrierefrei, dabei muss man bedenken, dass solche Entwurfsprozesse im Gegensatz zu heute eher intuitiv vor sich gingen.

Man erkennt Städte stark an ihrer öffentlichen Ausstattung, dazu gehören eben auch Schriften. In Graz zum Beispiel herrscht eine schlanke, elegante handgezeichnete Antiqua auf grünen Schildern vor, die für einen ganz anderen Charakter steht. In London ist die Farbe Rot sehr prägend.

Details studieren

Ich nehme solche Dinge allein schon des Berufs wegen intensiv wahr. Wir haben zum Beispiel mit unserem Büro gerade erst ein Fußgängerleitsystem umgesetzt. Ich besitze auch eine Sammlung solcher Schilder und studiere die Details ganz genau.

Für mich ist das Zusammenspiel von Architektur, den Zwischenräumen und kleineren Elementen der Stadtmöblierung entscheidend, wenn es um die Beurteilung eines Stadtbilds geht. Ich finde in Wien die gründerzeitliche Blockbebauung, die der Stadt ihre Struktur verleiht und dem urbanen Raum eine sehr gute Benutzbarkeit gibt, gelungen. Sagen wir, die Stadt drängt sich nicht auf und funktioniert mit einer gewissen Selbstverständlichkeit.

Auch die öffentliche Möblierung passt im Großen und Ganzen. Ein bisschen kurios erscheint mir, dass es Phasen gab, in denen gewisse Entscheidungsträger versucht haben, die Stadt wieder in die alte Zeit zurückzubauen. Auf einmal tauchten da und dort historische Straßenlaternen auf. Ich plädiere schon dafür, den Mut zu haben, neue Dinge auszuprobieren." (Aufgezeichnet von: Michael Hausenblas, 23.5.2023)