So sieht er aus, der Klassiker. Heuer gibt es die 501 seit 150 Jahren.
Foto: Levi’s

Vor kurzem ist die berühmte Essayistin und scharfzüngige Autorin Fran Lebowitz – zuletzt war sie in der Netflix-Serie Pretend It’s a Cityzu sehen – in Berlin aufgetreten. Bekannt ist sie auch für ihren ikonischen Stil. Man sieht sie immer in Blazer, Jeans und Cowboystiefeln. Welche Jeans, habe ich sie nach dem Auftritt gefragt. Ihre Antwort war kurz und prägnant: "Levi’s 501."

Schon Marlon Brando hat Hosen von Levi Strauss getragen. Bruce Springsteen hat sie auf dem Cover von Born in the U.S.A. an, deutlich zu sehen das genähte Bogenmuster und das rote Etikett, ein einziges Product-Placement am Hintern. Dazu T-Shirt und Baseballkapperl, amerikanischer geht’s nicht. Cowboys haben für Wrangler geworben, "regular guys" für Lee. Und das sind nur die alteingeführten Jeansmarken, von Ronaldo und Beckham für Armani, J. Lo für Guess oder Dua Lipa für Pepe Jeans gar nicht zu reden. Eine Mischung aus Westerngefühl und urbanem Chic, Mode und Antimode, Alltag und Abenteuer transportieren sie alle und machen aus dem simplen Kleidungsstück einen ewigen Verkaufserfolg, von billigster (und meist sklavenhaft produzierter) Massenware bis zu teurem (und auch nicht besser produziertem) Statusstatement.

Bluejeans sind heute allgegenwärtig. Kaum vorzustellen, dass sie vor zwei Generationen in unseren Breiten niemand getragen hat außer die sogenannten Halbstarken. Die sahen sie an Marlon Brando und Elvis Presley, in Westernfilmen und an amerikanischen Soldaten in Zivil. "Drüben" waren sie offenbar üblich. Aber seit wann gibt es sie?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Ich habe den Podcast Patented gefragt, und da bekommt man von der Firma Levi Strauss in San Francisco ein genaues Datum. Der Tuchhändler Löb Strauß, aus dem bayerischen Buttenheim in die USA ausgewandert, hatte ab Mitte des 19. Jahrhunderts an Jacob Davis, einen Schneider in Reno, Nevada, Stoffballen für Arbeitsoveralls geliefert. Der hatte die Idee, die Nähte an Belastungsstellen mit Nieten zu verstärken. Gemeinsam meldeten sie vor 150 Jahren, am 20. Mai 1873, diese Idee zum Patent an. Seither feiern die Nachfolger den Tag als Geburtstag der Jeans.

Knöpfe statt Reißverschluss

Auf Nieten mussten die Konkurrenten wegen des Patents lange Zeit verzichten. Sie behalfen sich mit anderen Verstärkungen und bedienten den wachsenden Markt an Arbeitern, Bauern, Goldgräbern und Viehhirten. Doch Levi Strauss & Co. hatte einen Vorsprung und eine weitere gute Idee. Das Unternehmen machte die Modellnummer 501 einer seiner Hosen zur Vorzeigezahl. Obwohl andere Hersteller zunächst erfolgreicher im Geschäft waren – Lee überregional und nicht nur an der Westküste und Wrangler unter anderem als Sponsor von Rodeos –, hielt Levi Strauss beharrlich am Image der "Five-O-Ones" fest: Knöpfe statt Reißverschluss, klassische Passform, lange Zeit ein relativ schwerer Denimstoff. Dazu hintendran der Lederfleck mit einer Zeichnung von zwei Pferden, die es nicht schaffen, die Hose zu zerreißen, und ein sehr altmodisch gestalteter Zettel, auf dem von Authentizität und Medaillengewinnen die Rede ist.

In der aktuellen Kampagne wird die Levi’s begraben. Den Witz kann sich das Unternehmen nur erlauben, weil es noch immer gefragt ist.
Foto: Levi’s

Das Unternehmen hat längst auch andere Kleidung in allen möglichen Farben im Sortiment, aber die Ur-Jeans blieben nicht nur, sie wurden ab den 1970ern immer beliebter, sie wurden schick. Die Zeit war sowieso reif für informellere Kleidung, und das Marketing half kräftig mit. Die Stilfibel Quintessence von 1983 empfahl Levi’s 501 als Grundausstattung von urbanen Cowboys und Yuppies, ebenso zehn Jahre später das Buch Chic Simple Outfit und 2014 sogar die Herrenmode-Fibel Der Gentleman von Bernhard Roetzel.

Levi’s TV-Spots erzählten freche, nostalgische, erotische Kurzgeschichten, auf Youtube sind sie alle zu sehen. Die Songs dazu, meist aus den Fifties und Sixties wie C’mon Everybody von Eddie Cochran, Be My Baby von den Ronettes oder When a Man Loves a Woman von Percy Sledge, wurden plötzlich wieder populär. What a Wonderful World von Sam Cooke schaffte es auf diese Weise nach 26 Jahren erneut in die britische Hitparade – auf Platz zwei! Levi’s waren, hier passt das oft missbrauchte Wort, Kult. Steve Jobs trug bei seinen legendären Bühnenauftritten immer das Gleiche, einen schwarzen Rollkragenpullover von Miyake und Levi’s 501s Classic Fits. Es war der Inbegriff von Cool, das textile Pendant zum Apple-Design. Die wachsende Beliebtheit von Bluejeans hatte zwei sehr unterschiedliche Reaktionen zur Folge: die der Modeindustrie und die der Puristen. Bleiben wir bei den Ersteren. Was Levi Strauss & Co. kann, können wir auch, dachten sich Gloria Vanderbilt und Calvin Klein und schufen in den Siebzigern die ersten Designerjeans. Zu designen gab es nicht viel, da ein etwas anderes Etikett, dort eine schrägere Naht, ein paar Strasssteine, ein paar Nieten mehr, der Rest war Werbung. Auch italienische Modemacher erkannten ihre Chance. Diesel war von Anfang an dabei, auch Jesus Jeans (Slogan: "Du sollst keine anderen Jeans neben mir haben"), später Replay und viele andere.

Dann kamen die großen Modekonzerne und entdeckten Streetwear für kaufwütige Fashionistas mit zu viel Geld als Marktlücke. Ihnen bietet etwa Balenciaga, einst eine erste Adresse der Haute Couture und Vorbild für Dior und Chanel, heute im Portfolio des Luxuskonzerns Kering, zerfetzte "Destroyed Jeans" um 5000 Dollar an. Von Gucci, im selben Portfolio, sind gebrauchte Jeans mit Stoffmustern an den Hosenbeinen um 9300 Euro erhältlich. Und nach oben gibt es sowieso keine Grenze. Secret Circus hat vor einigen Jahren ein Paar verkauft, mit Diamanten statt Etiketten am Popo, um 1,3 Millionen Dollar.

Alte Webstühle

Genug davon. Die Puristen unter den Jeansfreunden haben sich einem ganz anderen Ziel verschrieben. Sie suchen sozusagen den wahren Stoff unter den vielen Schichten von Veränderungen und Kinkerlitzchen – ganz wörtlich. Es ist nämlich so, dass es klassisches Denim kaum mehr gibt, weil die allermeisten traditionellen Webstühle, die mit Schiffchen arbeiteten und damit eine gewisse Unregelmäßigkeit und zugleich eine hohe Stoffqualität erzeugten, ausgedient haben. Auch Levi Strauss lässt schon lange auf schnellen modernen Maschinen erzeugen (und seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr in den USA).

Aber einige alte Webstühle gibt es noch, vor allem in Japan. Dort, schwärmen Denim-Fans, arbeite man mit einem Sinn für Perfektion und Detailtreue. Die Baumwolle kommt aus ganz bestimmten Regionen, und wenn japanische Unternehmen wie Sugar Cane, Full Count oder Momotaro Bluejeans fertigen, dann genau nach den Schnittmustern, die sie in Archiven recherchiert haben. "Das sieht nicht nur aus wie früher", sagt Fardin Sefidpar, "das ist wie früher!" Er ist ein begeisterter Kenner der Materie und führt den Laden Whitefeather in der Wiener Lerchenfelder Straße, wo er einem ein Gespür für die feinen Stoffunterschiede beibringt. Vielleicht ein Modell aus den Zwanzigerjahren, als es noch Knöpfe für die Hosenträger gab, oder gar eines wie vor 150 Jahren, obwohl wir doch gewöhnliche Großstädter sind und keine Goldgräber? Es sind "nur" Jeans, aber von einer Qualität, wie wir sie in der sogenannten gehobenen Konfektion oft vermissen.

Traditionelle Webstühle stehen auch in Norditalien und in der Türkei. Ein Unternehmen, das dort erzeugtes Denim zu Vintagejeans verarbeitet und unter anderem über Manufactum vertreibt, ist Pike Brothers mit Sitz in Bad Feilnbach in Bayern. Womit wir wieder bei den Anfängen wären. (Michael Freund, 20.5.2023)