Dieser Text ist Teil eines RONDO-Design-Schwerpunkts zum Thema "Die kleinen Wahrzeichen Wiens".

Teil 1: Designer Tino Valentinitsch: "Die Würfeluhr ist frühes Social Design"

Foto: Katharina Gossow

"Ich nehme diese ganz speziellen Personenwaagen in Wien schon immer wieder wahr. Vor allem an der Ringstraße. Ich finde sie schön, und man sollte sich auf jeden Fall um ihren Erhalt bemühen, auch wenn es heute unzählige andere und naheliegendere Möglichkeiten gibt, sein Gewicht in Erfahrung zu bringen. Manche glauben, dass es diese Waagen gar nicht mehr gibt. Dabei sind sie eine Augenweide, und sie erinnern auch an die Zeiten, als die Menschen noch keine Waagen zu Hause hatten und in die Apotheke gehen mussten, um ihr Gewicht zu kontrollieren. Angeblich konnte man im Jahr 1888 im Prater aus Anlass einer großen ‚Jubiläums-Gewerbeausstellung‘ zum ersten Mal Waagen mit Münzeinwurf ausprobieren.

Man sollte sich um den Erhalt der Personenwaagen auf den Straßen Wiens bemühen, findet Schriftstellerin Sabine Gruber.
Foto: Katharina Gosswo

Als ich für das Foto bei dieser Waage war, tauchte ein englischsprechendes Touristenpaar auf. Es hatte keine Münzen dabei, also habe ich dem Mann, der sich unbedingt wiegen wollte, die nötigen 20 Cent geschenkt. Der hat sich dann tatsächlich draufgestellt – seine Frau nicht. Nein, ich habe nicht geschaut, wie viel er wog.

Als ich auf der Waage draufgestanden bin, sind mir sofort die Waagen meiner Kindheit in Italien eingefallen. Die sind meines Wissens mittlerweile verschwunden. Das Besondere an ihnen waren kleine Kartonkärtchen, die die Waagen ausgespuckt haben. Auf diesen war das Gewicht eingestanzt, das uns als Kinder natürlich überhaupt nicht interessiert hat. Uns ging es um die Kärtchen, denn darauf waren verschiedenste Tiere abgebildet, darunter stand der lateinische Name. Diese Minikärtchen wurden richtiggehend gesammelt, wie später dann die Fußballerbildchen. Man konnte sich außerdem aus bestimmen Waagen die "numeri della fortuna" ziehen und dann im Lotto setzen. Ob die Zahl des Gewichts auch zu den Glückszahlen gezählt wurde, weiß ich nicht.

Ich werde in Zukunft bestimmt auch in anderen Städten vermehrt darauf achten, ob es noch Waagen im öffentlichen Raum gibt und, wenn ja, wo diese aufgestellt sind.

Es existiert übrigens ein Buch mit dem Titel ‚Wiener Waagen‘ mit Texten von Friederike Mayröcker, Gerhard Rühm, Antonio Fian und anderen.

Mir sind die kleinen Wahrzeichen von Städten sehr wichtig, da sehe ich durchaus einen Zusammenhang mit besonderen Gegenständen oder Möbelstücken in einer Wohnung. Die Waagen sind formschön, Erinnerungsspeicher, vielleicht auch durch ihr bloßes Vorhandensein eine Aufforderung, Maß zu halten in dieser maßlosen Zeit.

Faible für Kanaldeckel

Man bewegt sich durch eine Stadt und findet immer wieder öffentliches Mobiliar, so kann ich mich zum Beispiel über schlecht gestaltete, unbequeme Bänke ärgern. Auch für die Glas- und Plastikentsorgung hat Wien bisher keine guten Lösungen gefunden; dort, wo die grünen und grauen Container herumstehen, verstellen sie Plätze und sogenannte Begegnungszonen.

Es gibt in Wien natürlich ganz wunderbare historische Teile. Ich mag die alten, robusten Donaukanalgeländer von Otto Wagner. Teilweise gibt es sie auch noch auf den Donaukanalbrücken. Die könnte man ja leicht modernisieren und weitermodifizieren, aber es ist schon klar, dass alte Designs in den neu erbauten Stadtteilen wie etwa in der Seestadt Aspern nichts verloren haben.

Ich habe mich immer schon für Stadtschriften und Schilder, aber besonders für Bodenbeläge und Kanaldeckel interessiert, quasi für die Kunst unter den Füßen. In Rom ist auf den Kanaldeckeln und den alten Abfallbehältern noch immer die Abkürzung S.P.Q.R., also Senatus Populusque Romanus, zu lesen. Man war einmal stolz auf die republikanische Staatsform.

Für meinen neuen Roman habe ich letztes Jahr noch einmal Mussolinis Retortenstädte südlich von Rom besucht. In Sabaudia, Latina und so weiter sind die Liktorenbündel als Symbole der faschistischen Amtsgewalt nie von den Kanaldeckeln verschwunden. Wenn man lange genug wartet, wird das Alte manchmal leider wieder erschreckend aktuell." (Aufgezeichnet von: Michael Hausenblas, 19.5.2023)