Dieser Text ist Teil eines RONDO-Design-Schwerpunkts zum Thema "Die kleinen Wahrzeichen Wiens".

Foto: Katharina Gossow
Designer Tino Valentinitsch ist enttäuscht, wenn er auf einem großen Platz in Wien keine Würfeluhr vorfindet.
Foto: Katharina Gossow

"Als Wiener bin ich mit den Würfeluhren aufgewachsen. Wie soll ich sagen, ihr Auftauchen im Stadtbild empfand ich zeit meines Lebens als selbstverständlich. Sie sind ein fixer Bestandteil der Stadt. Obwohl ich schon in sehr jungen Jahren Armbanduhren getragen habe, waren die Würfel immer hilfreich. Man schaute durch die Gegend, und irgendeine würde schon irgendwo auftauchen. Stehe ich an einem größeren Platz und erblicke keine von ihnen, empfinde ich das als Enttäuschung. Erst neulich erging es mir so, als ich einen Würstelstand am Rochusmarkt aufsuchte. Das kommt immer wieder vor. Der Höchststand an Würfeluhren war übrigens 1980 mit 78 Stück erreicht. Mittlerweile sind es noch um die 70, soweit ich weiß.

Funkfernsteuerung

Die erste Würfeluhr wurde im Jahr 1907 an der Ecke Opernring und Kärntner Straße installiert. Man muss sich vorstellen, dass die mitteleuropäische Zeit in Wien erst 1910 eingeführt wurde und frühere mechanische Uhren noch regelmäßig gestellt werden mussten. Dabei halfen akustische Signale und Lichtstrahlen, die um zwölf Uhr mittags Bescheid gaben, dass es eben zwölf war. Vor der Urania wurde gar eine Kanone zum sogenannten Mittagsschuss abgegeben. Die Würfeluhren waren ihrer Zeit voraus. Sie wurden bereits elektrisch betrieben, zunächst erfolgte ihre Einstellung über ein Leitungsnetz der Wiener Feuerwehr, dann über eine Funkfernsteuerung und schon seit längerem über ein GPS-Signal. Eine Zeitlang wollte man sie abschaffen, aber 2007 stieg dann ein Versicherungsunternehmen als Sponsor ein. Ein Segen.

Die Wiener Würfeluhr fürs Handgelenk.

Eigentlich könnte man die Würfeluhr als sehr frühes Beispiel für Social Design bezeichnen. Sie war für alle zugänglich, schuf eine Art demokratisierte Zeit und war einzig und allein der Funktion verpflichtet. Somit verknüpft sie auch so manche Gedanken aus der Bauhaus-Bewegung. Auch aufgrund ihrer Beleuchtung kann man sie ruhig als kleine technische Revolution bezeichnen. Ihr Design ist weiters auf optimale Fernwirkung und Lesbarkeit aufgebaut. Dazu trug neben der lanzenförmigen Gestaltung der Zeiger auch bei, dass sie weder römische noch arabische Ziffern aufwies, sondern sehr abstrakt herüberkam. Heute sind die Zeiger wieder ganz gerade.

Treffpunkt für Verabredungen

Mir gefällt an der Würfeluhr auch die Tatsache, dass sich ihre Standorte ganz wunderbar als Treffpunkte für Verabredungen eignen. Ein exakt definierter Ort, an dem man sich mit Freunden trifft, um etwas gemeinsam zu unternehmen. Die Würfeluhr markiert einen Punkt in der Stadtlandschaft, wie eine Stecknadel im Stadtplan.

Ich frage mich, wie ein moderner Treffpunkt aussehen könnte, vielleicht wäre dies eine Würfeluhr mit integriertem Free WLAN und Handyladestation, betrieben und geschützt durch einen kleinen Solarschirm, falls es regnen sollte und man, so wie ich, immer zu spät kommt.

Ach ja, und noch eine Info für alle, die nicht in Wien leben: Die Würfeluhr gibt es, wenn auch deutlich kleiner und flacher, seit einigen Jahren als Armbanduhr. Ich finde das wunderbar, da diese kleine Schwester zu einer Bewusstmachung des Selbstverständlichen führt. Das Original misst übrigens circa 1,2 Meter." (Aufgezeichnet von: Michael Hausenblas, 18.5.2023)