Wolfgang Freitag
Foto: privat

Wolfgang Freitag spürt in seinem Buch "Nur in Wien" dem Urbanen nach. Im Kleinen, nicht im Großen. Ihm geht es nicht um Sehenswürdigkeiten und Gebäude. Im Fokus seines Interesses stehen Dinge, die oft benützt und dennoch meistens übersehen werden. In ihnen bzw. ihrer Summe erkennt Freitag etwas Identitätsstiftendes.

STANDARD: Gab es für Ihr Buch eine Initialzündung? Vielleicht eine besondere Begegnung mit einem Hydranten?

Freitag: Sie werden es nicht glauben, aber Ihr Kollege, der Architekturkritiker Wojciech Czaja, legte den Grundstein mit seinen "Almost"-Fotos. Auf denen zeigt er Häuser und Orte in Wien, die auf der ganzen Welt von Rio bis Baku stehen könnten. Ich dachte mir, warum nicht ein Buch machen über Dinge, die einem nur in Wien unterkommen. Dabei ging es mir nicht um die klassischen Sehenswürdigkeiten.

STANDARD: Welches Objekt ist Ihnen denn besonders ans Herz gewachsen?

Das ist eine heikle Frage. Man liebt ja immer das Kind besonders, mit dem man sich gerade beschäftigt. Aber die Straßenschilder sind schon so etwas wie Favourites.

STANDARD: Auch wenn die Dinge in Ihrem Buch äußerst verschiedene Funktionen erfüllen – gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner? Einen, der etwas über Wien aussagt?

Otto Wagners Geländer am Donaukanal
Foto: Wolfgang Freitag

Freitag: So grosso modo gibt es den nicht, weil innerhalb der einzelnen Gruppen von Objekten verschiedene Philosophien zum Ausdruck kommen. Während zum Beispiel bei den Hydranten ein sehr diszipliniertes Repertoire vorherrscht, sieht man in Sachen Bänke und Sitzgelegenheiten ein großes Durcheinander, einen richtiggehenden Wildwuchs. Da ist mir zum Teil die Vielfalt zu groß, in der auch diverse dysfunktionale und grauenvolle Exemplare auftauchen. Vor allem in neueren Parkanlagen.

STANDARD: Viele Objekte, die in Ihrem Buch auftauchen, werden im Alltag kaum bewusst wahrgenommen. Eigentlich schade, oder?

Freitag: Sagen wir es so, auch ich habe mich mit vielen dieser Dinge erst im Rahmen meines Buches beschäftigt. Einerseits haben mich natürlich die Geschichten schon interessiert, die hinter diesen Objekten stehen. Andererseits sollen die Objekte auch nicht so prominent sein, dass sie einem ständig ins Gesicht hüpfen. Da würde man ja wahnsinnig werden. Nehmen wir einen Mistkübel. Er muss da sein, muss gefunden werden, darf sich aber nicht in den Vordergrund drängen. Ein Mistkübel, den ich nicht finde, erfüllt keine Funktion.

Knotzmöbel Enzi von PPAG
Foto: Wolfgang Freitag

STANDARD: Er darf aber trotzdem gut aussehen.

Freitag: Er soll gut aussehen. In manchen Bereichen ist uns das Bewusstsein abhandengekommen, dass solche Zweckobjekte einfach auch schön sein können und, mehr noch, einfach auch sollen.

STANDARD: Welches ist das älteste Stadtmöbel im Buch und welches das jüngste?

Freitag: Ich vermute, das älteste noch in Funktion befindliche ist die Parkbank Schönbrunn, das jüngste definitiv die Straßenbeleuchtung vom Büro Podpod Design.

STANDARD: Gibt es etwas in der Stadt, das Sie vermissen? Etwas, von dem Sie sich fragen: Warum hat das eigentlich niemand designt?

Freitag: Da fallen mir die zu Tausenden in der Stadt verstreuten Elektrokästen ein. Da könnte man sich was überlegen.

STANDARD: Also Loos sollte auf gut Wienerisch "obakummen" und uns eine schöne Verkleidung für die Kästen entwerfen. So etwas in der Art?

Freitag: Ja, damit könnte ich gut leben.

STANDARD: Welche Zukunft sagen Sie der Stadtmöblierung voraus?

Freitag: Ich glaube nicht, dass sich grundsätzliche Dinge ändern werden, aber ich finde es sehr beruhigend, was sich in Wien in Sachen Straßenbeleuchtung getan hat und tut. Von der technischen Seite geschieht in diesem Bereich natürlich am meisten. Es soll ein Modulkonzept kommen, in dem man beliebige technische Neuerungen in immer denselben Laternenkörper einbauen kann.

Papierkorbentwurf von Luigi Blau
Foto: Wolfgang Freitag

STANDARD: Haben Sie einen Lieblingsort in Wien?

Freitag: Auch wenn es skurril klingen mag, einer meiner Lieblingsplätze in Wien ist der Zentralverschiebebahnhof Wien-Kledering im zehnten Bezirk. (Michael Hausenblas, RONDO, 22.5.2023)