Betroffen wäre unter anderem Whatsapp.

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Grundrechtsorganisationen und Datenschützer haben es derzeit nicht einfach. Trotz wiederholter Warnungen – unter anderem auch von österreichischen Kinderschützern – hält die EU-Kommission an ihrem Plan einer sogenannten Chatkontrolle fest. Im Namen des Kinderschutzes sollen Betreiber von Messengern wie Whatsapp, Telegram und Signal gesetzlich dazu verpflichtet werden, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu unterwandern, indem sie auf dem Smartphone ihrer Nutzerinnen und Nutzer nach Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder suchen. Eine Entwicklung, die die digitale Kommunikation von Millionen Menschen gefährden und sich sogar negativ auf den Kinderschutz auswirken könnte, befürchten Experten.

Diese Sorgen finden auch auf politischer Ebene immer häufiger Anklang – und haben die Justizministerinnen und Justizminister von Deutschland, Österreich, Liechtenstein, Luxemburg und der Schweiz am Freitag zu einer gemeinsamen Stellungnahme veranlasst, in der sie den aktuellen Gesetzesentwurf der EU-Kommission aufs Schärfste kritisieren.

Schutz vor anlassloser Überwachung

Dabei betonen sie, dass die Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet große Bedeutung habe. Es gelte, "von den Kindern großes Leid und Traumatisierungen abzuwenden". Ein entschiedenes Vorgehen bei der wirksamen Bekämpfung ebendieser sei deshalb essenziell.

Dem gegenüber stehe allerdings "der Schutz der Bevölkerung vor anlassloser Überwachung", der in liberalen Gesellschaften als hohes demokratisches Gut gelte. Der Verordnungsentwurf finde laut den Justizministerinnen und Justizministern nicht die richtige Balance, stattdessen bestehe sogar die Gefahr, dass er für den Kinderschutz kontraproduktiv sei.

Diese Einschätzung stützt sich auf zwei Gutachten des Juristischen Dienstes des EU-Rats und des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments. Ersterer habe in einer Stellungnahme vom 26. April festgehalten, dass die vorgesehene Regelung für den Scan interpersoneller Kommunikation das Recht auf Schutz des Privatlebens und privater Kommunikation antasten könnte. Sicher sei außerdem, dass "die vorgesehene Aufdeckungsanordnung aber nicht verhältnismäßig" sei. Eine Position, die auch der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments teile.

Nicht grundrechtskonform

"Aus unserer Sicht sind daher umfassende Änderungen an der Ausgestaltung der Aufdeckungsanordnung notwendig, um eine EU-Grundrechtskonformität zu erreichen", stellen die österreichische Justizministerin Alma Zadić, der deutsche Justizminister Marco Buschmann, die liechtensteinische Justizministerin Graziella Marok-Wachter, der luxemburgische Justizminister Sam Tanson und die schweizerische Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider klar. Auch deshalb, weil die Gutachten eine begrenzte Wirksamkeit des Vorschlags prognostizieren würden.

Geplant ist nicht nur die Erkennung bereits bekannter Missbrauchsdarstellung. Auch neue, unbekannte Darstellungen von sexualisierter Gewalt an Kindern und Cybergrooming sollen aufgespürt werden. Bestehende Technologien zur Erkennung ebendieser seien laut der Stellungnahme aber noch so ungenau, dass es "zu einem Anstieg der fälschlich gemeldeten Inhalte ('false positives') und einem Rückgang der Treffsicherheit" kommen würde.

Suche auf dem Gerät

Die Sorge im Hinblick auf eine Unterwanderung verschlüsselter Kommunikation entspringt der Tatsache, dass die meisten Messenger ihre Chats mittlerweile Ende-zu-Ende-verschlüsseln. Während des Transportwegs sind die Inhalte dadurch nicht auslesbar. Erst wenn sie auf dem Gerät des Empfängers ankommen, können sie entschlüsselt werden. Deshalb müsste auch die Chatkontrolle dort ansetzen.

Die Suche nach bekanntem Material soll mittels sogenannter Hashes funktionieren. Dabei handelt es sich um eine Art digitale Fingerabdrücke bekannter Kindesmissbrauchsdarstellungen, mit denen Inhalte abgeglichen werden. Deutlich komplizierter – und dadurch ungenauer – ist die Erkennung von unbekanntem Material. Im Juni letzten Jahres tauchte ein interner Bericht der EU-Kommission auf, laut dem es große Probleme mit Ungenauigkeit gibt. Konkret liege die Genauigkeit von Grooming-Erkennungstechnologien bei 90 Prozent – was bei einer Million Nachrichten bereits 100.000 falsch positive Treffer bedeuten würde.

Sorge um die Kinder

Ob die Chatkontrolle trotz der immer lauter werdenden Kritik in der aktuellen Fassung umgesetzt wird, ist zwar noch offen, wird aber immer unwahrscheinlicher. Zuletzt kritisierten auch österreichische Kinderschützer den Verordnungsentwurf und hoben die Gefahren für Jugendliche hervor. Es drohe eine unverschuldete Kriminalisierung wegen verschickter Nacktbilder. (Mickey Manakas, 12.5.2023)