"Der Bergdoktor" ordiniert seit 2008 im Fernsehen und ist beliebter denn je.

Foto: Paul Bauer

Viele Fans pilgerten nach Scheffau, um den "Bergdoktor" zu feiern.

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Bergdoktor Hans Sigl war auch da.

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Bühne frei für den Bergdoktor.

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Nach Tirol zu fahren und keinen Berg zu sehen ist ein Kunststück. Noch dazu wenn man zum Wilden Kaiser fährt. Der Gebirgszug, der zu den nördlichen Kalkalpen gehört, ist gut 20 Kilometer lang und zählt mehr als 40 Gipfel. Bei Regen ist es aber durchaus möglich, dass sich ein Nebelvorhang bildet, der die schroffe Gesteinspracht verhängt. Ausgerechnet am "Bergdoktor-Fantag" kommt es wieder einmal zu so einer ungünstigen Witterungslage. Nichts von den Bergen der Region Wilder Kaiser ist zu sehen.

Allerdings weiß jeder, der hierher pilgert ohnehin um den Zauber der Natur rund um die Orte Going, Ellmau, Scheffau und Söll Bescheid. Hier ordiniert nämlich seit 2008 der Bergdoktor Martin Gruber. Er löst vor schönster Gebirgskulisse sommers wie winters knifflige Krankheitsfälle. Weil er ein Spitzenarzt ist. Und er verstrickt sich dabei parallel in Familien- und Liebesquerelen. Weil er halt auch ein Mensch ist. Und zwar einer, der Herz, Hirn und Trieb nicht immer ganz in Einklang bringt.

Das trau ich mich jetzt einmal so salopp formulieren, weil in den letzen drei Wochen bin ich ziemlich tief ins Bergdoktor-Universum eingetaucht. 16 Staffeln quergebingt, dazu Episodenguides und Fanseiten gelesen. Und ja – in der Intensität und Menge macht das leider ein bisschen was mit einem. Spätestens wenn dir Dr. Martin Gruber in Gestalt des Schauspielers Hans Sigl im Traum erscheint und deine Cholesterinwerte besprechen will, sollte pausiert werden. Für immer. Passiert das, kann man aber auch sicher sein, sich gut genug für den Bergdoktor-Fantag vorbereitet zu haben.

Ab in den Zoo

Der findet jedes Jahr im Mai abwechselnd in den Kaiser-Orten Going und Scheffau statt. Heuer ist Scheffau an der Reihe. 1.100 Tickets wurden für die Veranstaltung verkauft. Eine Bühnenshow mit den Stars der Serie ist angekündigt. Hans Sigl wird dort sein. Sein Filmbruder Heiko Ruprecht ebenso. Filmtochter Ronja Forcher ist auch dabei. Dazu stoßen noch Monika Baumgartner (Mutter) und Andrea Gerhard (Linn Kemper) mit Rebecca Immanuel (Dr. Fendrich). Was einen genau erwartet, wird aber im Vorfeld nicht verraten. Von Showtransplantation, Mund-zu-Mund-Beatmung bis Blutdruckmessen könnte also alles möglich sein.

Zu Weihachten waren jedenfalls bereits alle Karten weg, was jetzt die Behauptung nahelegt, dass es sich um Hardcore-Fans handelt, die sich hier auf dem Scheffauer Dorfplatz neben der neuen Volksschule versammelt haben. Geduldig, mit Regenponchos aus Mais wasserfest gemacht, warten sie, bis vorn unterm Bühnenpavillon die Show beginnt.

Die neue Volksschule, die im Vorjahr eröffnet wurde, ist übrigens das größte Bauprojekt in der Gemeindegeschichte Scheffaus. Sie dient während des Bergdoktor-Fantags als eine Art Backstagebereich zwischen den zwei Shows. Die Crew tritt nämlich einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag auf. Und falls sich wer fragt, ob die Schülerinnen und Schüler, die hier eigentlich lesen, schreiben und rechnen lernen sollten, stören – die sind heute gar nicht da, sondern wurden auf Schulausflug in den Innsbrucker Alpenzoo geschickt. Dafür ist das Rote Kreuz gut vertreten und hat in der Aula der Schule einen Erste-Hilfe-Bereich aufgebaut. Clever, denn wer 16 Staffeln Bergdoktor kennt, weiß: Hier am Wilden Kaiser hustet immer irgendjemand. Oder fällt um – oder ins Koma.

Tourismustreiber

Der Bergdoktor ist jedenfalls ein Publikumsmagnet. Aktuell wird gerade die 17. Staffel gedreht, denn die Einschaltquoten stimmen nach wie vor. Rund 20 Prozent Marktanteil haben die Episoden. Manchmal mehr, manchmal weniger. Was den Zauber der Serie genau ausmacht, erklären drei Damen in selbstgemachten Fan-T-Shirts mit der Aufschrift "Best Doctor Ever" recht elegant. Sie sind aus der Kleinstadt Diez in Rheinland-Pfalz angereist. "Wir schauen die Serie, weil uns die Landschaft so wahnsinnig gut gefällt", schwärmt das Trio, um dann noch einen draufzusetzen: "Außerdem geht immer alles gut aus."

Heile Welt und Berge also? Ist es das, was den Bergdoktor im Innersten zusammenhält? Wahrscheinlich. Auch wenn das Drehbuch einiges an Haken schlägt und immer wieder für schöne Brüche und Risse in der Bergseifenoper sorgt. Verantwortlich dafür ist (meistens) der deutsche Filmautor Philipp Roth. Er schreibt die Drehbücher. Jetzt wäre ein Gag in Anspielung auf seinen amerikanischen Namensvetter gefragt. Glücklicherweise fällt mir keiner ein. Wer lacht schon gerne über Prostatakrebs.

Ja, ich will

Für die Touristiker der Region ist die Serie jedenfalls seit 15 Jahren ein Segen. Sie lockt nicht nur um den Fantag im Mai Urlauber mitten in der Nebensaison in die Region. So gibt es auch im September ein eigenes "Bergdoktorfest" und man kann Drehorte wie den "Gruberhof", den Bauernhof, wo der Bergdoktor mit Mutter, Bruder und Tochter wohnt, oder die Praxis, in der sich der Herr Doktor auch regelmäßig einfindet, besuchen.

Wie sehr der Charme des Doktors ausstrahlt, sieht man am Publikum. Viele Gäste sind aus Deutschland angereist. Aber auch aus Portugal oder Spanien sind Fans vom "Doctor en los Alpes" da.

Sie alle bekommen jetzt Fragen rund um die Serie beantwortet. Vertragen sich die Brüder Martin und Hans (Heiko Ruprecht) endlich wieder? Wie geht es in der Beziehung zwischen Hans und Linn (Andrea Gerhard) weiter? Und: Wird endlich jemand heiraten?

Zumindest Letzteres kann gleich zweimal mit Ja beantwortet werden. Im Publikum befindet sich nämlich eine ganze Runde junger Frauen, die an diesem Nachmittag bereits sehr gut in ihren Polterabend hineingestartet ist. Sie werden später noch ein paar Fotos mit den Pappaufstellern der Familie Gruber schießen, die stimmungsvoll hinter Heuballen drapiert wurden.

Und auf der Bühne geht's auch ab. Da wird nämlich dem deutschen Hobbyfußballtrainer Ralfi, der eigentlich Ralf heißt, von seiner Freundin Netti, die eigentlich Jeanette heißt, ein Heiratsantrag gemacht. Hans Sigl überraschte und überrumpelte den Bräutigam, der nicht lange zögerte, als er gefragt wurde, ob er denn Jeanettes Mann werden wolle. Das Paar wird wohl wiederkommen.

Andere Fragen wiederum hätte man sich an diesem Nachmittag wohl so nie gestellt. Dann erzählen die Schauspieler auf der Bühne nämlich von ihren anderen Projekten, zeigen Urlaubsbilder aus Indien oder präsentieren, wie Ronja Forcher, eine nach ihr benannte Blume. Eine Begonie, die keinen Halbschatten braucht und direkt in die Sonne darf. Irgendwie wird man gerade Zeuge, wie unter dem Bühnenpavillon in Scheffau Kunstfiguren, Serienrollen und Persönlichkeit zu einem lustigen, absurden Unterhaltungsknäuel verschmelzen, das auch zweideutige Kalauer über Traktorengehänge und Melkmaschinen in sich aufnimmt. Was soll man da noch groß sagen? Das kann einem schon gefallen. Vor allem mit 16 Staffeln Bergdoktor im Schnelldurchlauf intus. (Manfred Gram, 12.5.2023)