Vom Showroom in Mailand zur Auktion nach Wien: Lucio Fontanas "Concetto Spaziale" (1956) und eine Keramikskulptur (1958) des neuerdings stark gefragten Bildhauers Leoncillo Leonardi.
Foto: Dorotheum

Das ABC der Avantgarde

Mit Werken von Alighiero Boetti, Leoncillo Leonardi oder Fausto Melotti bietet das Dorotheum aktuell bedeutende, darunter erst kürzlich wiederentdeckte, Positionen der italienischen Nachkriegskunst.

Nicht der abendländischen Leserichtung folgend, sondern nur von oben nach unten gelesen ergeben die Buchstaben Sinn: "L’insensata corsa della vita" ("Das sinnlose Rennen des Lebens") liest man dann auf einem der Gobelins von Alighiero Boetti, auf dem in fünf mal fünf bunten Quadraten jeweils ein Buchstabe steht.

Die Stickbilder, beide 1989, gehören zur bekanntesten Werkserie des italienischen Künstlers, der sich mit Begriffen wie Dualität und Multiplizität beschäftigte, bevor er die Signatur "Alighiero e Boetti" erfand: Verdoppelung und Variation, Ordnung und Unordnung, aber auch Reisen und Geografie sind wichtige Themen in Boettis Œuvre, der sich von der Arte Povera kommend konzeptuelleren Richtungen zuwandte.

Für den belesenen Künstler war zudem Literatur eine wichtige Bildkonstante – so auch für die großformatige "Biro"-Zeichnung von 1981: Boetti zitiert mit dem Titel Non parto non resto ("Ich gehe nicht, ich bleibe nicht") die Ilias, wobei ein riesiges Meer an Kugelschreiberstrichen Dichte und Umfang des frühen Epos dargestellt. An den linken Bildrand stellte er das Alphabet, während Kommas auf der Höhe des jeweils richtigen Buchstabens das Zitat des liebeskranken Aeneas markieren.

Die Möglichkeiten der Neufassung von Bildträger und Malinstrument hat Boetti bei Lucio Fontana kennengelernt: Bereits 1949 hatte dieser mit dem sogenannten Punzón in die Leinwand geschnitten, um die Räumlichkeit und die Lichtwirkung zu erhöhen. Angeboten werden zwei seiner "Raumkonzepte": Ein goldfarbenes Bild, das auf Altarbilder der Vorrenaissance referiert, und Concetto Spaziale (1956) mit ungewöhnlicher Entstehungsgeschichte: In der ersten Version war das untere Fünfeck noch weiß. Erst später überzog er das gesamte Bild mit einem Gesteinspigment, das dessen Reliefcharakter noch verstärkt.

Malergestus brechen

Eine spannende bildhauerische Position vertritt Leoncillo Leonardi. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wandte er sich wie andere italienische Zeitgenossen zunächst marxistischen Ideen zu. Von der kommunistischen Partei jedoch bald enttäuscht, verschrieb er sich der informellen Bildhauerei: Die Keramik Itinerario (1958) zeigt, wie präzise der erst kürzlich wiederentdeckte Künstler dabei das Gleichgewicht der Kräfte auslotete und mit seinen Fingern Spannung in das Material trieb.

Fausto Melotti, Dichter, Maler und Musikwissenschafter, hat – wie schon Tizian – ebenfalls mit seinen Fingern gezeichnet. Etwa bei dem unbetitelten Werk von 1946, einer Tontafel, bei der er die Mittel der Imagination mit jenen der Konstruktion verknüpft: links eine zarte Figuration, rechts eine Art schriftlichen Code. So wenig dieser entzifferbar ist, so wenig hat Carla Accardi auf die Lesbarkeit ihrer Gemälde gesetzt: Um mit dem individuellen Malergestus zu brechen, hat sie mit Zeichen, Arabesken und Kalligrafien experimentiert.

Zu den von ihr aktuell angebotenen Werken gehört Luce crescente (Gialloazzurro) (1988), bei dem sie die rohe Leinwand in die gelb-blaue Komposition integriert, oder Gira il Sole (2012), bei dem der Einsatz grafischer Mittel an eine Animation erinnert. (Christa Benzer)

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Papierene Kostbarkeit

Druckgrafik der Klassischen Moderne

Holzschnitt, Radierung, Lithografie oder Siebdruck: Die unterschiedlichen druckgrafischen Verfahren boten Künstlerinnen und Künstlern gerade aufgrund der besonderen Qualitäten und Grenzen der Technik zahlreiche Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Beispielhaft dafür stehen einige Werke im Angebot der Sparte Klassische Moderne. Darunter ein Set von neun Holzschnitten, die Otto Dix zwischen 1919 und 1921 schuf, oder auch die acht kolorierten Aquatintaradierungen umfassende Suite Oiseaux en Péril – Dorothea Tanning (1975) von Max Ernst.

Von Edvard Munch kommt eine Kaltnadelradierung von 1895 zur Auktion, die ein sich küssendes Paar zeigt, dessen Gesichter zu einer Einheit verschmelzen, ja förmlich ineinander verschwimmen (siehe Abb.).

Unter dem Titel Der Kuss schuf der norwegische Symbolist in den Jahren 1892 bis 1906 mehrere Ölbilder und experimentierte zeitgleich mit Drucktechniken: allerdings nicht zur Reproduktion der Gemälde, sondern um eigenständige Varianten des Motivs zu entwickeln, die nur in der jeweils genutzten spezifischen Technik möglich waren. (kron)

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Historische Verlobungsgabe

Facettenreiches Juwelenangebot

Clarity, Carat, Color und Cut, das sind die auch unter dem Begriff der "Vier C" für Diamanten geläufigen Qualitätsmerkmale. Den Steinen das Maximum an Feuer zu entlocken ist der Steinschleifkunst vorbehalten, die im Laufe der Jahrhunderte variantenreiche Schliffformen entwickelte. Neben dem klassischen Brillantschliff gibt es heute Diamanten mit Smaragd-, Marquise- oder Trapezschliff (siehe Abb.; Harry Winston), wie das aktuelle Angebot des Dorotheum zeigt.

"Bereits im 15. Jahrhundert wurden oktaederförmige Rohdiamanten in der Mitte auseinandergeschnitten, wodurch zwei Steine mit abfallenden und zueinander führenden Kanten entstanden", gibt Astrid Fialka-Herics, Leiterin der Juwelensparte, Einblick in die Geschichte.

Die Flächen der Steine wurden mit Diamantstaub poliert und mit der Spitze nach oben verarbeitet. Den ersten historisch dokumentierten Verlobungsring mit einem solchen Diamanten, der sich als Kopie im Bestand des Kunsthistorischen Museums (Wien) befindet, erhielt Maria von Burgund anlässlich ihrer Verlobung mit Maximilian von Österreich im Jahr 1477. (kron, 12.5.2023)