Teurer Strom treibt die Inflation. Ein neues Marktdesign soll Preisexzesse verhindern und Erneuerbare besser integrieren.

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Regierungen kämpfen in ganz Europa gegen hohe Energiepreise, auch in Österreich. Nationale Unterschiede verhinderten bisher ein geeinten Vorgehen in der Europäischen Union. Die EU-Kommission hat vor ein paar Wochen einen Vorstoß gemacht und setzt sich für neue Regeln auf den Strommärkten ein. Guter Anlass für ein Gespräch mit zwei Experten. Der eine, Andreas Löschel, beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht mit Fragen zur Transformation der Energiemärkte von fossil auf erneuerbar und sitzt außerdem einer Expertenkommission vor, die von der deutschen Bundesregierung zum Monitoringprozess "Energie der Zukunft" eingesetzt worden ist. Der andere, Martin Graf, war fünf Jahre Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control (gemeinsam mit Walter Boltz) und ist seit mittlerweile sieben Jahren Vorstandsdirektor der Energie Steiermark AG.

STANDARD: Die Bundesregierung hat eine verschärfte Gewinnabschöpfung beschlossen, die Stromerzeuger in Österreich zu raschen Preissenkungen veranlassen soll. Wird es ein "Sie wünschen, wir spielen" geben?

Graf: Unsere Vorgangsweise in der Energie Steiermark, die Vorteile aus einem günstigeren Marktumfeld an die Kunden proaktiv und fair weiterzugeben, wird durch die aktuelle Diskussion mehr als bestätigt. Wir sind das erste Energieunternehmen in Österreich, das die Preise für Erdgas im Mai bereits um 34 Prozent und für Strom um über 20 Prozent deutlich gesenkt hat. Und wir stehen dazu, dass wir bei einer weiteren günstigen Entwicklung weitere Anpassungen nach unten vornehmen. Alle Maßnahmen, die für mehr Transparenz im Sinne der Kunden sorgen, werden von uns ausdrücklich begrüßt. Sie müssen allerdings auch rechtlich, organisatorisch und technisch umsetzbar sein.

STANDARD: Der Ruf nach radikalen Eingriffen in den europäischen Strommarkt ist leiser geworden. Warum?

"Wir brauchen Klarheit für Investitionsentscheidung", sagt der Vorstandsdirektor der Energie Steiermark AG, Martin Graf.
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Graf: Weil wir uns wieder einen Schritt in Richtung Normalität zubewegt haben. Die Preise im Großhandel sind zwar immer noch um einiges höher als vor eineinhalb, zwei Jahren, aber doch deutlich entfernt von den Rekordständen im vergangenen Sommer und Herbst.

Löschel: Harte Eingriffe wären schlecht, weil man sich damit einen Rattenschwanz an Folgeproblemen einhandeln würde. Wir haben in Deutschland die Marktprämie, an und für sich ein gutes System. Diese Ausgleichszahlung an Anlagenbetreiber, die den Strom aus erneuerbaren Energien direkt an der Börse vermarkten, garantiert einen Mindestpreis, schafft so Sicherheit und eröffnet nach oben hin Möglichkeiten. Man könnte es im Kern so belassen.

STANDARD: Die EU-Kommission pusht Contracts for Differences, sogenannte Differenzverträge, die Projektentwickler gegen niedrige Strompreise und Stromverbraucher und -verbraucherinnen gegen hohe absichert.

Löschel: Damit nimmt man sehr viel Risiko heraus ...

Graf: ... und riskiert, dass die Umsetzung von Windkraft- und Solarprojekten ins Stocken gerät, wenn oben ein Deckel eingesetzt wird.

STANDARD: Nun, Zufallsgewinne von Stromerzeugern werden schon abgeschöpft, in Deutschland genauso wie in Österreich. Was stört Sie daran?

Löschel: Dieser Vorstoß ist von der EU-Kommission ausgegangen und ist in Deutschland ohne viel Widerstand umgesetzt worden. Ich bin nicht glücklich damit, weil das den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien behindert.

Hält die Abschöpfung sogenannter Zufallsgewinne von stromerzeugenden Unternehmen für kontraproduktiv: Andreas Löschel, Uni-Professor in Bochum.
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STANDARD: Inwiefern?

Löschel: Deutschland soll bis 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen beziehen. Darauf hat sich die Ampelkoalition verständigt. Derzeit liegt der Anteil bei etwas über 40 Prozent. Bis zum Jahr 2035 sollen 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Das geht nur mit Rieseninvestitionen, vor allem in Photovoltaik und Offshore-Wind. Wenn man durch Erlösabschöpfung neue Unsicherheit erzeugt, ist das gelinde gesagt kontraproduktiv.

Graf: Dem schließe ich mich an. Wir brauchen als Unternehmen Klarheit für die anstehenden Investitionsentscheidungen. Allein bei der Energie Steiermark haben wir Projekte mit einer Gesamtsumme von 2,5 Milliarden Euro, die wir realisieren möchten. Wenn nicht klar ist, wie und in welchem Zeitraum dieses Geld zurückverdient werden kann, können wir nicht investieren.

STANDARD: Spanien, das im Juli die EU-Ratspräsidentschaft von Schweden übernimmt, hat sich vorgenommen, den Sack mit dem neuen Strommarktdesign noch heuer zuzumachen. Ist das realistisch?

Löschel: Hängt davon ab. Wenn es nur darum geht, die Vorschläge der EU-Kommission umzusetzen, kann das gehen.

Graf: Die Vorschläge sind so offen formuliert, dass jeder mitkann. Die EU-Kommission überlässt viel an Gestaltung den Mitgliedsstaaten. Je detaillierter das Strommarktdesign vorgezeichnet wird, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich das noch während der spanischen Ratspräsidentschaft ausgeht. Wir sollten uns aber ohnehin an Deutschland orientieren, unserem wichtigsten Exportmarkt. Was in Berlin beschlossen wird, hat absehbar Auswirkungen auf Österreich.

Martin Graf (links im Bild) und Andreas Löschel bei einem vom STANDARD moderierten Gespräch.
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STANDARD: Deutschland hat im Februar einen Dialogprozess mit allen relevanten Akteuren zur Reform des Stromsystems gestartet ...

Graf: ... und die machen das sehr professionell. Wenn wir in Österreich isoliert ein neues Marktmodell diskutieren, wird es schwierig werden. Es wäre gut, wir würden uns stärker in die deutsche Debatte einbringen; schließlich hat Österreich Deutschland in Sachen Energie auch einiges zu bieten. Ich denke etwa an den Gasspeicher Haidach oder die Pumpspeicher in Westösterreich. Der österreichische und der deutsche Energiemarkt sind nicht nur, was Tirol und Vorarlberg betrifft, eng miteinander verflochten.

STANDARD: Wie sieht der Zeitplan für den Diskussionsprozess in Deutschland aus?

Löschel: Es soll ein Sommer- und ein Winterpapier geben. Das Sommerpapier soll den groben Rahmen für die Themen beschreiben, die in der Plattform diskutiert werden, das Winterpapier soll dann detaillierter ausfallen. Der Prozess soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, das ist die Zielsetzung.

Graf: Mein Eindruck ist, dass Deutschland jetzt klare Eckpfeiler einschlagen will, auch schon in Vorbereitung auf die anstehenden EU-Wahlen im kommenden Jahr, quasi als Input für die nächste EU-Kommission.

STANDARD: Warum müssen die Regeln neu festgelegt werden, wie der Strommarkt künftig funktionieren soll? Ist das dem Krieg in der Ukraine geschuldet?

Martin Graf (links im Bild) und Andreas Löschel in der Verwaltungszentrale der Energie Steiermark in Graz.
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Graf: Der Krieg in der Ukraine und die gewaltigen Preisausschläge bei Gas und dann auch bei Strom haben Schwachstellen am bisherigen Strommarktdesign aufgezeigt. Eine Anpassung wäre aber ohnehin notwendig gewesen.

Löschel: Die Regeln stammen noch aus einer Energiewelt, die durch wenige zentrale – fossile und in Deutschland auch atomare – Großkraftwerke bestimmt war. Je mehr dezentrale Wind- und Solarparks ans Netz gehen, umso deutlicher treten die Schwächen des Systems zutage. Sie reichen von negativen Börsenstrompreisen über das Abschalten statt Nutzen des Grünstroms bis hin zu fehlenden Anreizen zur Nutzung von Flexibilitätsoptionen. Dazu kommt noch, dass der Stromverbrauch massiv ansteigen wird, weil die Dekarbonisierung in anderen Sektoren ebenfalls mit grünem Strom erfolgen wird wie beispielsweise Wärmepumpen und Elektroautos. Dafür ist ein flexibles und interagierendes Stromsystem notwendig.

STANDARD: Was muss das neue Strommarktdesign leisten?

Graf: Man kann auf dem bestehenden aufbauen; es braucht aber regulatorische Ergänzungen gerade dort, wo der Markt an seine Grenzen stößt. Und es muss gewährleisten, dass auch in einem Umfeld steigender Zinsen Investitionen getätigt werden können. Jeder Investor, jeder Anlagenbetreiber will auch etwas verdienen damit. (Günther Strobl, 15.5.2023)